Zum Hauptinhalt springen

Unterwasserskelett

Von Alexandra Grass und Eva Stanzl

Wissen

Frühamerikanische Einwohner stammten aus dem einst zu Sibirien gehörenden Beringia, das heute versunken ist.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Washington/Wien. Naja befand sich auf der Suche nach Wasser, fiel dabei in ein riesiges Erdloch und verstarb in der Tiefe. Heute, mindestens 12.000 Jahre später, haben Unterwasserforscher in einem Höhlensystem auf der mexikanischen Halbinsel Yucatan das Skelett des damals etwa 15-jährigen Mädchens entdeckt. Es ist das weltweit älteste, fast vollständig erhaltene menschliche Knochengerüst und liefert eindeutige Hinweise auf die frühe Besiedlung Amerikas.

"Hoyo Negro" (spanisch für schwarzes Loch) heißt jener Ort, an dem das Unglück passiert ist, das US-Forscher um den Anthropologen James Chatters von der Central Washington University aufgedeckt haben und in der jüngsten Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "Science" skizzieren. Die Höhle liegt heute rund 40 Meter unter dem Meeresspiegel und kann nur von Tauchern erreicht werden. Damals war die Situation allerdings noch eine andere. Denn erst als vor etwa 10.000 Jahren die ersten Gletscher anfingen zu schmelzen, füllte sich Hoyo Negro mit Wasser.

Ein zierliches Mädchen

Das Höhlensystem Sac Actun, in dem sich Hoyo Negro befindet, "ist sehr komplex", erklärt die Unterwasserforscherin Patricia Beddows von der Northwestern University, eine der Entdeckerinnen des Skeletts. Doch die Erscheinung dürfte sich im Lauf der Jahrtausende nicht verändert haben, außer dass sich der Wasserspiegel vor 12.000 Jahren eben noch am Boden des Höhlenschafts befunden hat.

Bei der Bestimmung des Alters des Mädchens halfen den Wissenschaftern nicht nur die Knochen und Zähne, sondern auch Überreste von längst ausgestorbenen Säbelzahntigern und frühen Elefantenarten, die in der Nähe von Naja, wie das Mädchen vom Taucherteam genannt wurde, gefunden wurden. Vor Ort lagen auch Knochen von Riesenfaultieren, die in Nordamerika etwa vor 13.000 Jahren ausgestorben sind.

Die Anthropologen gehen davon aus, dass es sich bei dem Teenager um ein zierliches Mädchen mit einer Körpergröße von 147 Zentimetern gehandelt hat. "Die Erhaltung der Knochen in dieser wassergefüllten Höhle ist atemberaubend", erklärt Beddows: "Der makellose Zustand ermöglichte es unserem Team, genug DNA zu bestimmen, um den genetischen Code mit jenem der heutigen Indianer zu vergleichen", berichtet sie.

Der Fund gibt erstmals Aufschluss über die Frage "Wer waren die ersten Amerikaner?" Die unterschiedliche Schädelform der ersten Einwanderer Amerikas und der heutigen indigenen Bevölkerung hat nämlich immer wieder Zweifel an der These einer einzelnen Siedlergruppe genährt. Den Theorien zufolge könnten die ursprünglichen Bewohner des Doppelkontinents (und damit auch heutiger Indianer) aus Ostasien, Westasien, Japan, Beringia oder aber auch Europa stammen.

Najas Schädelform unterscheidet sich zwar von jener heutiger Indianerinnen. Doch Untersuchungen ihrer mitochondrialen (von der Mutter vererbten) DNA ergeben, dass sie den Haplotyp D1 hatte, der darauf hindeutet, dass die ersten amerikanischen Einwanderer aus Beringia stammen. Der Haplotyp bezeichnet individuen-, populations- oder artspezifische Gene.

Beringia lag einst auf den Landmassen Sibiriens, Alaskas und Yukons und ist heute im Meer versunken. Frühmenschen zogen einst aus anderen Teilen Asiens hier her. Sie entwickelten einen speziellen Haplotyp, den heutige Indianer in Amerika ebenfalls aufweisen. Obwohl sich also die Schädelform verändert hat, schöpfen die beiden Gruppen aus demselben Genpool.

Als Kennett und Brendan Culleton von der University of Pennsylvania versuchten, die Knochen mittels der herkömmlichen DNA-Analysemethoden zu datieren, stießen sie allerdings auf Probleme: Die Knochen hatten sich im warmen Salzwasser der Kalksteinhöhle Hoyo Negro mineralisiert. Die Wissenschafter untersuchten daher den Zahnschmelz des Mädchens und überprüften Ablagerungen auf den Knochen mit zwei verschiedenen Techniken, der Radiocarbonmethode und der Uran-Thorium-Methode.

Das Erbe Mexikos

Die Gesamtergebnisse stützen die Ansicht, wonach Menschen aus dem heutigen Asien zunächst vor 18.000 bis 26.000 Jahren die Landbrücke Beringia zwischen Sibirien und Alaska bevölkerten und sich später weiter nach Süden ausbreiteten. Das Erbgut des Mädchens weise Ähnlichkeiten mit dem Genom heutiger indigener Völker in Amerika auf. Es müssen allerdings noch weitere Untersuchungen gemacht werden, um die Erkenntnisse zu bestätigen.

"Diese Entdeckungen sind extrem bedeutend", erklärt Pilar Luna, Direktor der Unterwasserarchäologie des mexikanischen National Institute of Anthropology and History. "Sie beleuchten nicht nur den Ursprung der heutigen Bewohner der USA. Sondern sie zeigen ebenso das paläontologische Potenzial von Yucatan als auch die Bedeutung dieses einzigartigen mexikanischen Erbes."