Wegen des Klimawandels erklären Londoner Richter den Flughafenausbau für illegal.
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In einem Urteil, das dem Kampf gegen Klimawandel oberste Priorität einräumt, hat am Donnerstag das Berufungsgericht in London den von der britischen Regierung geplanten und vom Parlament beschlossenen Ausbau des Flughafens Heathrow untersagt.
Unmittelbar nach der Urteilsverkündigung erklärte Verkehrsminister Grant Shapps, dass die Regierung gegen das Verdikt keinen Einspruch einlegen werde. Damit ist ein Mega-Projekt, das zu einer drastischen Erhöhung der Umweltbelastung geführt hätte, zunächst gestoppt. Allerdings hat der Flughafen angekündigt, er wolle in Berufung gehen.
In London wurde der Gerichtsspruch von Anwohnern, umweltbewussten Politikern und grünen Verbänden als das weltweit erste Urteil gefeiert, das sich auf das Pariser Klima-Abkommen 2015 berufe. Die Richter erklärten den Flughafen-Ausbau für illegal, weil nach ihrem Dafürhalten die Regierung ihre vertragliche Verpflichtung zur Eindämmung des Klimawandels nicht ausreichend einbezogen hat. "Die Pariser Vereinbarung hätte vom zuständigen Minister berücksichtigt werden müssen", meinte der vorsitzende Richter, Lord Justice Lindblom. "Der veröffentlichte nationale Plan (für Heathrow) war nicht so verfasst worden, wie es das Gesetz erforderlich macht."
Geplant war ein Ausbau in und über London um mehr als die Hälfte des gegenwärtigen Flug- und Passagieraufkommens. Der "Masterplan" für Europas schon heute größten Flughafen sah eine Steigerung der Flüge von jährlich 480.000 auf 750.000 und der Zahl der Passagiere von 81 Millionen auf 142 Millionen vor. Dies hätte nicht nur den Abriss ganzer Ortschaften und eine neue Startbahn erfordert, sondern neue Zufahrtsstraßen und zwei der größten Parkplätze der Welt, für jeweils 22.000 Fahrzeuge. Hunderttausende Londoner Bürger, die schon jetzt unter dem intensiven Flugverkehr leiden, waren gegen den zu erwartenden zusätzlichen Lärm und enormen CO2-Ausstoß auf die Barrikaden gegangen.
Politisches Klima schlägt um
Verbände wie Greenpeace oder Friends of the Earth hatten auf "den Widersinn" verwiesen angesichts der Tatsache, dass sich Boris Johnsons Regierung just auf "Null-Emissionen bis zum Jahr 2050" verpflichtet hat. Johnson steht auch unter Druck, weil Großbritannien diesen Herbst Gastgeber des nächsten UN-Klimagipfels ist.
Einig war man sich gestern darin, dass auch im Vereinigten Königreich das politische Klima umzuschlagen beginnt. Der vormalige Tory-Verkehrsminister Chris Grayling hatte das Pariser Abkommen noch als "unwichtig" für britische Umweltpolitik abgetan. Als Brexit-Hardliner teilte Grayling die Überzeugung, dass der Ausbau Heathrows notwendig war, um den Briten in der Post-Brexit-Phase eine wuchtige Verkehrsdrehscheibe und damit einen internationalen Vorteil zu verschaffen.
Nach der Urteilsverkündigung bestand eine Flughafen-Sprecherin darauf, der Ausbau Heathrows sei "unabdingbar, wenn wir die Vision eines Globalen Britannien erfüllen wollen, wie sie der Premierminister hat". Heathrow Airport will nun auch ohne Rückendeckung der Regierung vors Oberste Gericht ziehen. Damit ist der Flughafen-Betreiber aber in einer schwächeren Position. Johnson selbst sah sich in der Heathrow-Frage in einer Klemme. Er war ursprünglich gegen den Ausbau gewesen und hatte 2015 versichert, falls die Bulldozer je zum Bau einer dritten Startbahn anrücken sollten, würde er sich im Protest vor deren Schaufeln legen. Beim Unterhaus-Beschluss von 2018 fehlte er allerdings: Er hatte sich, um keine Entscheidung treffen zu müssen, eine "Dienstreise" gebucht. Seit er den Posten des Regierungschefs übernommen hat, äußerte sich Johnson vorsichtig. Nun aber sah er wohl keinen Sinn darin, in Zeiten wachsender Ängste vor einer Klimakatastrophe das Gerichtsurteil anzufechten. "Ein Ausbau des Flugverkehrs ist von zentraler Bedeutung für bessere weltweite Verkehrsverbindungen", erklärte Shapps die Position der Regierung. "Aber wir nehmen auch unsere Verpflichtung für die Umwelt ernst."
Viele Klima-Aktivisten sind noch immer argwöhnisch, dass die Regierung am Ende doch noch einen Weg zum Ausbau finden könnte. Sie erinnern daran, dass Ex-Premier David Cameron vor zehn Jahren einmal schwor: "Kein Wenn und Aber, keine dritte Startbahn." Später leitete er die Arbeit am Ausbau-Plan ein.