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Unterwegs in unsichere Zeiten

Von Walter Hämmerle

Politik

Experten diskutierten in Wien über "Macht und Einfluss im 21. Jahrhundert".


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Wien. Steuert die Welt auf einen neuen Titanenkampf zu, nur diesmal zwischen den USA und China? Kommt eine Neuauflage des Kräftegleichgewichts, wie es Europa nach dem Wiener Kongress erlebte, nur diesmal in globalem Maßstab? Werden Staaten in der internationalen Politik des 21. Jahrhunderts überhaupt noch die dominierende Rolle spielen oder nehmen ihnen Konzerne, womöglich sogar Terroristen das Heft aus der Hand? Ist der Abstieg Europas und der Aufstieg Asiens tatsächlich in Stein gemeißelt?

Fred Sinowatz könnte seinen Satz, nach dem alles sehr kompliziert ist, durchaus auch auf das System der internationalen Beziehungen gemünzt haben. Ein hochkarätiges Symposion unter dem Titel "Weltpolitik - Macht und Einfluss im 21. Jahrhundert" suchte in Wien auf Einladung des Österreichischen Instituts für Internationale Politik und der deutschen Hanns Seidel Stiftung nach plausiblen Antworten.

Die Staaten sind strukturell überfordert

Demnach kann auf absehbare Zeit von den klaren Verhältnissen, wie sie der Kalte Krieg und anschließend die Hegemonie der USA verkörperten, keine Rede sein. Volatilität bleibt zentrales Charakteristikum. Fast alle Staaten haben mit einer strukturellen Überforderung zu kämpfen. Eine skeptische, gleichwohl realistische Prognose könnte demnach für die ansonsten gerne hochgejubelten BRICS-Staaten folgendermaßen aussehen: Chinas Weg ist völlig offen, Politik und Gesellschaft befinden sich in einem revolutionären Zustand, Implosion nicht ausgeschlossen; hinter Russlands staatlichem Zusammenhalt steht angesichts der demografischen Umwälzungen - Sibirien wird zunehmend entvölkert, Muslime werden demnächst die Mehrheit stellen - ein großes Fragezeichen; Indien ist zwar die größte Demokratie, dennoch hat die Zentralregierung ihr Gewaltmonopol über ein Sechstel des Territoriums verloren; Südafrika droht an den sozialen Spannungen zu scheitern; einzig Brasiliens Politik scheint den Ansprüchen seiner Bürger halbwegs gerecht werden zu können. Dass sich nach der Ära der US-Hegemonie auf absehbare Zeit keine neue klare Machtordnung etabliert, hängt für die Experten vor allem mit dem "Primat der Innenpolitik" in sämtlichen wichtigen Staaten zusammen. Egal, ob in Washington, Peking, New Delhi oder auch Moskau, überall hat die Lösung innenpolitischer Probleme absoluten Vorrang vor außenpolitischen Herausforderungen; und für Europa gilt das in einem noch viel stärkeren Ausmaß. Mancher fühlt sich dabei an die Zwischenkriegszeit der 20er und 30er Jahre im 20. Jahrhundert erinnert, als ebenfalls eine Weltwirtschaftskrise alle Aufmerksamkeit der Politik absorbierte.

Beginn einer neuen Ära ohne historisches Vorbild

Gegen diese Analogie regt sich jedoch Widerspruch. Die Suche nach historischen Parallelen könne nichts zur Erklärung beitragen, wir lebten "in einer neuen Welt ohne historische Vorbilder", wird argumentiert. Also Schluss mit all den Fantasien eines neuen kalten Krieges zwischen den USA und China, weg mit den Vorstellungen eines Kräftegleichgewichts à la Henry Kissinger und Klemens Fürst von Metternich, weg mit dem Traum einer unipolaren Ordnung unter einem wohlmeinenden Hegemon mit Sitz in Washington.

Tatsächlich stehen die Anzeichen auf einen teilweisen Rückzug der USA von ihrer weltweiten Ordnungsrolle; China wird demgegenüber an Einfluss gewinnen, allerdings auf absehbare Zeit nicht zu einer globalen Führungsmacht aufsteigen, wenngleich unübersehbar ist, dass Peking auch in Sachen "Soft Power" - etwa über die staatlich finanzierten und weltweit tätigen Konfuzius Institute - zulegt. In einzelnen Weltregionen wird deshalb die Stabilität erodieren, aber nicht völlig zusammenbrechen.

In einem optimistischeren Szenario springen Institutionen wie die Welthandelsorganisation, die OECD, Nato, EU, Ärzte ohne Grenzen, Roter Halbmond, die Internetregulierungsbehörde, der Bankenverband und unzählige weitere Einrichtungen den Staaten bei, ein Mindestmaß an Ordnung in der internationalen Politik aufrechtzuerhalten. All diesen Organisationen kommt zugute, dass im 21. Jahrhundert der Begriff der Macht zunehmend vielgestaltig wird und konzeptionell kaum mehr zu fassen ist.

Und wer sich nun fragt, wo Europa in all diesen Überlegungen bleibt, dem sei geantwortet: Weder EU noch Berlin, London oder Paris wird zugetraut, international eine Rolle zu spielen.