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Ursulas Rebellen

Von Solmaz Khorsand

Politik
WZ-Montage (Fotolia/photka, Büro Ursula Stenzel)

Die einen halten Ursula Stenzel für eine Verräterin, die anderen für eine Pionierin. Seit die einstige ÖVP-Politikerin bei der Wien-Wahl als "Unabhängige" für die FPÖ kandidiert, finden auch immer mehr Bürgerliche am Protestwählen Gefallen.


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Wien. Protest passt nicht so recht in sein Image. Weder auf der Straße noch an der Wahlurne. Der moderne Bürgerliche empört sich im kleinen Kreis. Er schreibt einen Leserbrief, ruft an, geht vielleicht in die Sprechstunde des Bezirksrats seines Vertrauens. Aber er protestiert nicht lautstark. Und er verpasst schon gar nicht medienwirksame Denkzettel, die deprimiert in Expertenrunden diskutiert werden. Den wütenden nachhallenden Protest überlässt er anderen: den Blaumännern aus den Flächenbezirken, den Mindestpensionistinnen aus dem Gemeindebau, den arbeitslosen Halbstarken. Seit dem 1. September könnte sich das ändern. Der Bürgerliche hat ein Ventil gefunden. Es heißt Ursula Stenzel.

Am 1. September gab die Bezirksvorsteherin der Innenstadt ihre Kandidatur als "Unabhängige mit der Unterstützung der freiheitlichen Partei" für die Wien-Wahl bekannt. Für die einen war es ein Schock, wie die ÖVP-Politikerin da in ihrem blauen kurzärmeligen Sakko neben FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache saß, "die Ausgrenzung" der Freiheitlichen verurteilte und sich als "Signal für die Öffnung der FPÖ für bürgerliche Wähler" verstanden wissen wollte. Für die anderen war es eine Genugtuung. Es war ein Aufatmen, dass sich eine der Ihrigen aus der Deckung gewagt hat, ihnen ihren Segen gab, ja sie sogar aufforderte der FPÖ ihre Stimme zu geben. Strache hätte den Mut, nichts zu "verschweigen" und die Energie die "rot-grüne Dominanz" in der Stadt zu brechen. Das hören sie gerne, die enttäuschten ÖVP-Wähler. Jahrzehntelang haben sie einer Partei die Stange gehalten, die es nie aus dem Schatten der roten Patriarchen geschafft hat. Sie haben es satt. Die Oppositionsrolle schlägt ihnen langsam auf das Gemüt. Sie wollen endlich zu den Gewinnern zählen, auf das richtige Pferd setzen und nicht länger auf den altersschwachen Gaul, dem es 70 Jahre lang nicht gelungen ist, mehr zu werden als ab und zu
ein vernachlässigbarer Juniorpartner.

Ob das richtige Pferd tatsächlich Strache heißt, darüber rätseln sie noch. Er war ihnen immer ein bisschen zu radikal, zu rau im Ton, zu ausländerfeindlich. Doch es muss etwas dran sein an ihm, wenn sich eine aus ihren Reihen, eine ehemalige Journalistin, EU-Abgeordnete und Tochter aus jüdisch-bürgerlichem Haus, vor laufenden Kameras von ihm die Hand küssen lässt?

Gerne gibt sich Ursula Stenzel dieser Tage als Sprecherin der Underdogs und sie kokettiert mit dem neuen Image der Tabubrecherin. Immer wieder betont sie, wie satt sie es habe, dass die FPÖ und ihre Wähler "stigmatisiert" werden, dass man sie zu Unrecht in ein rechtsextremes Eck drängt, und dass doch keiner mehr an die "Nazikeule" glaube. Es sei lediglich ein verzweifelter Akt jener, in den letzten Wahlkampftagen noch ein paar Stimmen zu gewinnen.

"Wir werdenmit ihr gehen"

"Wenn Sie mir vertrauen, dann bitte ich Sie, der FPÖ die Stärke zu verleihen", appelliert Ursula Stenzel. Es ist Dienstagabend. Die Bezirksvorsteherin hat zum Grätzeltreffen ins Gasthaus Reinthaler im 1. Bezirk geladen. Knapp 40 Gäste haben sich im "Stüberl" versammelt. Es sind vor allem freiheitliche Bezirksräte aus der Innenstadt und FPÖ-Wähler, die gekommen sind, um den neuen Star an ihrem Himmel willkommen zu heißen. Herzlich begrüßt Stenzel jeden Einzelnen. Sie wird ihnen die streitbare Politikerin geben, die sie kennen, wenn sie über die rot-grüne Verkehrspolitik schimpft, den Demonstrationszirkus am Ring, das Verharmlosen in der aktuellen Flüchtlingsdebatte. Das Publikum applaudiert. Eine wahre Lady, werden sie später sagen. So eloquent. So gebildet. So charismatisch. Das Wort Verrat wird hier nicht fallen gelassen. Vereinzelt finden sich auch ÖVP-Wähler im Publikum. So auch eine 60-jährige Bewohnerin des 1. Bezirks. Sie ist Juwelierin, hat ein Geschäft in der Wollzeile und kennt Stenzel seit Jahren. Sie vertraut der 70-Jährigen, dass sie den "hohen Standard", den die Innenstadt ausmacht, hält, dass sie sich um die Anrainer und die Geschäftsleute kümmert, so wie sie es in den vergangenen zehn Jahren als strenge Bezirksmutter getan hat. Zweimal hat Stenzel der ÖVP den 1. Bezirk gesichert. 2005 mit 43,3 Prozent - und damit 10,16 Prozentpunkte mehr als 2001 - und 2010 mit 38,6 Prozent. "Es hat einige geärgert, dass sie weggegangen ist von der ÖVP", sagt die Juwelierin, "aber wir werden mit ihr gehen."

