Berlin rühmt sich, mehr Brücken zu haben als Venedig. Tatsächlich hat die Hauptstadt fast tausend Brückenbauwerke aus verschiedenen Stilepochen - imposante und geschichtsträchtige.
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Nicht so bekannt wie die Londoner Tower Bridge, aber nicht weniger beeindruckend, spannt sich die Berliner Oberbaumbrücke quer über den Hauptfluss der Stadt. Seit 1896 verbindet sie die Bezirke Friedrichshain und Kreuzberg. Damals entstand ein neugotischer Bau, der einer Burg der Mark Brandenburg aus rotem Backstein ähnelt.
Die Bögen des Viadukts und die zwei spitzen Mitteltürme wurden nach dem Fall der Mauer originalgetreu rekonstruiert. Während der Zeit der Teilung verlief nämlich quer über die Oberbaumbrücke die Grenze, wodurch die Brücke zerfiel. Heute führt über sie nicht nur der Straßenverkehr, sondern auch eine Linie der U-Bahn (die bekannte "Linie 1"). Darunter ist ein geschützter Fußgängerüberweg nach Art eines mittelalterlichen Kreuzganges ausgeführt.
Gut siebzig Jahre älter ist die 1823 von Karl Friedrich Schinkel errichtete Schlossbrücke. Mit ihrem historischem Brückengeländer und acht Marmorfiguren gehört sie zu den schönsten Brücken der Stadt. Acht Bildhauer gestalteten zwischen 1847 und 1857 die marmorne Figurengruppe, die den Lebensweg eines Helden vom Knaben bis zum Tod zeigt. Nach Sprengung des Stadtschlosses durch die DDR-Führung wurde die Brücke in Marx-Engels-Brücke umbenannt. Noch im Kalten Krieg kam es zum Austausch von Kulturgut zwischen den beiden Stadthälften und so gelangten die im Westen eingelagerten Brückenfiguren wieder an ihren ursprünglichen Platz. Zum ersten Jahrestag der Wiedervereinigung erhielt die Brücke am 3. Oktober 1991 ihren angestammten Namen zurück.
Gleichfalls mit der deutschen Teilungsgeschichte verbunden ist die Glienicker Brücke. 1907 errichtet, war sie lange Zeit ein legendärer Schauplatz des Kalten Krieges. Über sie tauschten die USA und die Sowjetunion Spione aus. Heute ist sie eine "normale" Verbindung nach Potsdam, bietet jedoch einen sehr schönen Blick über die zauberhafte Havellandschaft. Die preußischen Herrscher kultivierten dort das Havelufer zum Park rund um das mediterran gestaltete Schloss Klein-Glienicke. Sehenswert ist die Löwenfontäne vor dem Schloss nach Vorbild in der Villa Medici in Rom. Die älteste erhaltene Brücke der alten Residenzstadt ist die Jungfernbrücke von 1798. Sie ist eine Klappbrücke und hatte ursprünglich acht baugleiche Schwestern.
Als sich Berlin in der Gründerzeit auch zu einem industriellen Zentrum entwickelte und zahlreiche Fernbahnlinien angelegt wurden, explodierte die Zahl der Brückenbauten förmlich. Allein der 1850 fertiggestellte Landwehrkanal erforderte über dreißig Brücken. Weiters entstanden Parkbrücken wie die Löwenbrücke im Großen Tiergarten, die älteste Hängebrücke der Stadt. Die Zahl stieg weiter mit dem Bau des 1906 eröffneten Teltowkanals und später mit der Anlage der Autobahnen.
Als erste Stahlbetonbrücke Deutschlands gilt die Abteibrücke. Sie führt im Berliner Ortsteil Alt-Treptow als Fußgängerüberweg auf die "Insel der Jugend". Seit 1916 ersetzt sie eine Fähre, die früher die Besucher auf die Spreeinsel brachte.
Die längste Berliner Brücke ist die Rudolf-Wissell-Brücke der Bundesautobahn 100 (Stadtring), die mit einer Länge von 930 Metern die Spree, Spreeaue und Schleuse Charlottenburg überspannt. Beinahe Pariser Charme strahlt die Moltkebrücke nahe des Hauptbahnhofs aus - mit ihren verschnörkelten Kandelabern ähnelt sie von ferne dem Pont Alexandre III.
Zu den beschaulichen Höhepunkten jedes Berlin-Besuchs zählt eine mehrstündige Brückenfahrt.
Markus Kauffmann, seit 25 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.