Egal, welcher geschlechtsspezifische Einkommensunterschied - jeder hat Konsequenzen auf das Leben von Frauen.
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Mittlerweile gibt es keine für das Einkommen relevante Unterschiede, die junge Frauen und Männer ins Berufsleben mitbringen. Im Gegenteil: Junge Frauen starten eigentlich mit besseren Voraussetzungen. Unter den Studienabsolventen waren zuletzt 66,5 Prozent Frauen, 33,5 Männer. Mehr als die Hälfte der Frauen eines Jahrgangs macht erfolgreich eine Matura, bei den Männern aber nur ein gutes Drittel.
Seit mehr als 40 Jahren, seit 1979, müssen Frauen laut Gesetz für gleiche oder gleichwertige Arbeit gleich wie Männer entlohnt werden - trotzdem müssen Frauen damit rechnen, für ihre Arbeit weniger Einkommen zu erhalten als männliche Kollegen.
Sie sind rar gesät, die sogenannten Zwillingsstudien über das Einkommen von Frauen und Männern in parallel verlaufenden Karrieren. An einer der wenigen, 2009 veröffentlichten, hat Anett Hermann, Lektorin am Institut für Gender und Diversität in Organisationen an der Wirtschaftsuniversität Wien, mitgearbeitet.
Analysiert wurden die ersten zehn Berufsjahre von WU-Absolventinnen und -Absolventen nach deren Karrierestarts. Und zwar von solchen mit gleich gutem Abschluss, gleichem Alter, ähnlicher Persönlichkeit, Einstellung zur Karriere und vergleichbarem Elternhaus. Sogar bei den sogenannten mikropolitischen Strategien glichen sich die 43 Frauen und 51 Männer: Sie pflegten gleichermaßen karriererelevante Kontakte in Netzwerken.
Trotz gleicher Wochenarbeitszeiten und denselben Kinderbetreuungspflichten (nämlich keine), gleicher Größe des Unternehmens, also gänzlich Erklärbares, das zu Einkommensunterschieden führen kann, starteten die Frauen mit 2,2 Prozent weniger Gehalt, im fünften Jahr lag der Unterschied bei 9,2 Prozent, im zehnten Jahr bei 26,9 Prozent.
Frauen wird ausGewohnheit weniger bezahlt
Warum ist das so? Hermann stellt Vermutungen an: "Es könnte sein, dass Frauen schlechter Gehaltsverhandlungen führen oder ihre Leistungen weniger deutlich aufzeigen. Es könnten auch strukturelle Unterschiede im Unternehmen sein, dass Männer bessere Projekte erhalten, was dann zu mehr Erfolg, mehr Wahrnehmung und besserer Bezahlung führt. Außerdem sind es Unternehmen gewohnt, Frauen weniger zu bezahlen."
Eine zusätzliche qualitative Befragung der "Zwillinge", um diesen Dingen auf den Grund zu gehen, wurde damals nicht finanziert, genauso wenig wie eine neue Auswertung der "Zwillinge" heute. Hermann glaubt aber, dass "die Einkommensunterschiede heute ähnlich sind, sich zum Teil noch verschärft haben". Wegen Rückschritten bei der Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit: "Neben erfolgreichen Karrierefrauen gibt es auch wieder mehr Frauen, die in tradierte Rollenbilder schlüpfen, was sich auf das berufliche Engagement auswirkt."
Der am Mittwoch veröffentlichte EU-Vergleich zeigt einen durchschnittlichen Unterschied beim Bruttostundenlohn von 19,6 Prozent zwischen Frauen und Männern generell, EU-weit liegt er bei 15,7 Prozent. Frauen erhalten also auch nicht nur wegen ihrer oft geringeren Arbeitszeit weniger Einkommen, sondern auch unabhängig davon. Tamara Geisberger, Expertin für Gender-Unterschiede bei der Statistik Austria, machte sich 2014 auf die Suche nach den Gründen für den Gender-Pay-Gap, damals lag er übrigens bei 22,2 Prozent. Gut ein Drittel des Gender-Pay-Gaps ließe sich durch Faktoren wie zum Beispiel Branche oder Beruf erklären lassen. Fast zwei Drittel aber, damals 13,6 Prozentpunkte aber nicht.
Sybille Pirklbauer, Expertin der Frauenabteilung der Arbeiterkammer Wien, zeigen solche Studien, dass "Frauen nicht selbst schuld sind am Gender-Pay-Gap. Sie werden selbst wenn sie mit der gleichen Ausgangslage loslaufen, beim Einkommen von Unternehmen und der Gesellschaft zurückgelassen." Sollen Frauen mehr Lohn oder Gehalt verlangen? "Ja, aber eine Studie zeigt, dass Frauen gleich oft nach Lohnerhöhungen verlangen wie Männer. Sie bekommen sie nur seltener." Konkret nachzulesen ist das in "Do Women Ask?" von Amanda H. Goodall vom IZA Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit und zwei ihrer Kollegen. Sie haben 4600 Beschäftigte in 800 australischen Unternehmen befragt. Frauen waren mit ihrer Frage nach Lohn- oder Gehaltserhöhungen um ein Viertel weniger häufig erfolgreich als Männer: 20 Prozent der Männer erhielten mehr Geld, bei den Frauen waren es nur 16 Prozent.
