Zwist um Verteilung von Flüchtlingen überschattete Sondertreffen der EU-Staats- und Regierungschefs.
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Brüssel. Der Regen verwandelt den festen Boden in Schlamm. Die Schuhe der Menschen versinken darin; die Konturen des Teppichs, den jemand vor den Informationsstand gelegt hat, sind nur noch zu erahnen. Aus dem Park beim Brüsseler Nordbahnhof ist ein Zeltlager geworden: Dutzende silberne Stoffbehausungen wurden aufgestellt, dazwischen ein paar große Plastikplanen aufgehängt. Darunter stehen Tische, Bänke und Stühle. Dort nehmen die Menschen Platz, wenn sie mit ihren Tellern von der Essensausgabe kommen. "Ärzte ohne Grenzen" sind ebenso vertreten wie lokale Hilfsorganisationen. Ein älterer Mann mit zwei prall gefüllten Einkaufstaschen lässt sich den Weg zur Küche zeigen, das Mädchen, das ihn begleitet, schleppt einen Sack Kartoffeln.
An Hilfsbereitschaft aus der Bevölkerung für die Flüchtlinge, die gegenüber dem Ausländeramt in der belgischen Hauptstadt manchmal tagelang auf ihre Registrierung warten, mangelt es nicht. "Sachspenden können im Moment nicht mehr angenommen werden", steht auf einem Zettel an einem Eingang zum Park geschrieben. Über einem weiteren ist ein anderer Schriftzug gespannt: "Willkommen im Ausland". Daneben steht ein provisorischer Waschraum.
Gegen die Nässe draußen aber kann niemand etwas ausrichten, gegen den Niesel- und den Platzregen, der in Belgien Tag für Tag mehrmals fällt. Die Feuchtigkeit dringt in jedes Zelt.
Slowakei kündigt Klage an
In dem Gebäude auf der anderen Straßenseite, vor dem sich die Einwanderer mit ihren Dokumentmappen unter dem Arm anstellen, wurde die Zahl der Mitarbeiter auf ein paar hundert aufgestockt. Im Ausländeramt werden nun in einer Woche fast so viele Asylverfahren eingeleitet wie früher in einem Monat. Im Jänner verzeichnete das Kommissariat für Flüchtlinge und staatenlose Personen 1313 Anträge, im Mai waren es 1708 und im August 4621.
Wie die Behörden in anderen EU-Staaten sind die belgischen mit einer steigenden Zahl von Asylansuchen konfrontiert. Doch kein anderes Notlager als jenes beim Brüsseler Nordbahnhof befindet sich so nah an dem Ort, wo europäische Lösungen für die Flüchtlingskrise gesucht werden. Nur ein paar U-Bahnstationen liegen zwischen den silbernen Zelten und den Betonbauten des EU-Viertels rund um den Schuman-Platz. Dort versammelten sich die Staats- und Regierungschefs der EU zu einer Sondersitzung; dort haben sich nur 24 Stunden zuvor die Innenminister auf eine Verteilung von 120.000 Schutzsuchenden in der Union verständigt.
Und obwohl den Politikern der Gemeinschaft bewusst ist, wie dringend es wäre, Hilfsmaßnahmen zu ergreifen, war der Streit darüber auch gestern, Mittwoch, nicht beendet. Denn die Entscheidung der Innenminister, die mit Stimmenmehrheit und gegen den Willen Ungarns, der Slowakei, Tschechiens und Rumäniens gefallen ist, überschattete das Gipfeltreffen. Der slowakische Premier Robert Fico kündigte sogar an, dass sein Land gegen den Beschluss beim Europäischen Gerichtshof klagen werde.
Dabei betonen die Luxemburger, die derzeit den EU-Vorsitz innehaben, dass sich alle Mitglieder an die Vereinbarung halten müssten. Dieser entsprechend müsste auch Ungarn, das ursprünglich durch das Umsiedlungsprogramm entlastet worden wäre, weitere Asylwerber aufnehmen. Von den 120.000 Menschen, die in anderen EU-Staaten untergebracht werden sollen, wäre fast die Hälfte von Ungarn übernommen worden. Dieses Kontingent bleibt fürs Erste unangetastet, zunächst werden 66.000 Schutzsuchende aufgeteilt, die nach Griechenland und Italien eingereist sind. Österreich soll sich ersten Berechnungen der EU-Kommission zufolge um 1953 Flüchtlinge kümmern.
Neun Milliarden Euro als Hilfe
Die Regierung in Wien setzt sich aber für die Schaffung eines permanenten Verteilungsmechanismus ein, den einige ost-und mittelosteuropäische Staaten hingegen ablehnen. So drängt der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann auf eine Fortsetzung der Debatte darüber. Er verweist darauf, dass "in der Quotenfrage" schon Länder wie Kroatien und Slowenien "auf die Seite der Befürworter gewechselt sind".
Die auf die Agenda des Gipfels tatsächlich gesetzten Themen waren aber weniger umstritten. Dazu gehören die Stärkung der Außengrenzen der EU sowie mehr Unterstützung für die Türkei und andere Nachbarn Syriens. Außerdem soll die Einrichtung von Anlaufstellen zur Aufnahme und Registrierung der Schutzsuchenden in Griechenland und Italien beschleunigt werden.
Den Druck zum Handeln will auch die EU-Kommission vergrößern. Die Finanzmittel zur Bewältigung der Flüchtlingskrise möchte sie verdoppeln - auf rund neun Milliarden Euro für das laufende und das kommende Jahr. Außerdem kündigte sie 40 Strafverfahren gegen 19 Mitgliedstaaten an, die die europäischen Asyl-Vorschriften mangelhaft umsetzen. Österreich mahnt sie dazu, die EU-Regeln zu Aufnahmebedingungen korrekt anzuwenden. Das Land hätte noch nicht alle getroffenen Maßnahmen gemeldet.