Unter Iranern, die sich oft seit Jahren für mehr Demokratie in ihrer streng islamisch ausgerichteten Republik aktiv einsetzen, macht sich zum Jahresbeginn zunehmend Frustration breit.
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Gerade haben die ultrakonservativen Mullahs eine neue Runde im Dauermachtkampf gegen Reformer um Präsident Mohammad Khatami (58) eingeläutet. Ihr Ziel ist dieses Mal das Parlament (Majlis) selbst, das von Gefolgsleuten des Präsidenten dominiert wird. An die 60 Abgeordnete wurden wegen angeblicher Beleidigung fundamentalistischer Geistlicher vernommen, ein Kollege und eine Kollegin wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt, ein Parlamentarier kam in Untersuchungshaft.
"Wenn sich das Parlament nicht gegen faschistisches Gedankengut und orthodoxe Religionsauffassung behaupten kann, dann sollte es besser gleich abgeschafft werden", meinte kürzlich der Abgeordnete Massud Achawan resigniert. Und der frühere Kultusminister Attaollah Mohajerani, der auf Druck der Konservativen sein Amt verlor, sieht die Entwicklung so: "Im Gegensatz zu totalitären Systemen sollte eine demokratische Führungsschicht über das Parlament auf die Stimme des Volkes hören. Aber zur Zeit ist Begeisterung dafür in der Führungsschicht nicht in Sicht und das ist ziemlich gefährlich."
Der von Verfechtern eines kompromisslosen Islam dominierte Wächterrat, der Beschlüsse des Parlaments überwacht, blockt derweil harsche Kritik gegen das Vorgehen gegen die Abgeordneten ab. "Jeglicher Druck wird auf unsere Entscheidungen überhaupt keinen Einfluss haben", hieß es kurz und bündig in einer schriftlichen Erklärung. Entsprechend verhält sich die Justiz und verweist auf ihre in der Verfassung fest geschriebene Unabhängigkeit.
Präsident Khatami, erst im vergangenen August für eine zweite Amtsperiode bis 2005 vereidigt, hat seinen Anhängern zur jüngsten Entwicklung bisher keine Orientierung gegeben. Dabei macht sich bei diesen aus Frustration heraus deutlich Ungeduld breit. Studenten, die den Präsidenten vor allem unterstützen, ließen ihn im letzten Monat wissen, er möge "mit Sprüchen aufhören, statt dessen Autorität zeigen oder aber zurücktreten."
Eine verstärkte Unzufriedenheit über ausbleibende Reformen gerade in gebildeten Schichten lesen Beobachter in Teheran auch aus steigenden Auswanderungszahlen heraus. Iran steht ganz oben auf einer Liste von 61 sich entwickelnden Ländern, aus denen besonders Gebildete abwandern.
Selbst aus dem konservativen Lager kommen inzwischen warnende Stimmen, die Frustration breiter Bevölkerungskreise nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. "Die Grenzen der Geduld" dürften keinesfalls überschritten werden, mahnte der konservative Abgeordnete Mohammed Mowahed die Parteien im Machtkampf. "Während sich die Leute mit den Problemen des täglichen Lebens herumschlagen, gefährden solche Spannungen nicht nur die nationale Einheit sondern auch die nationale Sicherheit", warnte er.