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Unverbindliche Orientierungshilfe

Von Ingrid Bläumauer

Wirtschaft

Preisminderung bei verpatztem Urlaub. | Gerichte über | Berechnung uneins. | Wien. Eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (OGH) zum Reiserecht sorgt für Missverständnisse. Die "Frankfurter Liste steht vor dem Aus", war kürzlich in heimischen Zeitungen zu lesen. In Wahrheit hat die Frankfurter Tabelle, die Reisepreisminderungen auf Grund von Reisemängeln beziffert, keineswegs ausgedient, sondern bleibt, was sie ist: eine Orientierungshilfe.


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#Baulärm am Pool

Eine vierköpfige Familie hatte zum stolzen Preis von insgesamt 8508 Euro einen zweiwöchigen Traumurlaub in der Dominikanischen Republik gebucht. Der Veranstalter pries die Unterkunft in seinem Katalog als "Top hotel der Extraklasse" an und stufte sie als Fünfstern-Hotel ein. Allerdings herrschte in der Anlage seit längerem eine enorme Moskitoplage. Dies wurde im Reisekatalog geflissentlich verschwiegen. Die Hotelgäste mussten an manchem Tag über hundert Insektenstiche einstecken. Die Moskitos raubten den Urlaubern nicht nur die Nachtruhe, sie machten auch sämtliche Freizeitaktivitäten unmöglich. Auch an unbeschwertes Baden im Meer war, wegen der starken Strömung, nicht zu denken. Am Swimmingpool allerdings herrschten die Moskitos, Baulärm und Staub.

Keine Rechtsquelle

Nach der Heimkehr begehrten die Urlauber Preisminderung und Schadenersatz für entgangene Urlaubsfreuden. Das Erstgericht sprach den Urlaubern in der Folge fast 7500 Euro Schadenersatz und Reisepreisminderung zu: Die Preisminderung wurde unter Zuhilfenahme der Frankfurter Tabelle berechnet. Gegen das Urteil beriefen sowohl die Urlauber, als auch der Reiseveranstalter. Die zweite Instanz kürzte daraufhin die zuerkannte Preisminderung. Dies resultierte daher, dass die Frankfurter Tabelle die Mängel in vier Gruppen (Unterkunft, Verpflegung, Sonstiges, Transport) gliedert und in den Erläuterungen einen Höchstprozentsatz an Preisminderung für jede Gruppe vorsieht. Das Erstgericht hatte eine dieser Obergrenzen überschritten. Außerdem wurde Schadenersatz nicht für die gesamte Dauer des Urlaubes zugesprochen, da es am An- und Abreisetag zu keiner maßgeblichen Beeinträchtigung gekommen sein könne.

Der daraufhin von den Klägern angerufene OGH bedachte die Frankfurter Liste mit folgenden Sätzen: "Die Frankfurter Tabelle betreffend die Reisepreisminderung stellt keine Rechtsquelle dar. Sie stammt weder vom Gesetzgeber, noch von einer von ihm ermächtigten Verwaltungsbehörde und besitzt keinen Normcharakter.

Nur Orientierungshilfe

Dass die genannte Tabelle bereits von österreichischen Gerichten als brauchbare Orientierungsgrundlage auch für den österreichischen Rechtsbereich bezeichnet wurde, zwingt nicht dazu, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die sich aus der Tabelle samt ihren Erläuterungen ergebenden prozentuellen Minderungsbeträge den jeweils festgestellten Mängeln prozentgenau entsprechen." Inwiefern sich der OGH mit dieser Entscheidung von der Frankfurter Liste distanziert haben soll, ist nicht nachvollziehbar. Vielmehr bleibt sie eine Orientierungshilfe. Dazu bekannte sich der OGH in jüngster Zeit mehrfach. Offen blieb auch in dieser Entscheidung, ob die Erläuterungen zur Frankfurter Tabelle ebenfalls eine Orientierungshilfe darstellen oder, ob diesen ein höherer Grad an Verbindlichkeit zukommt.

Letzteres meinte - verfehlt - die zweite Instanz und unterwarf sich sklavisch. Auch den Swimmingpool wertete das Gericht trotz gegenteiliger Judikatur als adäquaten Ersatz für das Baden im Meer.

OGH lässt Fragen offen

Völlig verfehlt ist die Entscheidung der zweiten Instanz ebenso im Hinblick auf den Schadenersatz für entgangene Urlaubsfreuden. Das Gericht übersieht, dass der Nutzen der Reise an der Qualität des gesamten Urlaubs zu messen ist und verkennt, dass sich eine Pauschalreise nicht in einzelne Bestandteile zerlegen lässt. Daher ist Schadenersatz für entgangene Urlaubsfreuden auch für den An- und Abreisetag zu leisten. Mit der reichhaltigen Literatur und Judikatur zur Bemessung der Höhe des Schadenersatzanspruches setzten sich die befassten Gerichte nicht auseinander. So entging ihnen auch, dass der deutsche Bundesgerichtshof die Höhe der Entschädigung nur am Reisepreis misst. Das wird aber vielleicht im nächsten Musterverfahren geklärt.

Ingrid Bläumauer ist Rechtsanwältin in Wien.