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Der Spuk begann vor ungefähr drei Jahren, als binnen weniger Tage in einem winzigen Umkreis Einschleichdiebstähle in ein gutes Dutzend Geschäfte und Lokale zu verzeichnen waren. In sämtlichen Fällen kamen der oder die Täter durch die Hintertür und nahmen, was sie rasch erbeuten konnten - in der Mehrzahl der Fälle die Handtaschen der Verkäuferinnen oder Serviererinnen. Betroffen waren u. a. der Greißler, die Blumenhandlung, ein Gasthaus und ein Kopiergeschäft. Die verhältnismäßig banale Deliktserie wurde vor allem deshalb in unserem Gretzl auf der Wieden zum Gesprächsthema, weil es Kriminalität dort seit den Nachkriegsjahren kaum gegeben hatte. Dabei ahnte damals noch niemand, dass das erst der Anfang war . . .
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Zumal diese erste Welle, die den Anrainern einen Hauch "Metropolis" vermittelte, rasch abebbte, als eine Bipa-Kassierin den (oder einen der) mutmaßlichen Täter im Lagerraum ertappte. Da kam zwar zum ersten Mal ein Messer ins Spiel, mit dem er sie bedrohte, doch nach seiner Flucht war für´s erste einmal wieder Ruhe. Freilich nicht lang.
Auf die Bipa-Filiale konzentrierte sich auch in der Folge das kriminelle Geschehen im Gretzl, was heißt, dass es immer wieder Ladendiebstähle gab. Aber wen interessiert das schon? - Im Hinblick auf die enorme Warenfülle in Supermärkten und die zunehmende Zahl von Menschen, für die ein Großteil davon trotz Billigstpreisen nicht erschwinglich ist, wundert man sich ja oft eher, dass derlei nicht öfter passiert.
Anders war das schon beim Greißler, einer der wichtigsten sozialen Anlaufstellen für die älteren Menschen in der Umgebung. Sie hatten sehr gelitten, als die kleine Meinl-Filiale zusperrte, in der sich heute besagter Bipa befindet, der wiederum vor allem die Tierbesitzer dort als reiche Quelle für Katzen- und Hundefutter bis 19.30 Uhr froh macht.
Der Greißler also, endlich eine ebenso liebenswürdige wie qualitativ wichtige Alternative zu den etwas weiter entfernten Supermärkten, hatte nicht nur das elende Geschäftssterben in der Margaretenstraße unterbrochen, er wurde auch zur Anlaufstelle aller Betagten und Kranken, mit dem sie reden können und denen er im Notfall alles ins Haus bringt und zwar fast rund um die Uhr.
Vielleicht ist es seine Freundlichkeit, die ihn zu einem Paradeopfer der Viktimologie prädestiniert: Drei Einbrüche in zwei Jahren - und natürlich war der Sachschaden (eingeschlagenen Scheiben und Türen) jedes Mal beträchtlich höher als die Beute. Die übrigens einmal aus seiner elektronischen Registrierkasse bestand, deren Kabel die Täter abzwickten - was sie übrigens auch in mehreren Fällen im Nachbarbezirk Margareten taten, so dass (auch von der Polizei) angenommen wird, dass dahinter neue Geschäftsgründungen "irgendwo im Osten" steckten.
Als besonders empörend kam noch der Diebstahl einer Handtasche hinzu, die einer über 70-jährigen Aushilfskraft gehörte: Binnen zweier Stunden hatten die Täter mit der Bankomatkarte der Pensionistin deren gesamtes Konto leer geräumt. (Ja, das geht!) Und einen noch höheren Schaden hatte ein freier Fotograf, aus dessen Studio die Einbrecher wertvolle Kameras erbeuteten.
In der Folge häuften sich auch beunruhigend aggressive Vandalismusakte, vor allem an den Wochenenden, bei denen haufenweise Glas (Autoscheiben, Fenster, Verglasungen an Häusern etc.) zertrümmert wurde. Und eines Abends galt es dann, eine junge Frau zu versorgen, die ein Handyräuber grob zu Boden gestoßen hatte.
Dennoch: Wir waren wütend, besorgt und wurden vorsichtiger. Aber wirkliche Angst hatte wohl niemand. Rund um das sogenannte Planquadrat und in Naschmarktnähe lebt es sich einfach zu angenehm, und würde einer von uns wegziehen, dann am ehesten wegen der rekordverdächtigen Menge an grauslichen Hundstrümmerln.
Wirklich ungut in puncto Kriminalität wurde es dann aber am 1. Dezember 2003. Da kam nämlich erstmals der "Messermann" in "unsere" Bipa-Filiale und versetzte die Kassierinnen in Schrecken. Er agierte unmaskiert und ohne Handschuhe - und als er nach sechs Wochen erneut auftauchte, war bereits bekannt, dass er auch ein bestimmtes Schema einhielt. Aber: "Wir hätten ja nie geglaubt, dass der noch einmal kommt", sagt die Kassierin. "Und zuletzt waren wir sogar zu zweit vorne und die Kollegin hat schon das Handy in der Hand gehabt, aber dann nichts tun können, weil er ja mir das Messer angesetzt hat."
Rund 9.000 Euro hatte der 34-jährige Wiener Alexander P. überwiegend bei Bipa-Überfällen (vor allem auf der Wieden und in Margareten) erbeutet, als er bei seiner 12. Tat am vergangenen Freitag gefasst werden konnte. Für die betroffenen Frauen war er bis dahin zu einem Alptraum geworden, der sie bereits die Kündigung erwägen ließ, obwohl viele erst vor kurzem der Arbeitslosigkeit wieder entronnen und dankbar für die Jobs sind. Ihre Angst war umso verständlicher, da die Vorgangsweise des "Messermanns" den Schluss zuließ, dass es ihm gerade darum ging, diese Panik zu erzeugen (und gar nicht so sehr ums Geld). Und dass er über seine Überfälle genau Buch führte, wie die Polizei freudig feststellte, sollte man vielleicht auch in diesem Licht sehen.
Wir haben alles in unserem Gretzl: Eine der besten Buchhandlungen Wiens (Jeller), den freundlichen Greißler (Einzinger), einen Trafikanten mit einem Zigarrenangebot zum Niederknien (Ercan Hazar), die tollste Blumenhandlung (Manic Botanic), Superlokale wie den Ubl und das Guzzi sowie die netteste Bipa-Belegschaft. Nur einen "Trautmann", der ein bissl die Augen offen hält und mit dem wir reden können, den würden wir noch brauchen.