Die neue griechische Regierung geht auf Distanz zur EU - und könnte dafür Kredite aus Moskau bekommen.
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Athen/Moskau/Brüssel. Andrej Maslow könnte über den griechischen Vorstoß schon informiert gewesen sein. Am Montagvormittag hatte der russische Botschafter in Athen das Büro des Wahlsiegers, der Linksaußen-Partei Syriza aufgesucht, noch ehe deren Chef Alexis Tsipras seine Regierung gebildet hatte. Bald danach feuerte das neue Kabinett in Athen bereits die erste Blendgranaten gegen Brüssel ab und stellte sich gegen die EU-Sanktionen gegen Moskau.
Die neue griechische Links-Rechts-Regierung strebt eine Neuausrichtung der Außenpolitik Athens an. Tsipras weigert sich, künftig mit der Troika zu kooperieren (siehe Seite 7) und spielt die russische Karte. Bereits als Oppositionsführer hatte sich der Syriza-Chef stets gegen die Strafmaßnahmen der EU gegenüber Russland ausgesprochen. Auch im Europäischen Parlament votierten im Herbst alle Syriza-Abgeordneten gegen die Ratifizierung des EU-Assoziierungsabkommens mit der Ukraine. In der EU geht bereits die Angst um, Griechenland könnte zum "Trojanischen Pferd" des russischen Präsidenten Wladimir Putin in der EU und vielleicht sogar in der Nato werden.
Nachrangiger Absatzmarkt
Auf den ersten Blick spricht - einmal abgesehen von den traditionellen orthodoxen Bindungen, die zwischen Moskau und Athen bestehen - nur wenig für eine solche Option. Russland ist für Griechenland kein wichtiger Absatzmarkt: Nur 1,5 Prozent der griechischen Exporte wurden im Jahr 2013 laut dem Verband der griechischen Exportunternehmen nach Russland geliefert. Auf der Liste der wichtigsten Absatzmärkte liegt der weltgrößte Staat damit nur auf Platz 16. Umgekehrt gehen mehr als 40 Prozent der griechischen Waren in andere EU-Staaten, besonders nach Italien, Deutschland, Bulgarien und Zypern. Nur der ungeliebte Nachbarstaat Türkei kauft noch mehr in Griechenland ein.
Anders im Import: Hier spielt Russland besonders mit seinen Erdgaslieferungen tatsächlich eine wichtige Rolle. Mehr als 60 Prozent des Erdgases bezieht Griechenland aus Russland. Die deutsche Zeitung "Die Zeit" zweifelt auf ihrer Online-Seite aber daran, dass die Abhängigkeit im Gasbereich für Athen ein hinlänglicher Grund ist, weitere Sanktionen gegen den Kreml zu blockieren. Die russischen Energieunternehmen würden sich in erster Linie selbst schaden, wenn sie ihre Gaslieferungen stoppen würden - und noch dazu jene in Richtung eines potenziellen Verbündeten.
Der Kurs für den Kurswechsel, den Tsipras und sein Außenminister Nikos Kotzias, der ebenfalls der Syriza angehört, auf den Weg gebracht haben, ist wohl recht einfach: Geld. Spätestens im Sommer, wenn Griechenland 8,8 Milliarden Euro für den Schuldendienst aufbringen muss, droht dem Land die Insolvenz. Der orthodoxe Bruderstaat Russland steckt zwar derzeit ebenfalls in Schwierigkeiten. Doch er hat bereits Interesse angemeldet, Athen unter die Arme zu greifen. Finanzminister Anton Siluanow meinte am Donnestag, wenn Griechenland mit der Bitte um einen Kredit an Moskau herantreten würde, "würden wir das definitiv prüfen". Dabei würde man allerdings "alle Faktoren der bilateralen Beziehung zwischen Russland und Griechenland berücksichtigen", sagte Siluanow.
Kontakte zu Rechtsextremen
Eine Investition des finanziell klammen Kremls in Griechenland wäre zwar wirtschaftlich ein Verlustgeschäft, könnte Moskau politisch allerdings einiges bringen: Beschlüsse wie die Verhängung von Sanktionen setzen in der EU Einstimmigkeit voraus. Tsipras‘ Regierung könnte also Entscheiungen in Brüssel, die gegen Russland gerichtet sind, blockieren - allerdings um den Preis einer totalen Isolation Griechenlands innerhalb der EU.
Fest steht, dass die beiden Regierungsparteien in Athen schon bisher über gute Kontakte nach Moskau verfügen - sowohl die dominierende Linksaußen-Partei Syriza als auch die Rechtsaußen-Partei Anel, deren Chef Panos Kammenos gute Verbindungen mit Alexander Dugin pflegt. Der extrem umtriebige Politologe, Soziologe und Philosoph gilt in Moskau als Begründer der "Eurasischen Bewegung", der vor allem der von den USA vertretene Liberalismus ein Dorn im Auge ist. Dugin, der sich wie Kammenos streng gläubig gibt und auch Kontakte zur rechtsextremen Partei "Goldene Morgenröte" pflegt, plädiert für ein von Russland beherrschtes Europa.
Doch Kammenos ist nicht der einzige griechische Politiker, der gute Kontakte nach Russland hat. Wie Tsipras stammen viele der führenden Syriza-Politiker aus der stalinistisch ausgerichteten Kommunistischen Partei Griechnelands (KEE). Sie wurden in der Sowjetunion geschult und haben enge Bande nach Moskau. Dabei haben beide Seiten mit der nunmehr konträren Ideologie wenig Probleme: Während sich Russlands Präsident Putin ein konservatives Image zugelegt hat, verzichtete Tsipras bei Amtsantritt demonstrativ auf den üblichen Amtseid auf die Bibel. Auch der Athener Erzbischof war diesmal nicht zugegen.
Dennoch hat Syriza nur wenig Berührungsängste mit russischen Rechtsaußen-Politikern: Außenminister Kotzias hatte Dugin noch als Politikprofessor im April 2013 zu einem Vortrag an die Universität Piräus eingeladen. Auf Dugins Website "4pt.su" findet sich ein Foto des bärtigen Philosophen mit dem jetzigen Minister. Der russische Historiker Leonid Reschetnikow, Chef des kremlnahen "Russischen Instituts für startegische Forschungen", erklärte kürzlich, dass Tsipras selbst "vor nicht allzu langer Zeit" bei ihm im Institut gewesen sei. Auch der Syriza-Politiker Kostas Isychos machte Front gegen den Westen: Die Beziehungen zu Russland gingen "viel tiefer als die heutige Tagesordnung". Man habe eine gemeinsame Religion und gemeinsame kulturelle Wurzeln.