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Unter Verrätern

Von Solmaz Khorsand

Politik

Werden Österreichs Imame an den heimischen Moscheen angenommen?


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Muslime sind eine heterogene Gruppe. Muslime sind Individuen. Und diese Individuen haben ihren individuellen Zugang zu ihrem Glauben. Genau das will der islamische Religionspädagoge Ednan Aslan in der aktuellen Studie "Muslimische Alltagspraxis in Österreich" klarmachen. Und zwar Muslimen und Nicht-Muslimen. Mit der "Wiener Zeitung" spricht er über empathische Wissenschafter, Gewalttheologie und über das erste Bachelorstudium für Islamische Theologie, das ab 2015 an der Universität Wien angeboten werden soll.

Wiener Zeitung: Herr Aslan, der Zwischenbericht ihrer aktuellen Studie besagt, dass Muslime hierzulande säkularer sind, als weithin angenommen. Nun ging im Dezember 2013 aus einer Befragung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung hervor, dass Muslime in Österreich fundamentalistischer seien als Christen, dass es für sie nur eine Auslegung des Korans gebe und dass religiöse Gesetze für sie wichtiger seien als die Gesetze des Landes, in dem sie leben. Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz?

Ednan Aslan: Viele Kollegen, die solche Studien in Europa durchführen, verfügen nicht über die theologische Kompetenz. Sie übersetzen christliche Fragen ins "Muslimische".

Zum Beispiel?

Wenn Sie einen jungen Muslim fragen, ob er regelmäßig in die Moschee geht, dann ist das die Übersetzung, ob ein junger Christ regelmäßig in die Kirche geht. Aber ein Muslim geht aus vielen verschiedenen Gründen in die Moschee. Er geht Fußball schauen, Billard spielen, zum Frisör oder trifft seine Freunde. Aus Jesus machen wir Mohammed, aus der Bibel den Koran, aus der Kirche, die Moschee. Wenn Sie so etwas machen, haben sie solche Ergebnisse. Außerdem macht unsere Studie auch auf die fundamentalisch-isolierten Gruppen aufmerksam und schließt diese Entwicklung nicht aus.

Was machen Ihre Wissenschafter anders?

Als muslimische Wissenschafter haben wir die Chance, dass wir die Sprache dieser Menschen aus der eigenen Betroffenheit kennen. Wir können mit ihnen offenere Gespräche führen und verstehen, was sie meinen.

Besteht nicht die Gefahr, dass Sie dann Ergebnisse beschönigen, frei nach dem Motto "das hat er doch gar nicht so gemeint"?

Jeder Wissenschafter - ob muslimisch oder nicht - muss darauf achten, die Neutralität in der Wissenschaft zu bewahren. Die Mehrheitsgesellschaft wird sagen, wir beschönigen. Und die Moscheen sagen, dass wir Verräter sind.

Weil es unislamisch wäre,wenn ein Muslim sagt, dass er nicht fünf Mal am Tag betet?

Genau.

Für viele Muslime, vor allem innerhalb der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ), sind Sie und Ihre Arbeiten zum "Islam europäischer Prägung" ein rotes Tuch. Woran liegt das?

Die Mehrheit der Muslime betrachtet die Beheimatung des Islams in Europa als Gefahr. Wenn der Islam hier heimisch wird, dann verliert man für eine bestimmte Gewalttheologie die Grundlage, die sich aus einer Konfrontation zum Westen nährt. Ohne diese Konfrontation verliert die Mehrheit der Vereine und Moscheen ihre Legitimität im europäischen Kontext.

Wie definieren Sie diese Gewalttheologie?

Damit meine ich nicht physische Gewalt, sondern seelische Gewalt - beispielsweise die Bedrohung mit der Hölle. Doch in unserer Forschung sehen wir, dass sich die Leute von dieser Theologie immer mehr entfernen. Jetzt kommen wir ins Spiel.

Damit meinen Sie den Bachelorstudiengang für Islamische Theologie, an dem Theologen, Pädagogen und Religionswissenschafter unter Ihrer Leitung seit 2013 feilen und das ab 2015 an der Universität Wien angeboten wird?

