Kanzler Nehammer fordert eine "Zurückweisungsrichtlinie", die Einzelprüfungen bei gewissen Asylanträgen überflüssig machen würde. Umsetzbar ist das kaum.
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Die Situation müsse sich "grundlegend ändern". Sonst würde Österreich bei seinem Veto gegen die Aufnahme von Rumänien und Bulgarien in den Schengenraum bleiben, aus Sorge vor irregulärer Migration, betonte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Wochenende. Wie die geforderten grundlegenden Änderungen aussehen sollten, skizzierte Nehammer im Anschluss an einen Besuch in Bulgarien gemeinsam mit Innenminister Gerhard Karner. Der Kanzler forderte neben zwei Milliarden Euro von der EU-Kommission für den Ausbau des bulgarischen Grenzzauns auch raschere Asylverfahren sowie mehr Rücknahmeabkommen.
Auch eine "Zurückweisungsrichtlinie" schwebt Nehammer und Karner seit einigen Monaten vor. Diese sollte Einzelfallprüfungen für Länder überflüssig machen, deren Staatsangehörige kaum eine Chance auf Asyl haben. Als Vorbild sieht man die Massenzustromrichtlinie, die kurz nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine in Kraft gesetzt wurde und seither den Status von Geflüchteten aus dem Kriegsland regelt. Dadurch müssen Ukrainer nicht um Asyl ansuchen, sondern erhalten automatisch einen speziellen Vertriebenenstatus, der etwa den Zugang zum Arbeitsmarkt umfasst.
Für Ralph Janik, der an der Siegmund Freud Privatuniversität zu Menschenrechten forscht, ist unklar, was die beiden ÖVP-Regierungsmitglieder tatsächlich erreichen wollen. Völlig auf die Prüfung einzelner Fälle zu verzichten sei nicht möglich, weil dieses Vorgehen nicht nur dem österreichischen Asylrecht, sondern auch der Europäischen Menschenrechtskonvention und der EU-Grundrechtecharta widersprechen würde. "Wir würden also gegen unsere eigene Verfassung, internationale Verträge und EU-Recht verstoßen", erklärt Janik. Dass bei den Ukrainern auf einzelne Prüfungen verzichtet werden kann, liege daran, dass diese Entscheidung zugunsten der Geflüchteten getroffen wurde. "Worüber wir diskutieren, sind die Minimalstandards. Besser geht immer", sagt Janik.
Österreich setzt schon jetzt auf Schnellverfahren
Eine andere Möglichkeit wären etwa Asylverfahren direkt an der Grenze, wo Anträge geprüft werden, noch bevor Asylsuchende ins Landesinnere weiterreisen können. Mehrere Staaten, insbesondere jene mit EU-Außengrenzen, würden das laut Janik bereits so handhaben. Auch Österreich wendet diese Verfahren bei Anträgen in Flughäfen an .
Außerdem setzt Österreich bei Personen aus normalerweise sicheren Herkunftsländern schon jetzt auf Schnellverfahren. Wie das Innenministerium etwa im Oktober des vergangenen Jahres kommunizierte, wurden in den ersten neun Monaten 2022 rund 14.600 Schnellverfahren für Menschen aus Indien und Tunesien negativ abgeschlossen. In 70 Prozent dieser Verfahren sei binnen 72 Stunden entschieden worden.
Doch müssen all diese Fälle dennoch einzeln geprüft werden - immerhin können Personen auch aus grundsätzlich sicheren Ländern aufgrund von besonderen Umständen Verfolgung ausgesetzt sein. "Dass es gar keine Aussicht auf Asyl gibt, null Prozent, das gibt es nicht", meint der Völkerrechtler.
Das bestätigt auch ein Blick in die Asylstatistik aus dem Jahr 2021: Mehr als drei Viertel aller positiven Asylentscheidungen betrafen Syrer und Afghanen. Doch immer wieder gab es Einzelfälle, wo auch Menschen aus europäischen Ländern Asyl gewährt wurde. In den Fällen einer jeweils einstelligen Anzahl von Albanern, Weißrussen, Kosovaren, Montenegrinern, Schweden, Serben, Briten und Ukrainern (vor dem russischen Einmarsch im Februar 2022) wurde positiv entschieden. Und auch einem Inder wurde 2021 Asyl zugesprochen - während die Entscheidungen für 469 andere indische Staatsbürger negativ ausfielen.
Zurückweisung an der Grenze in spanischem Fall legal
In irgendeiner Form muss also jeder Asylantrag geprüft werden. Migranten dürfen im Normalfall auch nicht an der Grenze zurückgedrängt werden, um sie am Stellen eines Asylantrags zu hindern. Das bestätigte auch immer wieder der Europäische Gerichtshof für Menschenrecht (EGMR) in seinen Urteilen, etwa 2020 in einem Fall, in dem Polen tschetschenische Familien mehrfach vom Überqueren der Grenze aus Belarus abgehalten hatte.
Für Aufsehen sorgte daher ein Urteil des EGMR im selben Jahr, das Spanien im Fall von Personen aus Mali und der Elfenbeinküste recht gab, die versucht hatten, den Grenzzaun vor der spanischen Enklave Melilla zu überwinden. In den beiden Enklaven Melilla und Ceuta gebe es Möglichkeiten, bei Checkpoints im Grenzgebiet legal einen Einreiseantrag zu stellen, dennoch hätten die Betroffenen versucht, die Grenze gewaltsam zu überwinden, begründete der EGMR.
Die Situation in Melilla und Ceuta ist laut Janik aber ein Sonderfall, das Urteil daher nicht "unmittelbar" auf andere Außengrenzen anzuwenden. Allerdings zeige das Urteil auch, dass auch die Rechtsprechung des EGMR in solchen Fällen "nicht immer ganz kongruent und gar nicht so streng" sei wie oft angenommen.