Schiiten-Kritik an heimischer Armee. | Maliki kämpft um Wiederwahl. | Bagdad/Wien. Den kommenden Dienstag hat die irakische Regierung zum Feiertag ausgerufen. Am letzten Tag des Monats Juni sollen nämlich die US-Truppen aus allen Städten des Landes abgezogen sein. Die jüngste Welle der Gewalt lässt aber Zweifel aufkommen, ob die Iraker wirklich Grund zum Feiern haben werden.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Der schwerste der jüngsten Anschläge erschütterte am Mittwochabend einen Markt in Sadr-City, einen von Schiiten bewohnten Stadtteil Bagdads. Als eine Bombe explodierte, die unter Obst und Gemüse auf einem Last-Motorrad versteckt war, wurden mehr als 70 Menschen in den Tod gerissen, ebenso wie vier Tage zuvor bei einem Anschlag im Nordirak. Für Sadr-City war dies das folgenschwerste Attentat seit mehr als einem Jahr.
Es erfolgte, kurz nachdem die US-Armee ihre letzten Stützpunkte in der Hochburg des Schiitenpredigers Moktada al-Sadr aufgegeben hatte. Jetzt trägt die 11. Brigade der irakischen Armee die Verantwortung - eine Verantwortung, der sie nicht nachkommt, wie Anwohner nach dem Anschlag behaupteten. "Sie sitzen nur herum und telefonieren mit ihren Handys", sagte einer. Am Ort des Anschlags trafen sie erst nach 20 Minuten ein und schossen in die Luft, um die Menge zu zerstreuen. Diese reagierte mit Beschimpfungen und Steinwürfen.
Wahlkampfmittel Terror
Das Hauptziel der Attentäter dürfte denn auch sein, das Vertrauen in die Fähigkeiten der heimischen Armee, den Frieden nach Abzug der Amerikaner zu sichern, zu erschüttern. Die Schiiten betrachten das Militär, in dessen Reihen viele ehemalige sunnitische Aufständische aufgenommen wurden, ohnehin mit Misstrauen. In Sadr-City wurde gleich Komplizenschaft der 11. Brigade mit den Attentätern vermutet.
Gleichzeitig soll mit den Anschlägen aber auch klar gemacht werden, dass Ministerpräsident Nouri al-Maliki nur dank der USA fest im Sattel sitzt und dass er der Gewalt nicht Herr werden kann, wie er versprochen hat.
Maliki ist sich der Gefahr bewusst. Schon vor dem Anschlag in Sadr-City warnte er davor, dass militante Gruppen versuchen würden, die Situation zu destabilisieren. Maliki würde einen Erfolg dringend brauchen. Denn im Jänner 2010 stehen Parlamentswahlen an, und der Premier will mit allen Mitteln sicherstellen, dass er sein Amt behalten kann. Daher stehen anders als früher nun nicht mehr religiöse Konflikte der Volksgruppen, sondern politische Motive hinter den Attentaten, glauben viele Beobachter.
Auch am Donnerstag explodierte in Bagdad wieder eine Bombe, die vier Todesopfer forderte, in der westlichen Stadt Falluja verloren fünf irakische Soldaten das Leben, als neben ihnen ein Sprengsatz explodierte. Die Terroranschläge, deren Zahl in den letzten Monaten zurückging, erleben rund um den US-Abzug eine Renaissance. Laut der amerikanisch-irakischen Sicherheitsvereinbarung sollen am 30. Juni die Städte verlassen werden. Der endgültige Abzug soll Ende 2011 erfolgen.