Was erzählen eigentlich all die Sprichwörter und Redensarten, die uns zu den Weihnachtstagen wie auch zum Jahreswechsel so gern über die Lippen kommen?
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In diesen letzten Tagen des Jahres bekommt das tröstliche Sprichwort "Jeder hat sein Päckchen zu tragen" eine ganz besondere Bedeutung, wenn man durch die Fußgängerzonen geht. Die Geschenkladungen in Säcken und Kartons belasten die Käufer nicht nur wegen ihrer Schwere, man sieht den Menschen auch die Schwere der Wahl an, die getroffen werden musste - oder noch zu treffen ist.
Nur mancher an den Glühweinständen "grinst wie ein Honigkuchenpferd". Die gibt es hie und da sogar noch zu kaufen: Lebkuchen in Pferdegestalt mit einem weißen Zuckergussgrinsen, das Menschen eher dümmlich zu Gesichte steht. Doch im Dunst des heißen Würzweins kommt man sich, zumal mit einem Lächeln, leicht näher. Wie heißt es im Volksmund: "Wenn der rechte Joseph kommt, sagt Maria Ja."
Das Wort ward Fleisch
In der Bibel sagte Maria umso lieber Ja, als sie "wie die Jungfrau zum Kind gekommen" war. Ganz ahnungslos blieb sie, bis Erzengel Gabriel ihr verriet, wer sie geschwängert hatte. Zum Glück war Joseph kein "eingefleischter" Junggeselle und nahm Maria, obwohl sie das Kind eines anderen unter dem Herzen trug. Das Wort "eingefleischt" hat übrigens mit der Weihnachtsgeschichte ganz direkt zu tun, liest man doch im lateinischen Glaubensbekenntnis über die göttliche Empfängnis: "et incarnatus est de spiritu sancto ex Maria virgine et homo factus est".
Das übersetzt man reichlich schwach mit "empfangen durch den Heiligen Geist, geboren durch die Jungfrau Maria". Doch "incarnatus" heißt wörtlich "eingefleischt"! An andrer Stelle der Bibel liest man: "Das Wort ward Fleisch . . .", und so muss man es verstehen. In diesem Sinne kam es zum redensartlichen "eingefleischt": Wie der Gottessohn ins Fleisch überging, so gehen Meinungen oder Haltungen in Fleisch und Blut über.
Keine Angst, "ich bin mit meinem Latein am Ende", jedenfalls für diesen Artikel, obwohl man in diesen Tagen oft hört, ein Geschenk sei das "non plus ultra", wörtlich übersetzt "nicht mehr außerhalb". Klar, es bedeutet "besser geht es nicht". In alten Zeiten meinte man damit vor allem die Grenzen der Welt, die man bei den "Säulen des Herakles", also der Straße von Gibraltar, ansetzte. Dieses geografisch Äußerste übertrug man auf die äußerste Qualität. Und Lateinschüler, die gerne mit ihren römischen Brocken angaben, kamen rasch an die Grenzen ihrer Kenntnisse, waren also "mit ihrem Latein am Ende".
Man könnte auch jahreszeitlich treffend sagen, "sie kamen auf keinen grünen Zweig". Diese Redensart für Erfolglosigkeit entspringt einerseits der Vorstellung, dass ein grüner Zweig für Fruchtbarkeit und Wachstum steht, und entstammt andererseits alten Bräuchen beim Grundstücksverkauf. Der Käufer bekam zum Abschluss des Rechtsaktes vom Verkäufer ein Stück Erde mit einem grünen Zweig darin, eine symbolische, sinnlich erfahrbare Übergabe also.
Ihnen wünsche ich natürlich erfolgreiche Käufe - und nicht nur dabei genügend Orientierungssinn. In Russland sagt man, wenn man zu verwirrt ist, das Offensichtliche oder vor den Augen Liegende zu sehen: "Ich verirrte mich zwischen drei Fichten." Wenn die Auswahl an Christbäumen klein geworden ist, kann das schon passieren! Und passen Sie auf, dass Sie nicht in jemanden hineinrennen. Der könnte sonst schimpfen: "Haben Sie nicht mehr alle auf dem Christbaum?!" Eine Redensart, die mit der Geistesabwesenheit und der Unvollständigkeit der Sinne spielt, genau wie "nicht mehr alle Tassen im Schrank haben".