Was Wirtschaft, Staat und Frauen tun könnten
"Außerdem trägt nicht die einzelne Frau die Verantwortung für Lohndiskriminierung, sondern der Arbeitgeber. Er hat die volle Transparenz über die Einkommen seiner Mitarbeiter", sagt Pirklbauer. Das bestätigte der Oberste Gerichtshof in einem Arbeitsrechtsprozess von 1998. Eine Grafikerin hatte ihren Arbeitgeber geklagt, weil sie trotz gleichwertiger Arbeit weniger Gehalt als ihr Kollege erhalten hatte. Der Arbeitgeber argumentierte damit, die Kollegin hätte weniger Gehalt verlangt. Das Gericht aber stellte fest, dass er trotzdem "verpflichtet gewesen, die ungleiche Entlohnung zu beseitigen" - der Unternehmer hätte also etwas tun müssen.
Auch die erklärbaren Unterschiede bieten Ansatzpunkte, wo Staat, Wirtschaft und Frauen ansetzen könnten, um den Gender-Pay-Gap zu schließen: 3,2 Prozentpunkte sind mit der Branche erklärbar. Männer drängen in die Sachgüter-Produktion, bei Frauen ist der Handel die beliebteste Branche; die Industrie bezahlt mehr als die Frauenbranche.
3,0 Prozentpunkte erklären sich dadurch, dass eine in Vollzeit gearbeitete Stunde durchschnittlich besser bezahlt ist, als eine Teilzeit. Was auf den ersten Blick unlogisch erscheint, weil man in Teilzeit produktiver ist. Auf den zweiten Blick zeigt sich aber, dass es mehr Teilzeit-Arbeit im Niedriglohnbereich gibt als für Hochqualifizierte. Der Beruf erklärt 2,8 Prozentpunkte des Gender-Pay-Gaps: Frauen arbeiten zum Beispiel häufig als Bürokraft, ein Aufstieg in Führungspositionen ist da weit seltener. 2018 hatten 3,5 Prozent der Frauen eine inne, aber 7,9 Prozent der Männer.
Lösung wären beispielsweise höhere Kollektivvertragsabschlüsse in Frauenbranchen. Unternehmen könnten mehr Teilzeit für Hochqualifizierte schaffen und weibliche Führungskräfte fördern. Wenn sich da zu wenig tut, könnten Mädchen und Frauen auch selbst schlecht bezahlte Branchen und Berufe meiden. Was allerdings nur sehr langfristig Veränderung bringt, nicht den Frauen, die bereits in diesen Arbeiten hilft. Veränderung sind jedenfalls möglich: Die bessere Bildung von Frauen mildert den Einkommensunterschied schon heute etwas ab, auch weniger Arbeit im Rahmen von Lehrvertrags wirkt sich positiv auf den Wert der weiblichen Arbeitsstunde aus.
Für die Frauen selbst relevant ist auch das Einkommen, dass sie pro Jahr erhalten. Schließlich ist es das, was sie zum Leben weniger in der Tasche zur Verfügung haben: Jährlich verdienen Frauen mit 21.996 Euro im Median um 36,7 Prozent weniger als Männer. Für Beamtinnen und Vertragsbedienstete ist der Gap deutlich kleiner, für Arbeiterinnen mit 55,4 Prozent und Angestellte mit 47,3 Prozent aber weit größer. Das wirkt sich negativ auf Transferleistungen wie das einkommensabhängige Kindergeld oder das Arbeitslosengeld schon während des Arbeitslebens aus.
Selbständigkeit schützt nicht vor Gender-Pay-Gap
Auch eine Selbständigkeit schützt nicht vor Unterschieden beim Einkommen: Laut Steuerstatistik erzielten Frauen, die 2017 selbstständig tätig waren, ein Jahreseinkommen im Median, (also 50 Prozent mehr, 50 weniger) vor Steuer von 8.164 Euro, also weniger als die Hälfte der 16.318 Euro von Männern. Dabei sind nur einkommenssteuerpflichtige Unternehmen erfasst, nicht aber weiblich und männlich geführte GmbH. Und gerade Einpersonen-Unternehmen drücken das Niveau nochmals nach unten.
Dass es Einkommensunterschiede bei Selbständigen gibt, weiß man auch bei "Frau in der Wirtschaft" bei der Wirtschaftskammer. Innerhalb einer Branche stelle man keine Unterschiede fest. Alle hätten die gleiche unternehmerische Freiheit, den Preise für Dienstleistungen und Produkte selbst zu gestalten. Frauen sind allerdings auch als Unternehmerinnen eher in frauentypischen Branchen selbständig. Und die Steuerstatistik zeigt, dass Selbständige mit Dienstleistung für ein Unternehmen oder in der IT deutlich mehr Einkommen erzielen lässt als mit sozialen Dienstleistungen.
