Die einstige Protestpartei läuft Gefahr, in die programmatische Beliebigkeit abzugleiten. Wohin wollen die Grünen? Eine Analyse.
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Wien. Sommer 2015, Wien-Westbahnhof. In Sonderzügen der ÖBB kommen täglich tausende Syrer, Iraki und Afghanen aus Ungarn an. Mit einem Kraftakt stellt die Zivilgesellschaft ihre Existenz unter Beweis, hunderte Wiener bringen Spenden zu den zahlreichen freiwilligen Helfern. "Wir schaffen das", sagt die deutsche Kanzlerin, und Österreich scheint für einen Augenblick ganz in jener Willkommenskultur aufzugehen, die sich vor allem die österreichischen Grünen seit eh und je auf ihre Fahnen schreiben.<p>"Die Grünen unterstützen eine Großdemonstration am Westbahnhof und ein Konzert am Heldenplatz." Eine Partei und ihre Anhängerschaft vermittelt sich selbst und der Öffentlichkeit den Eindruck, dass dieses Land doch nicht nur aus Ausländerfeinden, Wutbürgern und Gleichgültigen besteht.
Wenige Wochen später wird in Wien gewählt. Der SPÖ von Michael Häupl gelingt es, die Stimmung des Sommers gerade noch mitzunehmen, ein Erdrutschsieg der FPÖ, wie ihn viele vorausgesagt haben, bleibt aus. Die Grünen aber bleiben weit hinter ihren Erwartungen zurück. Aus der Traum von der zweitstärksten Kraft in der Bundeshauptstadt. Die Illusion einer starken Zivilgesellschaft, die die Grünen auch am Wahltag zum Erfolg tragen werde, ist dahin. Mehr noch: Die Stimmung scheint ins Gegenteil umzuschlagen. Sexuelle Übergriffe von Flüchtlingen, die Folgen der Flüchtlingsbewegung für Arbeitsmarkt und Sozialstaat dominieren die Schlagzeilen. Das Thema ist geblieben, doch um die Partei ist es erstaunlich ruhig geworden. Die Grünen selbst sind erstaunlich ruhig geworden.
Dabei standen die Chancen für die Grünen, aus der Oppositionsrolle auch in der Bundespolitik auszubrechen, nie besser als jetzt. Die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP sind unter gehörigem Druck, in den Umfragen kommen sie zusammen auf gerade einmal 45 Prozent. Doch anders als die FPÖ schaffen es die Grünen nicht, die historische Situation zu nutzen und Partei und Wählerbasis zu vergrößern. Abseits der klassischen Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit besetzten die Grünen nur, was sich in der Tagespolitik auftut. Eine saubere Politik mit sauberen Politikern, eben "weniger belämmert als die anderen", wie auf grünen Wahlplakaten 2013 zu lesen war. "Öffi für alles", was die Zeit an partikularen Themen und Kämpfen halt hergibt.
Vom Drang, es endlich in die Regierung zu schaffen, wie ihn FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache bei jeder Gelegenheit zur Schau stellt, ist bei den Grünen und ihrer Parteichefin Eva Glawischnig wenig zu bemerken. Sind die Grünen sich selbst genug? Wohin will die Partei? Sieht sie sich als Teil der progressiven Linken, oder doch als bürgerliche Alternative? Der Stimmverlust in Wien sorgte für einen Richtungsstreit innerhalb der Grünen. Deren Sicherheitssprecher Peter Pilz wagte sich mit der Forderung hervor, die Partei in Richtung Linkspopulismus zu bewegen, um volksnäher zu werden. Die Grünen sollen eine wirkliche Alternative für Protestwähler werden, die sich derzeit die FPÖ unter den Nagel reißt. "Wir müssen die soziale Frage wieder stärker ansprechen", sagt Pilz.
Spricht man mit seinen Parteifreunden, scheint der grüne Sicherheitssprecher mit seinen linkspopulistischen Vorstellungen ziemlich alleine zu stehen. "In Österreich gibt es ganz sicher Platz für ein linkes Projekt. Die Grünen und die hier handelnden Personen werden aber nie eine solche Partei sein können", sagt ein hochrangiger Funktionär. Aber: Das größte Problem der Grünen sei, für eine soziale Gruppe Politik machen zu wollen, die die Partei nicht wählt.
