Die amerikanischen Massenmedien haben zum politischen Aufstieg Donald Trumps massiv beigetragen - und wenig dazugelernt. Eine kritische Bilanz.
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Nicht, dass es im Jahr 2020 noch einen Beweis dafür gebraucht hätte; aber schwarz auf weiß und im Detail liest sich die x-te Bestätigung dafür, wie Präsident Donald Trump und seine Republikaner die Repräsentanten der etablierten US-Medien an der Nase herumführen und erfolgreich für ihre Zwecke instrumentalisieren, dann doch immer wieder erschreckend.
Fast genau auf den Tag einen Monat vor der Präsidentschaftswahl am 3. November veröffentlichten die Forscher des an der Harvard University beheimateten Berkman Klein Center for Internet & Society ihre Antworten auf die Frage, warum heute Abermillionen Amerikaner das Märchen glauben, dass die Möglichkeit der Stimmabgabe per Brief, wie von Trump und seinen Sykophanten behauptet, "dem Betrug Tür und Tor öffnet". Allein der Titel ihrer Studie könnte sich aussagekräftiger kaum darstellen: "Mail-in Voter Fraud: Anatomy of a Disinformation Campaign."
Es ist weiß Gott nicht die erste und nicht die letzte Desinformationskampagne, die in den vergangenen vier Jahren im Weißen Haus erfunden und von Trumps willigen Vollstreckern im Kongress umgesetzt wurde. Eine Sonderstellung nimmt sie dennoch insofern ein, als sie erst im Wahljahr so richtig an Fahrt aufnahm. Noch bei den Midterms im Herbst 2018, als alle Sitze im Kongress und ein Drittel der im Senat zu vergebenden neu gewählt wurden, war das Thema Briefwahl medial praktisch inexistent. Erst als den ehemaligen Konservativen, deren überwältigende Mehrheit sich unter Trump nunmehr (mit allen damit einhergehenden Begleiterscheinungen) als offen neofaschistisch geriert, gewahr wurde, dass die Demokraten im Gegensatz zu ihren Wählern im Corona-Zeitalter überproportional von der Briefwahl Gebrauch machen würden, entdeckten sie das Thema für sich.
Seitdem gibt es für sie kein Halten mehr in Sachen Sabotage der Ausübung eines demokratischen Grundrechts. In der Hoffnung, so viele Bürgerinnen und Bürger von der Wahl Joe Bidens und seiner Stellvertreterin Kamala Harris abzuhalten, warnen die Republikaner heute landauf, landab vor der angeblichen "Illegalität" einer Stimmabgabe am Postweg. Tatkräftig unterstützt werden sie dabei von den obersten, von Trump persönlich installierten Postbehörden.
Während seine Parteifreunde von außen gegen das System schießen, erledigt Postmaster General Louis DeJoy, dem der Präsident diesen Job wegen dessen großzügiger Wahlkampfspenden verschafft hat, den Rest, indem er das aufgrund der Pandemie ohnehin schwer gestresste United States Postal Service (USPS) von innen sturmreif schießt.
Den Rest sollen die über 200 von Trump auf Lebenszeit bestellten und ihm teilweise offen ergebenen Bundesrichter erledigen. Die kommen dieser Aufgabe teils schon jetzt geflissentlich nach. Nachdem die Wahl und die damit verbundenen Rechtsstreitigkeiten in manchen Bundesstaaten bereits begonnen haben, entschieden sie bisher, wo sie konnten, verlässlich im Sinn des 74-jährigen Ex-Reality-TV-Stars. Alles zusammengenommen und nach allen objektiven Maßstäben eine äußerst durchsichtige Strategie, die die Republikaner ganz offen und ungeniert fahren.
Warum auch nicht: Davor, dass ihnen dabei die Massenmedien mit einer allzu kritischen Berichterstattung in die Quere kommen, brauchen sie, wie die Harvard-Studie beweist, keine Angst zu haben. Der Schluss, zu dem ihre Autoren kommen, könnte unzweideutiger nicht ausfallen: "Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass die hoch effektive Desinformationskampagne (zum Thema Briefwahl) mit ihren potenziell profunden Auswirkungen für die Teilnahme an und die Legitimität der Wahl 2020 ein von den Eliten und den Massenmedien angetriebener Prozess war. Die sozialen Medien spielten dabei nur eine untergeordnete Begleitrolle."