Richtig. Sehr viele Muslime sind mit den Verhältnissen in Europa überfordert und werden durch unsere Theologie eine Orientierung in ihrem Glauben finden. So werden wir diese Menschen entlasten.

"Ihre" Theologie stößt bei vielen, vor allem innerhalb der Islamischen Glaubensgemeinschaft, auf wenig Gegenliebe.

Wenn ich von einem Islam europäischer Prägung spreche, dann glauben viele Menschen, ich spreche von einer anderen Religion. Aber wir ignorieren die eigene Theologiegeschichte nicht. Wir werden den Islam nicht neu erfinden, aber wir werden ihn in unserem Kontext neu deuten. Diese Tradition ist genauso islamisch.

Wie verkaufen Sie das den Menschen in den Moscheen? Gehen Sie mit dieser Idee hausieren? Oder bleibt sie im akademischen Elfenbeinturm?

Ich verkaufe sie den Leuten, wie ich es Ihnen erkläre. Ich verpflichte mich der theologischen Tradition, aber ich erweitere diese Tradition. In keiner Gesellschaft können Sie eine Theologie über Nacht verändern. Das braucht seine Zeit. Ich gehe nicht in diese Moscheen und Vereine. Aber meine Aufgabe ist es, Absolventen auszubilden, die das tun.

Nur müssen diese Absolventen auch von den Vereinen akzeptiert werden. Immerhin war das Ziel des Studiums "Imame, made in Austria" auszubilden, und keine aus dem Ausland zu importieren. Mit Ihrem Ansatz könnten die heimischen Absolventen als liberale Elite von den Vereinen und Moscheen nicht angenommen werden?

Unsere Überlegung ist, dass es einen großen Bedarf für Seelsorger in verschiedenen Institutionen gibt. Wir brauchen mehr Seelsorger als Imame. Außerdem ist die Mehrheit unserer Studenten Frauen, die als Imame ohnehin keine Chance hätten, auch wenn sie von den Vereinen akzeptiert werden würden. Für sie müssen wir andere Beschäftigungsmöglichkeiten suchen. Sie haben die Möglichkeit, als Lehrerinnen oder als Seelsorgerinnen zu arbeiten.



Aber selbst um in einer Schule als islamischer Religionslehrer arbeiten zu können, brauchen die Absolventen den Stempel der IGGiÖ, die zwar als Beraterin in der Erarbeitung des Studiums involviert war, aber keine Veto-Rechte hatte.

Die Glaubensgemeinschaft und andere Organisationen können den einen oder anderen Absolventen ablehnen, aber sie können sich dem gesellschaftlichen Druck auf Dauer nicht widersetzen. Zurzeit haben wir diese Konfrontation mit der IGGiÖ nicht. Unsere Zusammenarbeit ist mit Spannungen verbunden, was für mich verständlich ist. Die Universität und die Glaubensgemeinschaft sollten nicht zusammengehen. Aber die Differenz darf nicht so groß sein, dass die Uni von der Glaubensgemeinschaft nicht verstanden wird.

In den vergangenen Jahren sind immer wieder Unterstützer aus Saudi Arabien, Qatar oder der Türkei an Sie herangetreten. Wie sind Sie ihnen begegnet?

Ich habe alle diese Vorschläge abgelehnt, weil ich den Islam als eine interne Angelegenheit betrachte. Wenn wir damit anfangen, dann können wir den Islam europäischer Prägung nicht machen, weil die Unterstützung nicht neutral ist.

Wie lange wird es dauern, bis sich Ihr Islam in Österreich etabliert?

Einen Erfolg können wir in Europa erst in zehn oder 20 Jahren wahrnehmen.

Wie meinen Sie mit Erfolg?

Ein Erfolg bedeutet, dass die Leute mündig und kritisch ihre theologische Geschichte reflektieren können. Und es bedeutet, dass die Frauen beginnen, sich als Theologinnen von dieser Gewalttheologie zu befreien und sagen: Ich denke weiter, wo Prophet Mohamed - Friede sei mit ihm - aufgehört hat.