Und: Das Vereinbarkeitsthema gibt es auch bei den Selbständigen. Auch wenn die Wochenarbeitszeit hauptberuflich tätiger Unternehmerinnen im Jahr 2017 mit durchschnittlich 48 Wochenstunden laut KMU Forschung hoch war, Unternehmer gaben 55 Stunden pro Woche an. Auch bis zu 35 Stunden Teilzeit ist bei Frauen mit 32 Prozent häufiger als bei Männern, da sind es 16 Prozent.
Die Einkommensunterschiede erhöhen sich im Laufe der typischen Frauenkarriere durch längere Erwerbsunterbrechungen insbesondere von Müttern, teils auch, weil sie früher in Pension gehen.
Zwar gibt es keine Längsschnittdaten, die Wifo-Pensions-Expertin Christine Mayrhuber zeigt mit Beispielen auf, wie sich Lebensentwürfe von Frauen auf das Einkommen und damit auf die Pension auswirken.
Eine Technikerin mit einem mittleren Einkommen von 2585,90 Euro im Monat erwirtschaftet im Laufe ihres Lebens zwar für Frauen untypisch hohe 1,5 Millionen Euro. Geht sie nach zwei Jahren in Karenz aber nicht weitere zwei in 20 Stunden Teilzeit arbeiten, sondern 15 Jahre lang, verringert sich ihre Pension später von 2009 Euro auf 1690 Euro. Noch negativer wirkt sich ein Berufsausstieg: Nach 15 Jahren ohne Erwerbsarbeit, danach 20 Stunden Teilzeit bis zur Pension, sinkt auch die Pension einer gut verdienenden Technikerin auf dann 700 Euro.
Auch die "echten" Erwerbsverläufe sorgten laut Mayrhuber für einen deutlichen Pensionsgap: Männer, die 2018 in Pension gingen, erhielten im Median 2232 Euro monatlich, Frauen aber nur 1133 Euro - also um 49 Prozent weniger. "14 Prozentpunkte sind der geringen Anzahl an Betragsjahren geschuldet." Konkret sammeln Frauen um acht weniger als Männer an, drei davon fehlten Frauen übrigens am Ende ihres Erwerbslebens, weil sie 2018 im Alter von knapp 60, Männer aber mit 63 in Pension gingen. Der Pensions-Gap ist also vor allem eine Folge geringerer Fraueneinkommen davor.
Frauen sind sich ihrer oft geringen Pension bewusst
Auch auf die Frage: "Erhalten Frauen wegen ihrer höheren Lebenserwartung bis zum Lebensende mehr?", hat die Wifo-Expertin eine Antwort, und zwar: Nein. Der Unterschied lässt sich auch so nicht mehr wettmachen. Frauen leben ab ihrem Pensionsantritt im Durchschnitt noch 25 Jahre, erhalten in Summe 340.000 Euro bis zu ihrem Lebensende. Bei Männern summieren sich die 2232 monatlich in 20 Jahren auf 536.000 Euro. Sie erhalten also trotz geringerer Lebenserwartung um 36 Prozent mehr als Frauen.
"Dass der Pensionsunterschied groß sein wird, ist den Frauen bewusst", sagt Forba-Mitarbeiterin Ingrid Mairhuber. Sie hat für das EU-Projekt Trapez, was für "Transparente Pensionszukunft" steht, österreichweit Frauen zwischen 30 und 55 Jahren interviewt. "Die Frauen empfinden das als große Ungerechtigkeit. Selbst jene, die eine traditionelle Arbeitsteilung in der Familie gewählt haben." Weniger klar sei den Frauen, dass es in Österreich keine "echte" Mindestpension gibt, die sie jedenfalls erhalten.
Mit der Ausgleichszulage von aktuell 966,65 Euro als Minimum dürfen nur alleinstehende Frauen rechnen. Für jene mit Ehemann oder -frau mit Einkommen oder Pension, gibt es nur die am Pensionskonto sichtbare selbst erwirtschaftete Pension.
"Die Frauen wünschen sich, dass die unbezahlte Arbeit davor in der Pension mehr wert ist", sagt Mairhuber von Forba. Mayrhuber vom Wifo empfiehlt, "Lohnpolitik nicht nur nach Produktivitätsfortschritten zu machen, sondern auch vor dem Hintergrund der Alterssicherung zu sehen." Außerdem weist sie auf die vielen prekär arbeitenden Einzelselbstständigen hin, die im Alter keine existenzsichernde Pension erwartet. Eile ist geboten, "Hauruck-Aktionen, die nur die Legislaturperiode im Fokus haben", aber nicht. Denn: "Alterssicherung ist ein Denken in Jahrzehnten." Vielleicht lassen sich gleiche Einkommen doch rascher realisieren.