Problematische Muster
Ein Schnappschuss zu einem klar begrenzten Thema - aber einer, der in aller Deutlichkeit eine Reihe von so grundlegenden wie hochproblematischen Mustern offen- legt, die seit 2015, als Trump seine Kandidatur fürs höchste Amt im Land bekanntgab, die politische Debatte in den USA in einer bis dahin ungekannten Drastik und weitgehend unwidersprochen dominieren.
Fünf Jahre später, so viel wurde im heurigen Wahlkampf klar, haben die Repräsentanten der Massenmedien im Umgang mit Trump und seinen Anhängern so gut wie nichts dazugelernt. Stattdessen befördern sie, wie schon 2016, weiter den Mythos von den heutzutage angeblich alles dominierenden Social-Media-Plattformen und/oder schieben die Schuld allein auf Propagandavehikel wie Fox News und das um den rechtsextremen Sender herum entstandene, seit der Obama-Präsidentschaft offen faschistische Botschaften verbreitende Medien-Biotop.
Zu dessen großer Freude hat Einfluss, wem Einfluss zugestanden wird - auch wenn dieser beim zweiten Hinschauen in höchstem Maße fragwürdig erscheint. Dabei stellt sich die Gleichung relativ einfach dar: Wenn sich fünf der sechs die amerikanische Medienlandschaft dominierenden Konzerne (National Amusement, Disney, Time Warner, Comcast und Sony) in den Neunzigern nicht auf die eine oder andere Weise dazu entschlossen hätten, sich fortan vom sechsten (der dem Murdoch-Clan gehörenden News Corporation) politisch vor sich her treiben zu lassen, säße wahrscheinlich seit Jahrzehnten kein Republikaner mehr im Weißen Haus. Eine nur vordergründig gewagte These, die eingedenk der faktischen Entwicklungen der vergangenen zwei Jahrzehnte keinen anderen Schluss zulässt.
Fox-Fehleinschätzung
Als Fox News 1996 on air ging, ahnte noch niemand das Ausmaß dessen, was es mit seiner Konkurrenz anrichten würde. Der Sender, wiewohl vom ehemaligen Richard-Nixon-Berater Roger Ailes auf Geheiß von Rupert Murdoch von Anfang an als ultrarechtes Propagandamedium platziert, schaffte es, den Rest der Medienwelt davon zu überzeugen, dass es seinen ersten Slogan ("Fair and Balanced") ernst nehme.
Wiewohl sich das alte Fox News de facto durch nichts von seiner heutigen Inkarnation unterschied, beschlossen seinerzeit die Vertreter der alteingesessenen Medien, von den großen, landesweit ausstrahlenden Sendern (ABC, NBC, CBS) bis zu traditionsreichen Blättern wie der "New York Times" und der "Washington Post", Murdochs Unternehmen nicht als das zu kategorisieren, was es war - eine Propagandamaschine, die weder vor Erfindungen noch vor der Verbreitung dreistester Lügen und Verschwörungstheorien zurückschreckt, wenn es nur dem politischen Gegner schadet -, sondern ihm und seinen Repräsentanten auf Augenhöhe und mit Respekt zu begegnen.
Eine aus heutiger Sicht so unglaubliche wie folgenreiche Fehleinschätzung, mit der sie sich, wie man heute weiß, in Sachen Glaubwürdigkeit einen Gutteil ihres eigenen Grabes schaufelten. Von den Mitbewerbern derart legitimiert, passierte in der Folge das Unvermeidliche: Nicht Fox News passte sich dem Mainstream an, sondern der Mainstream sich Fox News.
Die Themen, die sich der Rest der US-Medien seitdem davon oktroyieren ließ und lässt und die damit einhergehende Doppelmoral, die jeder Beschreibung spottet, sind längst Legende. Nur um ein paar der wichtigsten Beispiele zu nennen: Wenn die Republikaner und ihr Haussender die Höhe der Staatsschulden zum Maß aller Dinge machten (was verlässlich immer nur dann geschah, wenn ein Demokrat im Weißen Haus saß), füllten die Print-Leitmedien brav Titelseite um Titelseite und die TV-Platzhirschen Meinungsblock um Meinungsblock mit den apokalyptischen Szenarien angeblich besorgter "Defizit-Falken".
