Demokraten hofieren ukrainischen Präsidenten in den USA. Republikaner bleiben bei ihre Kritik an Ukraine-Hilfe.
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Wolodymyr Selenskyj hat zum wiederholten Male gezeigt, dass er politische Inszenierung und die Produktion kameratauglicher Bilder ausgezeichnet beherrscht. Auch bei seiner ersten Auslandsvisite seit Kriegsbeginn, bei der der ukrainische Präsident seinen US-Amtskollegen Joe Biden traf, trat Selenskyj in olivgrüner Militärkleidung auf. Bei seiner anschließenden Rede im Kongress vor den Abgeordneten der beiden Parlamentskammern am Mittwoch überreichte Selenskyj der US-Vizepräsidentin Kamala Harris und Nancy Pelosi, Sprecherin des Repräsentantenhauses, eine ukrainische Fahne. Doch nicht irgendeine Flagge, sondern eine mit Botschaften von Soldaten aus der umkämpften ostukrainischen Stadt Bachmut.
"Diese Flagge ist ein Symbol unseres Sieges. In diesem Krieg halten wir stand, wir kämpfen und wir werden gewinnen, weil wir vereint sind. Die Ukraine, Amerika und die gesamte freie Welt", sagte Selenskyj. Einheit zwischen der Ukraine und den Vereinigten Staaten demonstrierten Harris und Pelosi, sie hielten die blau-gelbe Fahne hoch.
Appell an uramerikanische Werte
Der ukrainische Präsident wurde auch nicht müde, historische Paralleln zwischen beiden Ländern zu ziehen. Selenskyj zog eine Linie von Russlands Invasion im Nachbarland zum Einsatz der US-Soldaten im Zweiten Weltkrieg. "Genau wie die tapferen amerikanischen Soldaten, die zu Weihnachten 1944 ihre Linien hielten und Hitlers Truppen zurückschlugen, tun tapfere ukrainische Soldaten dieses Weihnachten dasselbe gegen Wladimir Putins Truppen." Es gehe damals wie heute um nicht weniger als die Verteidigung von Freiheit, dem ureigensten amerikanischen Prinzip, versuchte Selenskyj seinen Zuhörern zu vermitteln.
Dieser Kampf hat seinen Preis. Wie erwartet sicherte US-Präsident Biden 1,8 Milliarden Euro an Militärhilfe zu. Das von der Ukraine lang ersehnte Flugabwehrsystem Patriot ist darin inkludiert. Selenskyj erhofft sich dadurch besseren Schutz der Zivilbevölkerung, die seit Wochen unter massivem russischen Beschuss leidet. Zivile Infrastruktur nehmen die Truppen von Machthaber Putin ebenfalls ins Visier und legen die Stromversorgung lahm.
Biden bezeichnete Selenskyj als Mann einer anderen uramerikanischen Pose, jener des Helden. Der ukrainische Präsident sei bereit, "sein Leben für sein Land zu geben". Dass Selenskyj zu Beginn des Krieges seine Heimat nicht fluchtartig verlassen hat, als fast alle Militärexperten von einer schnellen Niederlage der Ukraine und der Eroberung der Hauptstadt Kiews ausgingen, markierte den Beginn dieser Erzählung. Der frühere Schauspieler und Komiker Selenskyj mutierte zum Staatsmann.
"So lange wie nötig" wolle er die Ukraine unterstützen, macht Biden bei jeder Gelegenheit deutlich. Im Kongress wird das zum Teil anders gesehen, auch wenn Abgeordnete beider Parteien Selenskyjs Rede immer wieder mit stehendem Applaus bedachten. Zwar ist weitere humanitäre und militärische Hilfe für die Ukraine in Höhe von rund 45 Milliarden Dollar zwischen Republikanern und Demokraten paktiert, doch steht noch die Abstimmung aus. Einige Konservative stellen die Zahlungen öffentlich in Frage, würden damit die US-Hilfen für die Ukraine insgesamt mehr als 100 Milliarden Dollar betragen.
Selenskyj warnt vor US-Isolationismus
Diese Kritiker hatte Selenskyj im Blick, als er im Kongress sagte: "Ihre Gelder sind keine Almosen. Sie sind eine Investition in die globale Sicherheit und Demokratie." Der Präsident erwartet einen Wendepunkt des Krieges im kommenden Jahr - und fürchtet ein republikanisch dominiertes Repräsentantenhaus ab Jänner, das Gelder blockieren könnte. "Dieser Kampf kann nicht eingefroren oder verschoben werden", warnte Selenskyj vor einem Rückzug der USA in Isolationismus. Die Staaten seien zu eng miteinander verwoben. "Diese Auseinadersetzung bestimmt, in welcher Welt unsere Kinder und Enkel leben werden", so der Präsident.
Selenskyj wollte auch Vorbehalte ausräumen, wonach die Ukraine auf den direkten Kampfeinsatz von US-Truppen hoffe: "Wir haben nie danach gefragt, dass sie statt uns kämpfen." Genau das behauptete nach der Rede des Präsidenten Dan Caldwell von der Gruppe "Stand together" im republikanischen Haussender Fox News: "Es ist klar, Selenskyjs Ziel ist, Amerikas Söhne und Töchter zum Kämpfen und Sterben in die Ukraine zu bringen", sagte Caldwell. Laut der NGO Influence Watch handelt es sich bei "Stand together" um eine Dachorganisation, die von Rechtsaußen-Milliardär Charles Koch finanziert wird.
Kritik im Haussender der Republikaner
Fox News stellte am Tag nach der Visite Selenskyjs die Kritik am Kurs Bidens ins Zentrum seiner Berichterstattung. "Kein weiteres Geld für die Ukraine! Wir können diesen Krieg nicht in Ewigkeit für Euch führen!", twittere Tomi Lahren, Kommentatorin des Senders. Der republikanische Kongressabgeordnete Andy Biggs twitterte: "Keine Blankoschecks mehr für die Ukraine." Fast gleichlautend äußerte sich zuletzt Kevin McCarthy. Er will wie Biggs nächster Sprecher des Repräsentantenhauses im Jänner werden, wenn die Republikaner die Mehrheit halten. Selenskyj muss sich auf viel Überzeugungsarbeit für weitere Hilfen einstellen.