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Unternehmen auf der Anklagebank

Von Daniela Wehlend

Wirtschaft

Juristische Per sonen direkt klagbar. | Experte: Gesetz soll zu präventiven Maßnahmen anhalten. | Wien. Mit der umständlichen Bezeichnung "Verbandsverantwortlichkeitsgesetz" (VbVG) ist zum Jahresbeginn das Unternehmensstrafrecht in Kraft getreten. Das Neue daran: Unternehmen können für Straftaten ihrer Mitarbeiter verklagt und zu Geldbußen verurteilt werden. Das bisherige Prinzip, nachdem nur natürliche, nicht aber juristische Personen verklagt werden konn ten, ist damit durchbrochen.


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"Hinter dem Begriff "Verband" verstecken sich im Wirtschaftsleben tätige juristische Personen wie AG und GmbH", erklärt der Wiener Strafrechtsprofessor Wolfgang Brandstetter. Auch Vereine, Parteien oder Stiftungen sind eingebunden. Nicht betroffen sind Gebietskörperschaften, Verlassenschaften und anerkannte Religionsgemeinschaften.

Mit dem VbVG setzte Österreich eine EU-Richtlinie um, "sehr spät im internationalen Vergleich", wie der Wirtschaftsstaatsanwalt Georg Krakow betont. Jedes strafrechtliche oder finanzstrafrechtliche Delikt kann nun zur Unternehmenshaftung führen, wenn es von Entscheidungsträgern (Vorstände, Geschäftsführer, Anm.) oder Mitarbeitern für das Unternehmen begangen wurde. Bei Straftaten von Mitarbeitern hängt die Belangbarkeit des Unternehmens davon ab, ob Entscheidungsträger die Tat "erleichtert oder ermöglicht" haben.

Unternehmen müssen aufräumen

Für geschädigte Konsumenten bringt das Gesetz den Vorteil, sich privat an einem Strafverfahren gegen ein Unternehmen beteiligen zu können. Die Chance auf Schadenersatz wird dadurch erhöht. Dabei ist es nicht immer notwendig, den Täter genau zu kennen.

Für Verbände und Firmen stellt sich jetzt die Frage, wie man den Vorwurf, Straftaten von Mitarbeitern "ermöglicht oder erleichtert" zu haben, abwehrt. "Unternehmen sollen ihre eigenen Risikobereiche erkennen und vorsorgen", meint Fritz Zeder, leitender Staatsanwalt im Justizministerium. Experte Brandstetter erkennt hier den größten Nutzen des Gesetzes: "Die Bedeutung präventiver Maßnahmen steigt. Unternehmen werden sich mehr Überprüfungen von außen gefallen lassen."

Betroffene Firmen als Hilfssheriffs?

Übrigens müssen Geschädigte nicht immer bis zum Richter. Das VbVG gestattet Diversion (Abwenden eines Gerichtsverfahrens durch Leistungen wie Geldzahlung oder Tatausgleich). "Hier wird viel im Vorfeld geklärt werden", ist sich Brandstetter sicher.

"Der Verband wird aber nicht zur Hilfspolizei", erklärt Staatsanwalt Krakow, "Verbrechen im vornherein zu verhindern, ist nicht seine Aufgabe." Scharfe Waffe der Unternehmen werden Gutachten sein, die genügend Kontrolle bescheinigen, um im Ernstfall Vorwürfen entsprechend zu begegnen. Für Wolfgang Brandstetter bedeutet das eine "spürbare Belastung für die Wirtschaft". Auch Franz Kronsteiner, Vorstandsdirektor der D.A.S. Rechtsschutzversicherung, ist von den "gravierenden Auswirkungen" überzeugt. Seine Versicherung hat ihr Angebot jedenfalls um "strafrechtliche Präventionsberatung" erweitert.

Verbandsmord und Verbandsterror

Für Kritik hatte im Vorfeld die Festlegung der Geldbuße auf höchstens 1,8 Millionen Euro, konkret 180 Tagsätze zu maximal 10.000 Euro, geführt. "Zu niedrig", lautete der Tenor von SPÖ, Grünen, und Arbeiterkammer. Auch kann die Höchstsumme nur verhängt werden, wenn eine natürliche Person für die betreffende Straftat mit 20 Jahren oder lebenslänglicher Haft bedroht wäre. Dies ist unter anderem bei Mord und bestimmten terroristischen Verbrechen der Fall. "Der Verbandsmord kommt allerdings nicht oft vor", so der Wiener Rechtsanwalt Florian Kremslehner augenzwinkernd. Strafrechts-Ordinarius Brandstetter gib die Struktur der heimischen Wirtschaft zu bedenken: "Über 90 Prozent aller österreichischen Unternehmen sind Klein- und Mittelbetriebe. Vor diesem Hintergrund ist die Geldbuße nicht zu niedrig." Brandstetter hält die Vorgaben der EU sogar für "übererfüllt". So sei in Deutschland die Strafbarkeit von Unternehmen auf Delikte des Verwaltungsstrafrechts beschränkt.