Eine Abhöraffäre bringt Polens Premier Tusk unter Druck. Das Land steuert auf Neuwahlen zu.
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Warschau. Es gibt vieles, das für Donald Tusk spricht. Polen, das wirtschaftlich stärkste Land unter den ehemaligen Ostblockstaaten, ist weit besser durch die Finanzkrise getaucht als der Großteil der EU-Partner. Im Konflikt um die Ukraine, der seit Monaten die globale Politik dominiert, war der polnische Premierminister nicht nur einer der europäischen Wortführer, sondern lieferte mit den Plänen für eine Energieunion auch gleich einen konkreten Vorschlag, um Europas Abhängigkeit vom russischen Gas zu brechen.
Doch wirklich gut läuft es für Tusk schon seit längerer Zeit nicht mehr. Im Parlament verfügt die Koalition aus seiner rechtsliberalen Bürgerplattform PO und der Bauernpartei PSL nach mehreren Parteiaustritten mittlerweile nur noch über eine hauchdünne Mehrheit von einer Stimme. Die PO wird zudem immer wieder von Grabenkämpfen zwischen der Tusk-Fraktion und dem konservativen Parteiflügel erschüttert. Und auch in der Wählergunst geht es konstant bergab. Bei den EU-Wahlen, in deren Vorfeld der Premier eifrig die Wahlkampftrommel gerührt hatte, konnte seine PO den ersten Platz mit 32,1 Prozent nur noch äußerst knapp gegen die rechtskonservative PiS (Recht und Gerechtigkeit) verteidigen. Bei den Parlamentswahlen 2011 hatte Tusks Partei noch 39,2 Prozent erreicht.
Razzia beim Enthüllungsblatt
Im Vergleich zu dem, was sich derzeit in Polen zusammenbraut, könnte dies alles allerdings nur eine unbedeutende Randnotiz sein. Denn seit die Wochenzeitung "Wprost" voriges Wochenende die Mitschnitte eines äußerst verfänglichen Gesprächs zwischen Innenminister Bartlomiej Sienkiewicz und Notenbankchef Marek Belka veröffentlicht hat, vergeht kaum ein Tag, der die Regierung nicht weiter in die Bredouille bringt. Tusk selbst schloss am Donnerstag nicht einmal mehr vorgezogene Neuwahlen aus. "Falls die Vertrauenskrise so schwer ist, ist das möglicherweise die einzige Lösung", sagte der Premierminister.
Laut den Tonbandaufzeichnungen hatte Belka im Juli 2013 in einem Warschauer Restaurant Konjunkturhilfen der Zentralbank angeboten, um das Budget zu entlasten und Spielräume für die eine oder andere Wählerwohltat zu schaffen. Damit sollte der Sinkflug der PO in den Umfragen gestoppt werden. Als Gegenzug verlangte der Notenbankchef die Entlassung des damaligen Finanzministers Jacek Rostowski. Dieser verlor tatsächlich im November 2013 seinen Posten bei einer Kabinettsumbildung.
Dass "Wrpost", die nach eigenen Angaben noch über weitere verfängliche Mitschnitte verfügt, mit ihrer Veröffentlichung in ein Wespennest gestochen hatte, wurde bereits wenig später klar. Im Rahmen einer nächtlichen Razzia durchsuchten Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft und Agenten der Agentur für innere Sicherheit stundenlang die Redaktionsräume der Zeitung.
Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter wurden kurz darauf Fotos gepostet, die zeigen, wie die Behördenvertreter versuchen, Chefredakteur Sylwester Latkowski einen Laptop aus den Händen zu entreißen. Latkwoski zufolge ist es ihm aber gelungen, den Computer sowie ein Speichermedium mit den Mitschnitten in Sicherheit zu bringen. "Wrpost" will die neuen Aufzeichnungen, auf denen unter anderen Vizepremierministerin Elzbieta Bienkowska und Jan Kulczyk, der reichste Mann in Polen, zu hören sein sollen, nun am Montag veröffentlichen.
Medien in Aufruhr
Die Razzia hat vor allem die polnische Medienlandschaft in Aufruhr versetzt, die angesichts der Erfahrungen im Kommunismus besonders sensibel auf jedwede Gängelung von Journalisten reagiert. "Es ist so weit gekommen, dass die ganze Journalistenbranche gegen Sie ist, Herr Ministerpräsident", sagte Monika Olejnik, eine der bekanntesten Journalistinnen Polens, kurz nachdem Tusk beteuert hatte, die Staatsanwaltschaft sei unabhängig und habe auf eigene Faust gehandelt.
Doch nicht nur bei den Journalisten scheint der polnische Premier, der in der Vergangenheit stets ein feines Gespür für gesellschaftliche Stimmungen bewiesen hat, allen Kredit verspielt zu haben. Laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Millward Brown, die nach der Veröffentlichung der Mitschnitte, aber noch vor der Razzia durchgeführt wurde, liegt die PO nur noch bei 25 Prozent. Die PiS, die mittlerweile den Rücktritt der gesamten Regierung fordert, kommt dagegen auf 32 Prozent.