"Ein Geschenk des Himmels", also eine überraschende, unverdiente Gabe, kann Weihnachten aber trotz aller Hektik werden. Die beste Möglichkeit für inneren Frieden ist, sich einfach dem Rummel zu entziehen, sich auszuklinken aus dem Getriebe. Das geht besser, als man denkt. Wie schön, wenn man dann wirklich zusammensitzen kann und Ruhe einkehrt! In so einem Moment plötzlicher Stille scheint es, als wäre ein göttlicher Botschafter präsent. Und deshalb sagt man: "Ein Engel geht durchs Zimmer."
Wie für die Weihnachtstage, finden sich auch für die Silvesterzeit stimmige Redensarten und Sprichwörter: Eigentlich sollte man sich Silvester "im Kalender rot anstreichen", so wichtig ist der Tag, so viele Hoffnungen und Ideen verbinden sich mit diesem Datum. Schon im frühen Christentum hob man wichtige Festtage mit roter Farbe hervor. Auch in Texten schrieb man den ersten Buchstaben eines Kapitels größer, dazu mit roter Farbe. Das nannte man nach dem lateinischen Wort "rubrum" für "rot", dann "rubrizieren". Daraus entstand unser Begriff "Rubrik" für Abteilung oder Kapitel.
Ein neues Kapitel aufzuschlagen - mit diesem Gedanken trägt man sich fast jedes Jahr zu Silvester. Tatsächlich bietet sich ja die Gelegenheit, die Jahreswende als "Scheideweg" aufzufassen. Besonders berühmt wurde dieses Bild eines Lebens vor der Entscheidung durch den Mythos des Herkules. Er soll als junger Mann an eine Weggabelung gekommen sein, an der zwei Frauen standen: schön gekleidet, verführerisch und strahlend die eine, unscheinbar, verlegen und leise die andere.
Die Auffälligere lockte ihn zu ihrem Weg, auf dem Glück, Reichtum und Wohlleben auf ihn warteten, die andere bot dagegen nur einen Weg voller Mühsal und Arbeit, an seinem Ende freilich stünde Verehrung durch Götter und Menschen. Herkules hörte auf die Unscheinbare und wurde nach allerlei Heldentaten unsterblich.
Ähnliche Geschichten gibt es in vielen Kulturkreisen. Oft entwickelt sich der Held darin aber erst spät zu einem guten Menschen, und auch das nicht immer freiwillig. Der Apostel Paulus etwa gehört zu ihnen. Er arbeitete mit Fleiß und unter dem Namen Saulus als Christenverfolger, bis er sein sprichwörtlich gewordenes "Damaskus erlebte", also eine völlige Umwandlung. Eigentlich müsste man sagen "vor Damaskus", denn kurz vor der Stadt schlug ihn eine Lichterscheinung vom Pferd. Es war Christus, der fragte, warum er ihn verfolge.
Blind geworden, musste der Apostel nach Damaskus geführt werden, wo ihn ein Jünger bekehrte, und er - wiederum sprichwörtlich geworden - seinen Namen änderte: "Aus einem Saulus wurde ein Paulus".
Ans Eingemachte!
Nun ja, Goethes Doktor Faust behauptet: "Name ist Schall und Rauch", aber beim Apostel wirkte es sich doch programmatisch aus. "Wie ein Phönix aus der Asche" - der mythische Vogel verbrennt im Tod, ersteht aus seiner Asche aber verjüngt und neu - arbeitete er nun noch eifriger, freilich an der Ausbreitung des Christentums. So etwas wurde "ihm nicht an der Wiege gesungen". Die Redewendung bezieht sich auf den höchst positiven Charakter der Wiegenlieder, die dem Kind ein wunderbares Leben in Aussicht stellen.
