5 Prozent haben Herbst-Depression. | Licht-Therapie und Medikamente helfen. | Wien. Jahr um Jahr passiert das Gleiche bei Hannah M.: "Es beginnt Ende August, wo sich erstmals ein flaues Gefühl einstellt. Je näher die Herbstmonate kommen, umso bedrohlicher werden diese Gefühle", erzählt die 37-jährige Wienerin, "verglichen zum Sommer bin ich ein anderer Mensch -lustlos, niedergeschlagen und am liebsten würde ich den ganzen Tag nur schlafen." Wiewohl die Wiener Journalistin schon mehr als zehn Jahre darunter leidet, hat sie bisher keinen Arzt aufgesucht. Die 37-Jährige lacht verlegen und sagt: "Ehrlich gesagt fühle ich mich sogar dafür zu schlapp."
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Das Problem von Hannah M. heißt SAD (saisonal abhängige Depression) - und betrifft nicht nur sie allein: Insgesamt sind in Österreich rund fünf Prozent davon betroffen, Frauen ums Dreifache häufiger als Männer. Was ist SAD? Mediziner vermuten, dass ein Mangel an natürlichem Tageslicht sowie verminderte Lichtintensität bestimmte biochemische Prozesse auslösen. Die daraus resultierenden Symptome beginnen meist ab September und verschwinden wieder im April.
In manchen Fällen ist der Leidensdruck derart groß, dass die Betroffenen Mühe haben, den gewohnten Alltag aufrechtzuerhalten, Kontakte zu Freunden und Bekannten abbrechen - und mitunter auch an Selbstmord denken.
Doch im Gegensatz zur herkömmlichen Depression sind bei SAD in der Regel weder Schlafstörungen noch Appetitlosigkeit zu beobachten, im Gegenteil: Üblicherweise schlafen SAD-Betroffene wesentlich mehr als sonst, und auch der Appetit ist alles andere als klein - mitunter drastische Gewichtszunahmen sind die Folge.
"Vor ein paar Jahren hatte ich einen SAD-Patienten, der kontunierlich jeden Winter 20 Kilo zugenommen, weshalb er sich zwei Garderobe-Sets zugelegt hat - eine Übergröße für den Winter und eine normale für den Sommer", erzählt Jürgen Stastny von der AKH-SAD-Spezialambulanz.
Das größte Problem ist indes, dass Betroffene oft jahrelang unter solchen Depressionen leiden, ohne jedoch die Ursache ihrer Beschwerden zu erkennen. "Es gibt Menschen, die das schon seit ihrer Jugend haben, sich aber erst 20 Jahre später behandeln lassen", berichtet Stastny.
Was kann man dagegen tun? Besonders gut und vor allem rasch sprechen viele Patienten auf eine Licht-Therapie an. Und wo das nichts nützt, hilft eine medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva. Was die milderen Formen der SAD angeht - davon sind rund 10 bis 15 Prozent der Österreicher betroffen -, ist es meist mit mehr Bewegung im Freien oder einem Urlaub in den Süden getan.
Und: Solariumbesuche helfen entgegen der landläufigen Meinung nicht, Depressionen zu lindern. Stastny: "Die Patienten sagen zwar, sie fühlen sich danach wohler, doch vom medizinischen Standpunkt aus hilft dies nichts bei der Behandlung derartiger Krankheiten."
Psychische Erkrankungen in Österreich
Psychische Erkrankungen sind in den vergangenen Jahren sprunghaft angestiegen - hört und liest man zumindest häufig. "Ob das tatsächlich stimmt, ist nicht sicher, denn die aktuellen Zahlen über die Anzahl psychisch Kranker hängen mit einer besseren statistischen Erfassung zusammen und mit der höheren Bereitschaft der Menschen, über ihre Probleme zu reden und sich behandeln zu lassen", meint Claudius Stein, Leiter des Kriseninterventionszentrums am Alsergrund. Derzeit leiden etwa neun Prozent der Österreicher an Depressionen, davon 1,5 Prozent in einer massiven Ausprägung. Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe seines Lebens mindestens ein Mal an einer Depression zu erkranken, ist jedoch weit höher und liegt bei 20 Prozent. Frauen sind davon doppelt so häufig betroffen wie Männer. In der Rangliste jener Krankheiten, die den Betroffenen am meisten Lebensqualität rauben, liegen Depressionen übrigens an erster Stelle. Depressionen sind die Hauptursache für die hierzulande begangenen Suizide. Seit den 1980ern (jährlich 2100 Tote) ist die Zahl der Selbstmorde rückläufig (2004 waren es 1418). Jedoch gab es im Jahr 2004 weit weniger Verkehrstote (876) als Selbstmörder.