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"Urwahl war gute Entscheidung"

Von WZ-Korrespondentin Karin Rogalska

Politik

Trotz Wahlschlappe tritt Roth erneut für Posten als Parteichefin an.


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Stralsund. Bei der Urwahl, wer die deutschen Grünen in den Bundestagswahlkampf 2013 führen soll, erhielt sie eine herbe Niederlage: Statt Claudia Roth wurde das Spitzenduo Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt für die Schlacht bestimmt. Vielleicht war es der "Candystorm" - massenhafte Sympathiebekundungen via Twitter und Facebook -, der die langjährige Parteichefin dazu bewog, trotzdem im Amt zu bleiben. Sie werde beim Parteitag Ende der Woche in Hannover erneut als Vorsitzende kandidieren, teilte Roth am Montag in Berlin mit.

Vor ihrem Einstieg in die Politik war die heutige Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Managerin der Band "Ton Steine Scherben" um Rio Reiser. Bis heute fühlt sich Roth am wohlsten bei Deutschrock der Siebziger und Achtziger. Und so hat sie kurz vor Bekanntgabe des Ergebnisses der Urwahl in Stralsund gegenüber der Ostseeinsel Rügen aufgelegt. Nur eine Handvoll Getreuer erschien, um die Spitzenpolitikerin "ganz privat, ganz Claudi" zu erleben. Die "Wiener Zeitung" war dabei. Und Roth trat in der nur vermeintlich trauten Runde die Flucht nach vorn an.

HHHHH

"Wiener Zeitung":Wie fühlen Sie sich im angestammten Wahlkreis der christdemokratischen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Motiviert sie Sie besser als die eigenen Leute?Claudia Roth: (lacht) Ich reise bestimmt nicht der Bundeskanzlerin hinterher, um Kraft zu schöpfen. Wenn Sie auf die Urwahl anspielen: Egal, wie sie ausgeht, ist sie eine tolle Sache, weil Demokratie nicht von oben verordnet wird. Es ist gar nicht so schwer, verkrustete Strukturen aufzubrechen, wenn man nur will, und die Resonanz unserer Mitglieder zeigt mir, dass wir mit der Urwahl eine gute Entscheidung getroffen haben.

Auch wenn Sie am Ende nicht Spitzenkandidatin werden? Was sind Ihre persönlichen Ambitionen für das Wahljahr 2013?

Wenn die Leute heute Abend sehen, warum ich es so bunt liebe, ist doch schon viel erreicht. (Roth nimmt einen Schluck Bier und wirbelt ihre quietschgrüne Tasche über dem Kopf, Anm.) Ansonsten empfehle ich dem designierten SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, künftig stärker auf Frauen zu setzen. In Nordrhein-Westfalen machen schon zwei an der Spitze der Regierung ihre Sache hervorragend.

Ihr Verhältnis zu Steinbrück war nie einfach...

Für die SPD ist er sicher der geeignetste Kandidat. Ich kann ihn aber nur davor warnen, eine Ampelkoalition aus Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen anzustreben. Die Wahl nächstes Jahr bringt entweder einen Machtwechsel mit Rot-Grün oder eine große Koalition von Rot-Schwarz. Wir haben beste Chancen auf einen Machtwechsel, wenn wir aufzeigen können, dass Angela Merkel eben nicht über allem schwebt, sondern die Hauptverantwortung für die Misere von Schwarz-Gelb trägt.

Das klingt nach mehr als einem einfachen Ja zur Frauenquote.

Zu lange wurde auf freiwillige Selbstverpflichtungen der Unternehmen gesetzt. Ohne eine gesetzliche Frauenquote wird sich aber nichts an den Aufstiegsblockaden für Frauen in der Wirtschaft ändern. Dabei gab es noch nie so viele gut qualifizierte Frauen bei einem gleichzeitigen äußerst dramatischen Fachkräftemangel.

Die Geschäftsführerin Ihrer Partei, Steffi Lemke, prognostiziert für 2013 "das beste Wahlergebnis in der Geschichte der Grünen". Einen Strich durch die Rechnung könnten Ihnen aber die Piraten machen ...

...denen ich einen Mangel an Inhalten vorwerfe.

Früher galt Die Linke als Ihre schärfste Konkurrenz. Wie sehen Sie jetzt das Verhältnis?

Die Linke muss die Altlasten eines Oskar Lafontaine abwerfen. Wenn sich die neue Führung, vor allem Katja Kipping, anders und zeitgemäß positioniert, kann man über alles reden.

Noch einmal zu Angela Merkel: Ihre politische Heimat ist Bayern. Dafür sind Sie aber auffallend oft in Mecklenburg-Vorpommern.

Die Grünen in Mecklenburg-Vorpommern sind wichtige Impulsgeber für die Energiewende und die Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten, die hier über gefestigtere Strukturen verfügen als anderswo.

Demnächst beginnt der Prozess gegen die mutmaßliche Drahtzieherin des rechtsextremen Nationalsozialistischen Untergrundes, Beate Zschäpe. Die unzähligen Pannen bei der Aushebung der Terrorzelle, Ermittler, die unverhohlen mit Rechts sympathisieren: Drängt sich da ein Wahlkampfthema auf?

Meine Partei tritt traditionell gegen Ausgrenzung und Gewalt gegen Andersdenkende ein. Wir dürfen nicht nachlassen, den Bürgern durch Bildungsangebote, politische Aufklärung und fortwährende Erinnerung an die unmenschlichen Konsequenzen rechten Terrors zu vermitteln, dass nur eine stabile Demokratie stark ist.

Ihre Gegner werfen Ihnen vor, ungeachtet ihrer großen demokratischen Defizite gerade einen EU-Beitritt der Türkei zu befürworten ...

Ich bin gegen eine privilegierte Partnerschaft, wie sie Angela Merkel vorschlägt. Religionsfreiheit, Pressefreiheit und rechtsstaatliche Normen müssen natürlich auch in der Türkei gewährleistet werden. Europa und Demokratie sind nicht der Bus zum Ziel, sondern das Fundament für die Zukunftsfähigkeit der langen Beziehung zwischen Europa und der Türkei.

Umweltminister Peter Altmaier vergleicht die deutsche Energiewende mit der Mondlandung. Wie kann der Umbau gelingen?

Damit die Stromversorgung 2030 vollständig über erneuerbare Energien stattfindet, brauchen wir eine konsequente ökologische Energiewende ohne Atomkraft und ohne Kohleverstromung. Denn Kohlekraftwerke können nicht flexibel auf Schwankungen bei der Stromerzeugung reagieren, durch sie werden lediglich überkommene Erzeugerstrukturen zementiert.