Zum Hauptinhalt springen

Urteil im Mordfall Hrant Dink

Von Martyna Czarnowska

Europaarchiv

Erschießung Dinks vor vier Jahren rüttelte die Türkei auf. | Angehörige sehen Hintergründe nicht restlos aufgeklärt.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Istanbul. Es ist erst ein paar Wochen her, dass „Hrants Freunde” einmal mehr vor das Gerichtsgebäude gezogen sind, um für Gerechtigkeit zu demonstrieren. Die Gruppe unterstützt die Familie von Hrant Dink, der im Jänner 2007 in Istanbul ermordet wurde. Der mutmaßliche Täter war kurz darauf gefasst: Der 17-jährige Ogün Samast soll den türkisch-armenischen Journalisten vor dem Redaktionsgebäude der zweisprachigen Zeitschrift „Agos” erschossen haben.

Nun sprach ein Istanbuler Gericht das Urteil über den jungen Mann, der der türkischen rechtsnationalistischen Szene zugerechnet wird. Samast muss für den Mord für fast 23 Jahre ins Gefängnis. Die Richter verurteilten ihn zwar zu lebenslänglich, doch wurde die Strafe auf 21 Jahre und sechs Monate reduziert, weil der Täter damals minderjährig war. Zusätzlich muss er 16 Monate wegen unerlaubten Waffenbesitzes absitzen. Allerdings könnte die Haftstrafe noch verkürzt werden.

Hrant Dinks Ermordung hat das ganze Land aufgerüttelt. Hunderttausende Menschen brachten ihr Entsetzen zum Ausdruck, indem sie auf die Straße gingen und mittels Plakaten deklarierten: „Wir alle sind Hrant Dink. Wir alle sind Armenier.” Der Journalist hatte sich nämlich für die Aussöhnung zwischen Türken und Armeniern eingesetzt sowie für die Aufarbeitung der Ereignisse von 1915/1916, die die offizielle Türkei nicht als Völkermord an den Armeniern ansehen will.

Die Forderung Armeniens - aber auch vieler anderer Staaten - nach einer Anerkennung des Genozids sorgt noch immer für Spannungen zwischen den beiden Nachbarländern. Und noch immer bringt sie nationalistische Zirkel in der Türkei in Rage. Solche sind für den Mord an Dink verantwortlich. Von Anfang an war klar, dass die Tat nicht nur einem Einzeltäter - Ogün Samast - angelastet werden kann.

Dass aber die Hintergründe der Tat nicht restlos aufgeklärt werden, haben Dinks Familie und ihre Unterstützer immer wieder angeprangert. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg wiederum kritisierte die türkischen Behörden, weil diese trotz Hinweisen auf Mordpläne Dink nicht geschützt haben. Erst vor kurzem sind deswegen zwei Militäroffiziere verurteilt worden - zu sechs Monaten Haft.

Zwar hat sich zu Jahresanfang sogar Staatspräsident Abdullah Gül in die schleppenden Ermittlungen eingeschaltet und eine Untersuchungskommission einberufen und werden weitere Prozesse gegen Samasts mutmaßliche Komplizen geführt. Doch schließen Beobachter nicht aus, dass das gesamte Ausmaß der tödlichen Verschwörung im Dunkeln bleibt. Dennoch begrüßte Dinks Familie das jüngste Urteil: Es sei ein Signal zur Abschreckung.