Harald Walser, Bildungssprecher der Grünen, kann den Ideen von Pilz einiges abgewinnen: "Die gehobene Sprache hindert uns sicher daran, zu wachsen", sagt er. "Es gelingt uns nicht, in die Breite zu kommen." Die Partei formuliere oft zu ausgewogen, meint Walser. "Mit den differenzierten Formulierungen, das spüren wir, gehen wir unter." Andererseits kritisiert Walser die weichgespülten Kampagnen, Stichwort "Öffi für alles"-Plakate. Es brauche eine Kraft auf der politisch linken Seite - diese sei von der SPÖ so gut wie aufgegeben worden. "Aus der Krise der ehemaligen Großparteien müssten wir mehr Profit ziehen. Da lassen wir im Moment eine Chance aus." Eine linkspopulistische Bewegung würde den Grünen aber nicht stehen, meint Walser. "Populismus ist abgewandt von den Fakten, redet den Leuten nach dem Mund." Das sei nicht Grün. Die Partei rekrutiere sich aus der Bildungsschicht, "da ist auch unsere Wählerklientel." Jetzt müssten die Grünen einen Schritt weiter machen und volksnäher werden. Breiter werden und volksnahe, die unteren Schichten ansprechen? Ohne dass Arbeiter oder Pensionisten entsprechend in der Partei vertreten sind?, wie ein weiterer Funktionär unter vorgehaltener Hand kritisiert.
Volksnähe, das bedeutet auch, sich Themen zu stellen, die bei vielen Grünen Unbehagen auslösen. In der Diskussion um den politischen Islam in Österreich ist es wiederum Peter Pilz, der vorprescht. Er wolle keine "türkischen Verhältnisse" in Österreich. Aussagen, für die Pilz innerhalb der Partei "richtig gemobbt" werde, wie es ein Funktionär ausdrückt. Was diesem aber egal sei, schließlich "ziehe er sein Programm durch", auch in seiner, so ist zu hören, vermutlich letzten Legislaturperiode.
Über Jahrzehnte hinweg stellten sich die Grünen schützend vor die österreichischen Muslime, galt es doch, den rassistischen Angriffen der FPÖ Paroli zu bieten. Die Grünen wurden zur FPÖ-Antipode, die Politik der Strache-Partei zum deterministischen Maßstab für die eigenen Positionen. Das schweißt zusammen, und so fällt die Kritik an türkischen Vereinen mit Erdogan-Nähe sehr verhalten aus. Immerhin zur Forderung, den vom Erdogan-Regime Verfolgten in der Türkei Botschaftsasyl zu gewähren, kann sich Parteichefin Glawischnig durchringen. Grundsätzliche Kritik an den in der muslimischen Community verbreiteten Werthaltungen aber relativiert Glawischnig gerne - und kontert mit feministischen Ansätzen. "Wir reden viel zu wenig darüber, was da auch tatsächlich für Diskriminierungen passieren", sagte die Parteichefin im ORF-"Bürgerforum" im Februar 2015, zur Debatte um das neue Islamgesetz.
Bewegt sich etwas bei den grünen Positionen zum Thema politischer Islam? "Wir können uns nicht damit begnügen, die Reflexpartei der FPÖ zu sein", sagt Peter Pilz. Harald Walser ist optimistisch: "Ich habe schon das Gefühl, dass sich etwas bewegt. In der Türkei-Krise und bezüglich Terrorwelle haben wir klare Worte gefunden." Anderen geht das nicht weit genug: "Wenn ich einen österreichischen Nazi ablehne, warum kann ich das nicht bei einem Österreicher tun, der eine Türkei-Fahne in den Händen hält und einen totalitären Staat fordert?", empört sich ein weiterer grüner Spitzenfunktionär.
Der in Ungnade gefallene oberösterreichische Grüne Efgani Dönmez sieht kaum Chancen auf Bewusstseinswandel, jedenfalls nicht mit den derzeit handelnden Akteuren. Die Parteispitze werde von interner Kritik zu stark abgeschirmt. "Manche Botschaften verstehe ich, manche verstehe ich nicht", sagte Glawischnig im Jänner in der "ZiB2" in Bezug auf ihre Kritikfähigkeit. Vielen Wählern geht es möglicherweise ganz ähnlich.