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Urnengang im Land der Anarchie

Von Franz Smets

Politik

Mehr als 30 Bewerber für das Präsidentenamt. | Wahlkampf von Entführungen überschattet. | Port-au-Prince. (dpa) Zwei Jahre nach dem Sturz und der Zwangsexilierung ihres früheren Präsidenten Jean-Bertrand Aristide haben die Haitianer heute, Dienstag nach mehrmaliger Verschiebung des Termins die Chance, ein Parlament und einen Präsidenten zu wählen. Das in Jahrzehnten der Diktatur politisch und sozial völlig heruntergewirtschafte Karibik-Land ist auch in den vergangenen zwei Jahren nicht zur Ruhe gekommen, obschon die Vereinten Nationen eine militärische Mission beauftragten, den Inselteil zu befrieden und zu stabilisieren.


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Mehr als 30 Kandidaten bewerben sich um die Präsidentschaft in dem Staat auf der Insel Hispaniola, einem der ärmsten Länder der Welt. Eine bedeutungslose Übergangsregierung, organisatorische Mängel, Unfähigkeit und Unwillen hatten den Urnengang immer wieder verzögert. Zuletzt wurde die politische Führung ultimativ aufgefordert, den von den Vereinten Nationen genannten Termin 7. Februar zu akzeptieren. Die Alternative wäre ein internationales Protektorat.

Angesichts der allgemeinen Lage war das Hin und Her auch kein Wunder. Die Kriminalität stieg trotz der Anwesenheit der UNO-Stabilisierungstruppe MINUSTAH mit fast 10.000 Soldaten, Polizisten und Zivilisten wieder auf ein kritisches Maß. Zahlreiche Menschen wurden gewissermaßen unter den Augen der Blauhelme entführt, viele von ihnen ermordet.

Entnervt erklärte der Chef der UNO-Mission, der Chilene Juan Gabriel Valdés, einige der Präsidentschaftkandidaten finanzierten ihren Wahlkampf mit Entführungen. Kidnapping in Haiti ist ein blühendes Geschäft. Hunderte von Geschäftsleuten, aber auch Ausländer und Kinder wurden Opfer von Verschleppungen. Die mächtigsten bewaffneten Banden, die vor allem aus der Cité Soleil, dem unkontrollierbaren Armenviertel am Rande von Port-au-Prince, operieren, hören angeblich auf das Kommando von Aristide, der in Südafrika auf eine Rückkehr in die Karibik wartet.

Die größten Chancen bei der Präsidentenwahl werden dem Aristide-Vertrauten René Préval von der Lavalas-Partei - er war bereits 1996-2001 Präsident - und dem Unternehmer Charles Henry Baker eingeräumt. Préval, der die alten Machtstrukturen vermutlich restaurieren würde, zeigt sich sicher, die Wahl bereits im ersten Durchgang für sich entscheiden zu können.

Auch der weiße Unternehmer Charles Baker gibt sich siegesgewiss. In seinen Wahlveranstaltungen warb er unter dem Motto "Ordnung, Disziplin, Arbeit" vor allem für ein wirtschaftliches Aufblühen von Haiti.

Zu den bekannteren Bewerbern zählt ferner der frühere Hochschullehrer Leslie Manigat. Der Jurist war 1988 nur für einige Monate Präsident, bis das Militär gegen ihn putschte.