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Auf wenig Verständnis ist Bundespräsident Thomas Klestil mit seinen Überlegungen gestoßen, einen Bundeskanzler entlassen zu können. Die ÖVP brachte ihre Verwunderung zum Ausdruck, die FPÖ wollte sich gegen "mediale Spekulationen" verwahrt wissen. Kritik kam ebenso von den Grünen. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel wiederum fühlte sich "persönlich nicht angesprochen". Klestil selbst relativierte gestern: Er habe keinen "konkreten Bezug" hergestellt.
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Das Interview in der "Neuen Zürcher Zeitung" sorgte für Aufruhr. Im Gespräch mit dem Schweizer Blatt brachte Bundespräsident Thomas Klestil "seine Sorge um die Tradition der Konsenspolitik in Österreich zum Ausdruck, die durch das derzeitige Vorgehen der Regierung Schüssel gefährdet sein könnte". Denn am 4. Juni, dem Datum der Abstimmung über das Budget und damit die Pensionsreform, könnte das Land an den Abgrund einer Regierungskrise heranrücken. Gleichzeitig wies Klestil auf die theoretische - und verfassungsrechtlich festgelegte - Möglichkeit hin, "den Bundeskanzler ohne weitere Begründung zu entlassen".
Reaktionen aus Österreich ließen nicht lange auf sich warten. Die ÖVP brachte ihr Unverständnis zum Ausdruck. "Es liegt am Bundespräsidenten klar zu stellen, was er mit dieser Aussage gemeint hat", meinte Außenministerin Benita Ferrero-Waldner. Klestil habe mit seiner Aussage "keineswegs einen Beitrag zur Stabilität geleistet", kommentierte der ehemalige Parteiobmann Erhard Busek. Und die Landeshauptleute Waltraud Klasnic und Franz Schausberger zeigten sich verwundert.
Auch Bundeskanzler Schüssel wollte das Gesagte nicht interpretieren. Er fühle sich "persönlich nicht angesprochen". Der Bundespräsident solle selber dazu Stellung nehmen. Das hat Klestil gestern via Aussendung auch getan. Er habe im Gespräch mit der NZZ keinen "konkreten Bezug" zwischen seinen Möglichkeiten als Staatsoberhaupt und der aktuellen innenpolitischen Situation hergestellt. Vielmehr sei es darum gegangen, Unterschiede zwischen zwei Ländern zu erläutern. Worauf der Korrespondent der Schweizer Zeitung, Christian Ritterband, im ORF erwiderte: "Ich denke nicht, dass mir der Herr Bundespräsident ein staats- und verfassungsrechtliches Seminar über Unterschiede zwischen Schweiz und Österreich erteilen wollte."
Mit Kritik an Klestil hielten sich auch die Grünen nicht zurück. Für Bundessprecher Alexander Van der Bellen sind die Aussagen des Bundespräsidenten nicht zuletzt eine "Schönfärberei der Vergangenheit, die unrealistisch ist und in mir nur Widerstand statt Zustimmung auslöst". Lediglich die SPÖ äußerte Verständnis für die öffentlich gemachten Sorgen Klestils. Vorsitzender Alfred Gusenbauer sieht darin einen "halben Wink mit dem Zaunpfahl". Solch eine Interpretation lehnte FPÖ-Obmann Herbert Haupt ab: Das Thema Pensionsreform sei zu ernst, "um mediale Spekulationen anzustellen".