Riesen-Agenda für erste 100 Stunden. | Mehr Mindestlohn und Gen-Forschung. | Washington. "Wir Demokraten werden unsere Nation in eine neue Richtung führen", erklärte Nancy Pelosi, die neue Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, das am Donnerstag das erste Mal zusammentritt. Die Abgeordnete aus Kalifornien wird mit diesem Tag die erste Frau in der Geschichte des US-Kongresses sein, die den "Speaker of the House" stellt. Auf die von vielen politischen Kommentatoren als "smarte" und pragmatische Politikerin bezeichnete 66-Jährige wartet allerdings kein leichter Job. Denn die Demokraten, die nun nach zwölf Jahren politischer Abseitsstellung wieder das Sagen im Capitol haben, haben eine lange und schwierige To-do-Liste vor sich liegen.
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Bereits in den ersten 100 Stunden wollen sie mit der Verabschiedung mehrerer Gesetze der amerikanischen Öffentlichkeit zeigen, wie die neue Richtung im Kongress aussehen soll.
Noch bevor Präsident George W. Bush am 23. Jänner seine alljährliche "State of the Union" hält, will die neue demokratische Führung unter anderem ein neues Ethik-Paket, die Anhebung des Mindestlohns und die Ausweitung der Stammzellenforschung beschließen. Zudem will man die Kosten für Bildungskredite und Medikamente senken.
Holprige Große Koalition
Im zweiten Haus am Hill, dem Senat, hat der neue Speaker Harry Reid angekündigt, so bald wie möglich Anhörungen zu Irak zu halten. Die demokratischen Senatoren, die nur eine knappe Mehrheit im Senat halten, wollen im Außenausschuss dem neuen Verteidigungsminister Robert Gates genauer auf den Zahn fühlen. Zudem wollen sie sich ansehen, was mit den Milliarden von Dollar passiert ist, die bis dato in den Wiederaufbau gesteckt wurde und von dem wenig zu sehen ist.
Ein engagiertes Programm haben sich die Demokraten auferlegt. Unklar ist dabei, inwieweit die bei der Wahl im November geschlagenen Republikaner bei dem Gesetzfindungsprozess mitwirken werden. Die neuen Vorsitzenden beider Häuser haben zwar angekündigt mit den Republikanern zusammenzuarbeiten. Man kann aber davon ausgehen, dass diese Kooperationswilligkeit zumindest für die Umsetzung jener Gesetze in den ersten 100 Stunden aufgeschoben wird. Immerhin geht es erst einmal darum, die eigenen Wahlversprechen zu verwirklichen.
Wirklich interessant wird es aber vor allem nach diesen ersten Tagen. Ob Pelosi und Reid es schaffen werden, die notwendigen Reformen mit Hilfe transparenter institutioneller Prozesse durchzusetzen, hängt nicht zuletzt damit zusammen, inwieweit sie ihre eigene Parteileute an der Leine halten können.
Immerhin stehen in zwei Jahren die Präsidentschaftswahlen auf dem Programm. Da wollen die Demokraten den künftigen Präsidenten stellen. Der Kampf um diesen Posten wird unweigerlich zu Blockbildungen innerhalb der demokratischen Partei führen.
Der größte Brocken für den neuen Kongress ist jedoch unumstritten der Irak-Krieg. Mit Spannung wartet man auf die für nächste Woche angekündigte Weichenstellung Präsident Bushs zum weiteren Vorgehen im Kriegsgebiet. Enttäuscht wurde, wer gehofft hatte, Bush würde bereits am Mittwoch in einer Ansprache einen ersten Einblick in die künftige Irak-Strategie gewähren. Nach einem Treffen mit seinem Kabinett und den politischen Spitzen beider Parteien beschränkte sich der Präsident darauf, das Thema Finanzen in den Mittelpunkt zu stellen. Dabei forderte er die Gesetzgeber zu verstärkten Steuerkürzungen auf.
Irak: Alles beim alten?
Die Medien erwarten aber ohnehin keinen großen Strategiewechsel im Irak. Eine Aufstockung der Truppen gilt als sehr wahrscheinlich. Zudem hat das Pentagon einen neuerlichen Finanzzuschuss von fast 100 Milliarden Dollar für Irak und Afghanistan angefordert. Da Pelosi und Reid keine Einschnitte in die finanzielle Ausstattung der Truppen machen wollen, könnten sie Bush einige Zugeständnisse in der Irak-Politik abringen. Ein Impeachment-Verfahren gegen Bush haben beide Vorsitzende bereits abgelehnt.
Präsident Bush ist mit einem schweren politischen Gegengewicht konfrontiert. Dieser Machtverlust muss aber nicht unweigerlich dazu führen, dass seine katastrophalen Umfragewerte noch weiter sinken oder er in den verbliebenen zwei Jahren zum "lame duck" verkommt. Es liegt ironischerweise auch in der Hand der Demokraten, das Andenken Bushs zu retten. Und das können sie, entweder, indem sie total versagen, oder indem sie mit dem Weißen Haus zusammenarbeiten.
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