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Unverbindliche Industriepolitik

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Ruf nach mehr Investitionen übertönt Debatte um Stärkung des verarbeitenden Gewerbes in Europa.


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Brüssel. Die Franzosen wollen darüber reden - doch noch fehlt ihnen der richtige Ansprechpartner dafür. Vor dem Treffen der für wirtschaftlichen Wettbewerb zuständigen EU-Minister am heutigen Donnerstag hat Paris darauf gedrängt, das Thema eines neuen Investitionsprogramms für Europa auf die Tagesordnung zu setzen. Ein solches Paket im Wert von 300 Milliarden Euro hat der künftige Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, angekündigt. Bloß: Er soll sein Amt erst im November antreten. Und Kommissar Michel Barnier, der bei der Sitzung anwesend ist, wird Junckers Behörde nicht mehr angehören. An der Ausarbeitung der Details des Investitionsplans wird er daher nicht beteiligt sein.

Die Summe von 300 Milliarden Euro regt trotzdem schon jetzt die Fantasie der Mitglieder an. Doch so unterschiedlich die Vorstellungen der Länder davon sind, wie das Geld verwendet werden könnte, so unklar ist, woher die Mittel kommen sollen oder wie die Verteilung zwischen öffentlichen und privaten Investitionen sein sollte.

Dass solche aber zur Ankurbelung der Wirtschaft nötig sind, ist den Politikern klar. Seit längerem sprechen die Minister bis hin zu den Staats- und Regierungschefs über Maßnahmen, die den ökonomischen Aufschwung der EU wieder sichern und deren Wettbewerbsfähigkeit steigern sollen. Dazu gehört nach Meinung der Kommission neben der Förderung der Investitionstätigkeit auch eine Stärkung der Industriepolitik.

Die ist nach langer Zeit der Vernachlässigung wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt und steht bei der Zusammenkunft der Wirtschaftsminister ebenfalls zur Debatte. Die Kommission wünscht sich eine "industrielle Renaissance" und möchte den Anteil des verarbeitenden Gewerbes am Bruttoinlandsprodukt (BIP) bis zum Jahr 2020 auf 20 Prozent gehoben sehen. Das vom amtierenden Präsidenten Jose Manuel Barroso unterstützte Ziel will auch Juncker übernehmen.

Gezerre um 20-Prozent-Ziel

Doch ist das eine ambitionierte Vorgabe; der BIP-Anteil sank im EU-Schnitt nämlich in den letzten Jahren auf derzeit etwas mehr als 15 Prozent. In Österreich lag er im Vorjahr bei 18,3 Prozent. Nur wenige Länder - wie Deutschland - weisen schon jetzt höhere Werte als die angepeilten 20 Prozent auf. Den Spitzenplatz belegt Tschechien, wo die Industrieproduktion fast ein Viertel der Wirtschaftsleistung ausmacht. Am unteren Ende der Liste befindet sich Luxemburg mit einem Anteil von nicht einmal fünf Prozent.

Die Erhöhung der Quote ist allerdings nicht allen Ländern ein dringendes Anliegen. So soll sich vor allem Großbritannien gegen eine Fixierung der 20-Prozent-Marke gewehrt haben. Auf der Insel beträgt der BIP-Anteil des verarbeitenden Gewerbes gerade einmal die Hälfte davon.

Die zögerliche Haltung mancher Mitglieder fließt auch in das Dokument ein, das die Ergebnisse des Treffens der Wirtschaftsminister zusammenfassen wird. Die Politiker nehmen das 20-Prozent-Ziel "zur Kenntnis", heißt es dort. Das ist die Kompromissformel, die in der Diplomatensprache weniger Gewicht hat als "bekräftigen" beispielsweise.

Auf noch weniger Gegenliebe stießen Überlegungen, die Vorgabe zur Stärkung der Industrieproduktion verbindlich zu machen und sie etwa im Rahmen des europäischen Semesters zu verankern, bei dem die Haushaltsdisziplin der Mitgliedstaaten überprüft wird. Die meisten Länder sind nämlich gegen weitere budgetäre Verpflichtungen.

Dennoch ist den Regierungen bewusst, dass eine starke industrielle Basis mit dem Faktor Wirtschaftswachstum verknüpft ist. Von der Branche hängen immerhin rund 80 Prozent der Exporte und fast jeder vierte Arbeitsplatz im privaten Sektor ab. Daher soll die Förderung der industriellen Wettbewerbsfähigkeit nicht für sich allein betrachtet werden sondern in etliche Politikbereiche einfließen - was sich in manchen Fällen als äußerst schwierig erweist. Zumindest aus Sicht der Branche sind nämlich die ambitionierten Ziele zum Klimaschutz - samt steigenden Energiekosten - mit den Wünschen nach wachsender Industrieproduktion kaum vereinbar.