Zum Hauptinhalt springen

Urnengang im Schatten des Krieges

Von Georg Friesenbichler

Politik

Afghanistan: Zweiter Wahlgang wahrscheinlich. | Gefahren: Taliban, Drogen und Korruption. | Kabul/Wien. Afghanistan gehört zu den Ländern, die am heftigsten von Krieg und Armut heimgesucht werden. Trotzdem bewerben sich am 20. August mehr als 30 Kandidaten darum, dem Staat als Präsident vorzustehen. | Wer sind die Taliban


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Weil es so viele sind, wird es wohl am 3. Oktober eine Stichwahl geben. Mit Sicherheit dürfte jener Mann den ersten Wahlgang überstehen, der das Amt schon jetzt innehat: Hamid Karzai. Ins finale Rennen begleitet ihn vermutlich einer seiner früheren Mitstreiter, entweder der Ex-Außenminister Abdullah Abdullah, oder der Ex-Finanzminister Ashraf Ghani Ahmadzai. Sie gehören zu den wenigen, die landesweit bekannt sind. Karzais Trumpf gegenüber diesen beiden: Er ist der am wenigsten unbeliebte Kandidat.

Auch US-Präsident Barack Obama scheint sich damit abgefunden zu haben, dass der nächste Präsident so heißen wird wie der alte. Noch zu Beginn des Jahres hatte es deutliche Zeichen der Unzufriedenheit mit Karzai aus der neuen US-Regierung gegeben. Korruption, Inkompetenz und Drogengeschäfte wurden seiner Regierung vorgeworfen. Tatsächlich macht sich Karzai das traditionelle Geflecht von Beziehungen und gegenseitigen Abhängigkeiten zunutze, und dieses Netzwerk ist seine größte Stärke.

Im Norden, wo starke Minderheiten wie Tadschiken und Usbeken siedeln und wo man von der Zentralgewalt ohnehin nichts hält, lässt er den örtlichen Warlords freie Hand und wird dafür mit relativer Ruhe belohnt. In der südlichen Unruheregion Kandahar sitzt sein Halbbruder Ahmed Wali Karzai als Präsident dem Provinzrat vor - dieser soll an Drogengeschäften beteiligt sein. Und ohne den Drogenhandel geht in Afghanistan nichts. Das Land deckt mehr als 90 Prozent des Weltbedarfs am Heroin-Rohstoff Opium ab, die Einnahmen daraus tragen 60 Prozent zum Bruttonationalprodukt bei.

Drogen wichtigste Geldquelle

Die bisher verfolgte Strategie, die Opiumfelder zu zerstören, ist fehlgeschlagen, räumte Ende Juni der US-Sondergesandte für Afghanistan, Richard Holbrooke, ein: Der Aufwand habe die Einnahmen der Taliban aus dem Rauschgifthandel "nicht um einen Dollar" geschmälert. Künftig will man den Schmuggel bekämpfen, aber auch Bauern Anreize bieten, um andere Pflanzen anzubauen.

Das könnte sich als schwierig erweisen, bringt einem Bauer doch der Anbau von Opium das Zehnfache von Weizen. Das Interesse an der Kultivierung von Weizen wird überdies durch Hilfe von außen geschmälert: 2005 beispielsweise brachte US-Aid, die staatliche US-Behörde für Entwicklungshilfe, so viel Getreide ins Land, dass die Einheimischen auf den Anbau verzichteten.

http://www.wienerzeitung.at/Images/2009/8/14/948_377_11962_140803grafik.jpg

Der Anti-Drogen-Kampf schmälert nicht die Einnahmen der Taliban, aber zerstört die Lebensgrundlage der einzelnen Landwirte. Deshalb haben sich in den ländlichen Gebieten zahlreiche Bauern den Taliban angeschlossen. Das ist aber nicht der einzige Grund für das Erstarken der Aufständischen. Die vielen zivilen Opfer durch US-Angriffe, die Präsident Karzai seit mehr als zwei Jahren ständig beklagt, haben oft auch jene umgestimmt, die der Invasion von 2001 anfänglich positiv gegenüberstanden.