Sobald ein Republikaner an die Macht kam (zuletzt George W. Bush und dann Donald Trump, unter dem das Budgetdefizit bisher auf sagenhafte 3,1 Billionen US-Dollar explodierte), verschwand das Thema wie von Zauberhand aus den Schlagzeilen, weil es, wie es Trumps Ex-Kabinettschef Mick Mulvaney so treffend formulierte, "in Wirklichkeit niemanden kümmert". Wenn die Konservativen enthusiastisch einen Krieg wie jenen mit dem Irak befürworteten, dessen angebliche Notwendigkeit, wie sich kurze Zeit später herausstellte, von Beginn an auf den in ihren Reihen schon damals populären "alternativen Fakten" und Lügen basierte, zog der Rest der Medienlandschaft aus Angst, nicht patriotisch genug zu erscheinen, nach.
Umgekehrte Verhältnisse
Und wenn die rechte Medienmaschinerie vom angeblichen "Krieg gegen Weihnachten" und artverwandte Märchen von den angeblich diskriminierten Weißen im Land erzählte, konnte sie sich darauf verlassen, dass sie damit selbst in der "New York Times", gestern wie heute das Vorzeigeblatt des liberalen Establishments, bei Kommentatoren wie dem Klimawandel-Skeptiker Bret Stephens und der umstrittenen, mittlerweile von Bord gegangenen Kolumnistin Bari Weiss Verständnis ernten würde.
Die Ironie all dessen ist, dass Fox News und seine dutzenden im Kabelfernsehen, Lokalradio und im Internet ausstrahlenden Satelliten heute nicht trotz, sondern gerade wegen des Nonsens, den sie verbreiten, von ihrem Publikum ernster genommen werden denn je zuvor. Die etablierten "Legacy Media"-Vertreter müssen sich währenddessen von 40 Prozent der Bevölkerung als "Lügenpresse" beschimpfen lassen, obwohl sie den realen wie erfundenen Nöten dieser Minderheit mehr Sendezeit und Texte widmen als je zuvor. Besonders bitter wird es dementsprechend, wenn es ins Detail der medialen Realitäten in den USA seit Trumps Wahl geht. Auch in diesem Zusammenhang stehen die Ergebnisse der Harvard-Studie pars pro toto.
Die Autoren identifizierten darin drei ganz konkrete Fehlleistungen der Massenmedien, die es Trump und seinen Anhängern nicht nur erlauben, seit nunmehr fünf Jahren erfolgreich eine Desinformationskampagne nach der anderen zu fahren, sondern zu diesen auch noch aktiv ihr Scherflein beitragen. Nummer eins: Der sämtliche namhafte US-Medien plagende "Elite Institutional Focus". Kennzeichnendes Merkmal: Wenn der Präsident etwas sagt, und sei es noch so offensichtlich erlogen und/oder schwachsinnig, müssen wir darüber berichten, weil er eben der Präsident ist; und je mehr Schwachsinn er redet und je mehr er lügt, desto mehr müssen wir darüber berichten.
Wozu das führt, ist eine Endlos-Wiederholung der laut "Washington Post" seit Amtsantritt bisher weit über 20.000 Lügen Trumps, die in der Folge jeder, der die politischen Nachrichten nur peripher verfolgt - die überwältigende Mehrheit der Amerikaner -, kaum mehr einordnen kann. (Erst in den vergangenen Monaten, zweifellos, weil die Umfragen immer klarer auf einen Sieg Joe Bidens hindeuten, entdecken viele Berichterstatter plötzlich ihren angeblichen inneren Antifaschismus, den sie in den vergangenen vier Jahren gut vor ihren Lesern und Zuschauern versteckt hatten.)
Neutralitätsreflex
Fehlleistung Nummer zwei: "Headline seeking", die zwanghafte Sucht nach der kontroversiellen Schlagzeile, die die Klicks auf der Medien-eigenen Website in die Höhe schnellen lässt. Eine im Jahr 2020 den Zwängen des Internets geschuldete Praxis, die Trump und seine Parteifreunde so weidlich wie meisterhaft auszunutzen wissen, gemäß dem alten Motto: Auch schlechte PR ist gute PR, Hauptsache im Gespräch bleiben.