So ein hoffnungsfrohes Lied ist reine "Zukunftsmusik", ein Begriff, gebildet aus Spott auf Richard Wagners Buch "Das Kunstwerk der Zukunft", das voller Pläne war, von denen das meiste erst noch umzusetzen war. Wagner ließ sich davon nicht beirren. Er dachte sich - was zur Silvester- wie zur Winterzeit passt -: "Jetzt geht’s ans Eingemachte!" Eigentlich hieß das: Die frischen Vorräte sind aufgebraucht, nun muss man sich mit dem konservierten Essen behelfen. Weil die Not-Reserve extrem wichtig war fürs Überleben in Zeiten ohne Supermärkte, veränderte sich die Bedeutung in die Richtung "Jetzt wird es wesentlich / sehr ernsthaft / substanziell" .
Tatsächlich komponierte Wagner dann seine Zukunftsmusik, den Spöttern zum Trotz. Er hatte wohl die "Zeichen der Zeit" erkannt, obschon er weder an die Sterne noch recht an die Bibel glaubte, wo diese Formulierung im Matthäus-Evangelium steht. Aus derselben Quelle stammen die vor Silvester oft zu hörenden Worte "Jetzt ist Matthäi am Letzten" - also: definitiv Schluss. Die Redewendung bezieht sich auf die letzten Worte des Evangeliums "bis an der Welt Ende".
Bis dahin ist es wohl noch etwas hin. Und doch liegt eine besondere Aufregung in der Luft: Das Jahresende ist da, die "Torschlusspanik" ist nah. Was versucht man nicht alles in den letzten Tagen zu erledigen! Hastig jagt man mit To-do-Listen durchs Land, wie einst Bürger kurz vor Torschluss zum nahen Stadttor eilten, das, einmal abends verrammelt, nicht mehr geöffnet wurde.
Hals- und Beinbruch
In der Silvesternacht selbst wendet man sich endlich nach vorne. Es regieren die guten Vorsätze. Sich selbst und anderen stellt man allerlei in Aussicht und glaubt selbst daran. Das kommende Jahr scheint ja so unendlich lange vor einem zu liegen. Aber wie sagt man in Ägypten: "Versprechen der Nacht sind mit Butter überzogen, die an der Sonne schmilzt".
Besser belässt man es also bei guten Wünschen, die zu Silvester gehören wie der Schwanz zur Kuh: "Guten Rutsch" sowie "Hals- und Beinbruch". Beide kommen aus dem Jiddischen und bedeuten etwas anderes, als man denkt. Mit dem Knochenbruchwunsch erhofft man natürlich das Gegenteil. Es liegt ihm wohl der stark verballhornte jiddische Segenswunsch "hazlóche un bróche" zugrunde, der auf hebräische Worte zurückgeht: "hazlacha" heißt "Glück" und "b’racha" "Segen".
Und der gute Rutsch? Im Hebräischen heißt "Rosch"/"Rusch" soviel wie "Kopf", dann auch "Spitze" und "Anfang". Das Neujahr nannte man "Rosch-hana", wörtlich "Kopf des Jahres".
Vielleicht entstand der Wunsch "Guten Rutsch", weil freundliche Christen den jüdischen Bürgern etwas zu deren Neujahr wünschen wollten. Sie kannten das Fest "Rosh ha Shana", und weil das etwas lang war, begnügten sie sich mit dem ersten Wort.
Denkbar ist ebenso, dass assimilierte Juden sich untereinander "guten Rosh", also "guten Anfang", wünschten. In Verbindung mit dem Übergang zwischen den Jahren, der als ein Hinübergleiten verstanden wurde, lag die Umdeutung im deutschen Volksmund nahe. Und so spricht sehr viel dafür, dass man deshalb sagt, was auch ich Ihnen nun wünsche: Guten Rutsch!
Rolf-Bernhard Essig, 1963 in Hamburg geboren, lebt als Autor, Universitätsdozent und Literaturkritiker in Bamberg. Mehr über Sprichwörter und Redensarten in seinem Buch "Wie die Kuh aufs Eis kam", Gustav Kiepenheuer Verlag, Berlin, 12,95 Euro.