Taliban - Zivilisten 1:10

Selbst Schätzungen der US-Militärs gehen davon aus, dass auf einen getöteten Taliban acht bis zehn getötete Zivilisten kommen. Dazu kommt, dass sich die USA - im Gegensatz zu anderen Nato-Ländern - stets weigerten, sich mit dem vom islamischen Recht vorgesehenen Blutgeld von der Schuld freizukaufen. Damit bleibt den Opferfamilien zur Herstellung des Ausgleichs nur die gleichfalls vorgesehene Blutrache.

Der neue Oberkommandierende der Nato-geführten Internationalen Schutztruppe Isaf, US-General Stanley McChrystal, hat denn auch in einer taktischen Direktive angeordnet, die Zahl der Luftangriffe drastisch zu reduzieren. Die Jagdbomber wurden meist angefordert, weil die Bodentruppen aufgrund ihrer geringen Zahl überfordert waren. Selbst McChrystal bezweifelt allerdings, dass die angekündigte Aufstockung des US-Kontigents um 21.000 auf 68.000 Soldaten genügen wird, um am Boden zu reüssieren, und denkt daran, weitere 10.000 Soldaten anzufordern.

Beim Kampf auf dem Boden steigt nämlich die Anzahl der getöteten Isaf-Soldaten - was wiederum die Akzeptanz des Krieges in deren Heimatländern reduziert. Auch für die bisher stets gescheiterte Aufgabe, Gebiete nicht nur zu erobern, sondern sie auch nachhaltig zu sichern, dürften die neuen Kontingente noch zu schwach sein. Denn die islamistischen Kämpfer haben ihre Techniken und Taktiken verbessert, propagandistisch sind sie dem Gegner ohnehin überlegen.

McChrystal hat nun zugegeben, dass die Taliban derzeit die Oberhand gewonnen und ihre Aktionen auf den Westen und den Norden ausgedehnt haben. Der Oberkommandierende will dem mit einer neuen Strategie begegnen - der Schutz der Isaf soll sich künftig nur noch auf große Städte und dicht besiedelte Gebiete konzentrieren. Damit profitieren davon allerdings nur 5 bis 6 Millionen der insgesamt 33 Millionen Afghanen, fast 80 Prozent der Bevölkerung leben auf dem Land.

Die Übermacht der Taliban gefährdet auch die Wahlen am 20. August, bei denen gleichzeitig die 34 Provinzräte neu bestimmt werden. Die UNO fürchtet in einem diese Woche veröffentlichten Bericht, dass die Wahlbeteiligung drastisch sinken wird. Karzai selbst musste kürzlich einräumen: "Die Sicherheitslage im gesamten Land ist nicht ausreichend. Deswegen werden die Menschen in einigen Bezirken nicht wählen können." Er forderte sogar die Taliban auf, zur Wahl zu gehen. Diese kündigten stattdessen Aktionen dagegen an.

Anschläge wie noch nie

Die Zahl ihrer Anschläge, im Militärjargon "sicherheitsrelevante Vorfälle" genannt, hat sich heuer bis Juli um 60 Prozent gegenüber dem Vorjahr erhöht und vor den Wahlen noch einmal verstärkt. Ausgenommen ist nur das Gebiet, über das die Taliban ohnehin herrschen. Das sind rund 15 Prozent des Landes - übrigens keineswegs nur an der Grenze zu Pakistan -, etwa ebenso groß wie jenes Gebiet, auf das die Regierungs- und Isaf-Truppen direkten Zugriff haben. Im weitaus größten Teil des Landes regieren Warlords und Stammesführer, ein Viertel des Landes ist Kampfgebiet.

Aber nicht nur der beschränkte Zugang zu den Wahllokalen ist ein Problem, sondern auch, dass Korruption und Manipulation den Wahlausgang verfälschen dürften. Somit ist die Legitimität des künftigen Präsidenten schon im Vorhinein in Frage gestellt.

Aber ob der nun wieder Karzai heißen wird oder doch anders - an den politischen Strukturen des Staates wird dies ebenso wenig ändern wie an seiner aussichtslosen Lage.