Die mit hoher Wahrscheinlichkeit folgenreichste Fehlleistung von allen ist nach Einschätzung der Studien-Autoren aber die dritte: eine angesichts der konstanten Menge an Falschinformationen und Lügenpropaganda so vollkommen absurde wie allzu offensichtlich überholte Auffassung von "balance", sprich dem guten alten Neutralitäts-Dogma, dem gemäß Journalisten nur ja nicht den Anschein erwecken dürfen, sich auf die eine oder die andere Seite zu schlagen.
Die amerikanische Rechte hat den Neutralitätsreflex in einem Maß instrumentalisiert, das ebenfalls längst jeder Beschreibung spottet und vom Wirtschaftswissenschafter und Nobelpreisträger Paul Krugman in einer mittlerweile legendären, bereits vor einem Jahrzehnt erschienenen Kolumne so beschrieben wurde: "Die Medien fürchten sich wahnsinnig davor, beschuldigt zu werden, dass sie parteiisch sind. Und das liegt teilweise daran, dass da draußen eine ganze Maschinerie existiert, die einzig und allein dafür da ist, jeden als unglaubwürdig und parteiisch hinzustellen, der irgendetwas sagt, das der Rechten nicht passt."
Entsprechend stelle sich laut Krugman bis heute die Berichterstattung der amerikanischen Massenmedien dar. Das Problem existiert seit Jahrzehnten, geändert hat sich nichts: "Wenn die eine Seite behauptet, die Welt sei flach, und die andere, sie sei rund, lautet die Schlagzeile der Mainstream-Medien: ,Politische Differenzen um die Form des Planeten‘."
Zu welchen Verheerungen eine derart ängstliche publizistische Kultur führt, lässt sich täglich selbst in den Berichten sogenannter Qualitätsmedien nachlesen, -hören und -schauen: so zahnlose wie substanzlose Berichte von Journalisten, die ihre Aufgabe nicht in der kritischen Berichterstattung, sondern in der Stenografenrolle sehen und auch noch den größten Irrsinn, den die Mächtigen von sich geben, wert- und urteilsfrei wiedergeben.
Eine diesbezüglich unangenehme Wahrheit, die sich aber selbst Kaliber wie Krugman bis heute nicht laut auszusprechen trauen, weil sie mutmaßlich zu sehr an die Substanz gehen würde, liegt derweil im amerikanischen Selbstverständnis begründet, nach dem eine Autokratie in den USA trotz aller dunkelrot blinkender Warnsysteme am Ende des Tages ein Ding der Unmöglichkeit sei. Sollte sich Trump am 3. November wieder entgegen allen gegenteilig lautenden Umfragen durchsetzen, beziehungsweise entscheidet die Mehrheit der Richter am Supreme Court, dass dem so sei, werden diese Leute angesichts der Erfahrungen aus den vergangenen vier Jahren zweifellos eines Besseren belehrt werden.
Ein Sieg Bidens, und fiele er noch so knapp aus, würde von ihnen wie den Medienmachern hingegen nur als Beweis dafür interpretiert werden, dass nach wie vor alles grundsätzlich in Ordnung sei mit dem amerikanischen Demokratiemodell, so offen undemokratisch - Stichwort Electoral College - es auch sein mag; und sie werden einfach so weitermachen, wie sie es bisher getan haben, bis der nächste Trump daherkommt.
Was den Präsidenten selbst angeht, der als Person wie als Topos den vorläufigen Schlusspunkt dieser Entwicklung perfekt verkörpert, hat es in den vergangenen Jahren vielleicht niemand besser zusammengefasst als Les Moonves, der langjährige Vorsitzende der CBS Corporation (heute als ViacomCBS Teil des National-Amusement-Konzerns), der im Vorjahr wegen zahlreicher Vorwürfe der sexuellen Belästigung den Hut nehmen musste.
2016 kommentierte der heute 71-Jährige die Kandidatur des damals wie heute hochverschuldeten New Yorker Immobilienspekulanten Trump so: "Ich weiß nicht, ob das Ganze gut für Amerika ist, aber eines weiß ich: Es ist verdammt gut für CBS. (...) Es ist schrecklich, das zu sagen, aber: Bitte, Donald, mach weiter! Das Geld rollt nur so herein - und das macht Spaß!"
Klaus Stimeder lebt als freier Autor in den USA und studiert
Internationale Entwicklung und Migration an der University of California, Los Angeles.