Washington - Nach ihrer siegreichen Blitzoffensive droht den USA und ihren Kriegsverbündeten im Irak die Niederlage beim Wiederaufbau: Sechs Wochen nach dem Fall Bagdads versinkt das Land im Chaos. Plünderungen sind an der Tagesordnung, Infrastruktur und die medizinische Versorgung der Bevölkerung sind weitgehend zusammengebrochen, Epidemien wie die Cholera im Süden des Irak drohen.
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"Der Gegensatz zwischen dem glanzvollen militärischen Sieg und den jetzigen Bemühungen zum Wiederaufbau könnte nicht offenkundiger sein", sagt Loren Thompson vom Lexington Institute in Washington. "Wir stehen am Rande eines Fiaskos". Der oberste US-Kriegsherr zieht sich indes darauf zurück, dass das Ausmaß der Kriminalität und die Spaltung der politischen Kräfte nicht vorhersehbar gewesen seien. "Wir konnten nicht wissen, wie das enden würde", sagte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld der "New York Times".
Die Pläne des Pentagon für die Nachkriegszeit im Irak lasen sich einfach und klar: Nach der Entmachtung Saddam Husseins sollten Ölindustrie und Wirtschaft rasch wieder in Gang gebracht werden. Eine Übergangsverwaltung unter Führung der USA sollte von "freien Irakern" beraten werden und auch Vertreter der dann entmachteten Baath-Partei integrieren. Die Mehrheit der irakischen Minister, mit Ausnahme der für Sicherheit und Verteidigung zuständigen Führungsmitglieder, sollten im Amt bleiben dürfen.
Auch auf die Restbestände der besiegten irakischen Armee wollten die USA den politischen Wiederaubau stützen. Nach Feststellung ihrer politischen Vergangenheit sollten irakische Militärs den Rumpf neuer Streitkräfte bilden. Um diese Pläne nach dem Krieg umsetzen zu können, verschonten die alliierten Streitkräfte während des Krieges nach Möglichkeit die zivile Infrastruktur im Irak. Die Vorstellungen der Pentagon-Strategen, ganze irakische Armee-Einheiten zum Überlaufen zu bewegen, konnten sie im Gegensatz zum raschen Sturz der Führung in Bagdad allerdings nicht erreichen.
Unvorhersehbar für die USA und ihre Verbündeten war auch die Tatsache, dass die irakische Führung vor ihrem Ende offenbar noch rasch die Gefängnisse öffnete und die Bevölkerung im Besitz großer Mengen von Waffen und Munition war. Dies trug schließlich mit dazu bei, dass Massenkundgebungen jubelnder Iraker in Anarchie umschlugen. Den richtigen Moment, von Kampfhandlungen auf Wiederaufbau umzuschalten, hätten die USA zudem verpasst, kritisiert der US-Politologe Thompson. "Sie haben etwas Wesentliches vernachlässigt - nämlich, wie man die Ordnung wiederherstellt, damit ein Land funktionieren kann." So kam der US-Zivilverwalter James Garner erst nach Bagdad, als Krankenhäuser und öffentliche Gebäude längst von Plünderern ausgeräumt waren.
"Wir haben uns auf diesen Krieg mehr vorbereitet als auf andere Kriege", rechtfertigt ein Pentagon-Vertreter das Vorgehen seiner Regierung. Die US-Streitkräfte seien von den Ereignissen schlicht überrascht worden. Das Ausmaß der Plünderungen und die Reaktionen der irakischen Bevölkerung seien einfach nicht vorhersehbar gewesen.
Bei ihren Planungen für eine Nachkriegsordnung unterlief den Planern in den Schaltzentralen von Washington zudem die entscheidende Panne, über einen langen Zeitraum eine massive Militärpräsenz im Irak zu gewährleisten, um Sicherheit und Stabilität zu gewährleisten. Nach Thompsons Einschätzung sträubt sich die US-Regierung gegen einen solchen langfristigen Großeinsatz ihrer Streitkräfte. Sie sehe auch nicht ein, dass auch die US-Armee nicht alle Aufgaben bewältigen könne. "Deshalb haben sie schlicht und einfach angenommen, dass sie die Ordnung im Irak auch mit einer kleinen Truppe wiederherstellen können", sagt Thompson.