Ob das Gros der ÖVP-Wähler es ihr gleichtun wird, bezweifelt man in der Partei. Vor einem Jahr hat die ÖVP die Bezirksvorsteherin als Spitzenkandidatin demontiert. Man wollte einen Generationenwechsel, hieß es öffentlich. An ihrer Stelle wurde Markus Figl gesetzt, Stenzels einstiger Bezirksvorsteherstellvertreter, den sie 2010 abgesetzt hatte. Nun feiert der Großneffe von Leopold Figl sein Comeback. Seit 20 Jahren engagiert sich der 42-jährige Jurist und Politologe im Bezirk. Er ist überzeugt, dass er ihn für die ÖVP auch nach dem 11. Oktober halten wird.

Vielleicht kann sie jadie FPÖ von innen umdrehen

Stenzel setzt alles daran, ihre Wählerklientel mitzunehmen. So lädt sie neben Grätzeltreffen auch jeden Donnerstag zum Lunch ins Bezirksamt der Inneren Stadt in die Wipplingerstraße 8. Gebeizter Lachs und Vitello tonnato werden hier serviert. Die Innere Stadt scheint unter sich zu sein. Yves-Saint-Laurent-Täschchen da, Chanel-Clutch dort. Es ist ein gediegenes Publikum, das hier geduldig auf die Rede ihrer Chefin wartet. Die Botschaft ist klar: Es geht um Ursula Stenzel, nicht die Partei, auf deren Ticket sie fährt.

"Es ist mehr ein Personenwahlkampf. Man sollte die Ideologie raus aus der Politik nehmen", sagt einer der Zuhörer. Der Mittvierziger lebt seit 20 Jahren im 1. Bezirk, arbeitet in einer Bank und hat seit jeher die ÖVP gewählt. Dieses Mal wird er Stenzel unterstützen - trotz der FPÖ. "Der Kern der Freiheitlichen sind die schlagenden Burschenschaften. Das sind nicht die Feinsten", gesteht er und schüttelt den Kopf "aber man kann die FPÖ nicht aufhalten. Sie werden sehr stark. Aber wenn so viele reingehen, vielleicht kann man sie umdrehen." Eine Verwässerung des ideologischen Kerns von innen, mit Stenzel als korrektive Speerspitze?

Für manche ist der Klassenkampf noch nicht passé

Bei der FPÖ ist keiner am Umdrehen interessiert. Auch Stenzel scheint da nicht viel umdrehen zu wollen. Sie bedient sich derselben Rhetorik wie der FPÖ-Parteichef, spricht bei der aktuellen Flüchtlingsdebatte von einer "Invasion von Arbeitsmigranten" und gibt vor jedem Auftritt, ob am Viktor Adler Markt, beim Volksfest im Alpendorf im Prater oder auf dem Leopold Mistinger Platz hinter dem Meiselmarkt im 15. Bezirk, artig Straches Einpeitscherin.

Die freiheitliche Basis ist zwiegespalten über ihren neuen Star. Die einen bewundern sie, die "gebildete Dame mit der schönen Sprache." Sie freuen sich über das bisschen Glanz, Innenstadt-Couture und Schönbrunner Deutsch inmitten ihrer erdigen Hüttenfolklore. Andere trauen ihr nicht über den Weg, hat sie doch ihre eigene Partei verraten um auf Platz drei der FPÖ-Landesliste, gleich hinter Strache und Wiens Klubchef Johann Gudenus, ins Rathaus einzuziehen. Sie verdrehen die Augen, wenn Stenzel auf der Bühne von einer "toleranten FPÖ" spricht, die keine Unterschiede macht zwischen ihr und ihnen, ihr im urbanen Outfit, der Urenkelin eines Rabbiners, und ihnen, den Dirndlträgerinnen, von denen einige an die Macht eines ominösen jüdischen Kapitals glauben. Für sie bleibt Stenzel die feine Dame aus dem 1. Bezirk, die mit ihrer Welt nichts zu tun hat.

Stenzel sieht das anders. "Die lieben mich", befindet sie. Der Klassenkampf ist für sie passé. Parteien für kleine und große Männer gibt es für sie nicht. "Die FPÖ ist nicht die Politik für den kleinen Mann. Sie ist die Partei für alle", sagt sie Dienstagabend im Gasthaus Reinthaler.

Und ihre schwarzen Stammwähler? Ist der Klassenkampf auch für sie passé? Können sie mit der Klientel am Viktor Adler Markt etwas anfangen, ist das die Wählerschaft, mit der sie sich in Zukunft im selben Boot wähnen? Die 60-jährige Juwelierin aus der Wollzeile schüttelt den Kopf. Mit diesen Menschen möchte sie nichts zu tun haben. Das ist nicht ihre Welt, sagt sie: "Das ist eine andere Seite FPÖ. Für mich ist die Frau Stenzel wichtig."