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US-Parteien suchen neues Vertrauen

Von WZ-Korrespondentin Marianne Neumann

Politik

Wie siegt man am 4. November 2008? | Wahlverhalten wird unberechenbarer. | Themen Wirtschaft, soziale Sicherheit. | Washington. Auch wenn die nächste Wahl zum US-Präsidenten erst in zwei Jahren stattfindet, hat der Kampf um die Vorherrschaft im Weißen Haus bereits begonnen. Vertreter beider Parteien - der Republikaner und der Demokraten - formieren ihre Truppen, und Politstrategen analysieren, welche Themen entscheidend für den Sieg sein werden.


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In Washington D.C. ist wieder Ruhe eingekehrt. Nach den schrillen Wahlkampftönen vor den Kongresswahlen am 7. November hat nun die deutlich stillere Verdauungsarbeit eingesetzt. Der Sieg der Demokraten in beiden Kammern des amerikanischen Parlaments erfordert eine Neuausrichtung der gesamten politischen Kaste in der amerikanischen Hauptstadt: Die erstmals gewählten Abgeordneten - immerhin 49 der insgesamt 435 Vertreter im "House" - richten nun ihre Büros ein; Lobbyisten verstärken ihre Kontakte zu den Demokraten, um die künftige Gesetzgebung optimal beeinflussen zu können; Republikaner, die ihren Sitz im Kongress verloren haben, und ihre Mitarbeiter sind auf Jobsuche.

Das Ende der

konservativen Ära?

Doch der ruhige Schein trügt. Die jüngsten Wahlen waren auch ein erster Testlauf für einige potenzielle Kandidaten für die nächste Präsidentenwahl am 4. November 2008: etwa für die Senatorin von New York, Hillary Clinton, die diese Übung fehlerfrei und überzeugend absolvierte. Für andere bedeuteten die heurigen Kongresswahlen allerdings bereits das Aus für ihre Ambitionen auf das höchste Amt in den USA: etwa für den früheren Senator George Allen aus dem Bundesstaat Virginia, der seinen vermeintlich sicheren Sitz im Senat an den demokratischen Gegner Jim Webb verlor - aufgrund massiver Fehler und peinlicher Hoppalas in der eigenen Kampagne, die ihn als Präsidentschaftskandidaten endgültig disqualifizierten.

Während sich die Kandidaten für das Präsidentenamt langsam in Stellung bringen, gehen Politstrategen beider Parteien der Frage nach, welche Themen in den kommenden zwei Jahren relevant sein werden, um die Mehrheit der Wähler für sich zu gewinnen. Dabei versuchen Republikaner und Demokraten, aus den Kongresswahlen Trends abzuleiten - naturgemäß mit unterschiedlichen Ergebnissen. Während die Demokraten am Tag nach der Kongresswahl das Ende der konservativen Ära in den USA feierten, sprechen Republikaner von einer vorübergehenden Abstrafung durch die Wähler, die mit dem jüngsten Votum zwar ihren Unmut über Präsident George W. Bush und den Irakkrieg zum Ausdruck brachten, aber im Grunde ihres Herzens nach wie vor konservative Politik bevorzugen würden.

Niederlage war eine

Frage der Kompetenz

Für die Interpretation der Republikaner spricht, dass bei den Kongresswahlen offenkundig beide Parteien nach rechts gerückt sind. Bei den Republikanern haben vor allem jene Kandidaten verloren, die als moderat gelten. Von den 199 republikanischen Abgeordneten gehören nun 110 dem deutlich konservativen Lager an, das damit seinen Einfluss innerhalb der Partei weiter ausgebaut hat.

Aber auch bei den Demokraten gewannen eine Reihe von Vertretern, die traditionell republikanische Positionen vertreten. So haben etwa der Senator von Pennsylvania, Bob Casey Jr., oder der Abgeordnete von North Carolina, Heath Shuler, ganz dezidiert Abtreibungen abgelehnt, sich für das Recht auf Waffenbesitz ausgesprochen und damit bei den Wählern gepunktet.

Der Meinungsforscher Stanley Greenberg, der schon für Präsident Bill Clinton erfolgreich tätig war und in Folge die sozialdemokratischen Parteien in Großbritannien, Deutschland und auch Österreich beraten hat, sieht die Ausgangslage eher nüchtern: "Das war keine Wahl, bei der eine Partei klar gewonnen und die andere klar verloren hat. Es ist noch völlig offen, ob nun eine Phase der Dominanz der Demokraten anbricht."

Für Edward Grefe, Politberater in Washington D.C., haben die Amerikaner vor allem anhand eines Kriteriums entschieden, wem sie ihre Stimme geben - Kompetenz. "Die Regierung Bush hat im Irakkrieg, nach dem Hurrikan Kathrina oder beim Thema Immigration den Eindruck der Inkompetenz vermittelt. Dafür wurde sie von den Wählern bestraft. Das war keine Frage von konservativer versus liberaler Politik."

Irak-Debatte überlagert Vertrauenskrise

Die heftige Debatte über den Irakkrieg während der vergangenen Monate hat aus Sicht von Grefe ein viel grundsätzlicheres Unbehagen der amerikanischen Bürger überlagert. "Erstmals glauben die Amerikaner nicht mehr, dass es ihren Kindern einmal besser gehen wird. Es herrscht eine Vertrauenskrise - in die Zukunft, aber auch in die politische Führung", meint Grefe.

Die jüngsten Umfragen bestätigen seine These. Laut einer Umfrage von Mitte November (beauftragt von ABC News und der Washington Post) empfinden 54 Prozent der Amerikaner den aktuellen Zustand der US-Wirtschaft als "nicht gut" oder "schlecht". Auf die Frage, ob angesichts der persönlichen finanziellen Umstände nun eine günstige Zeit sei, um Anschaffungen zu tätigen, verneinen dies sogar 60 Prozent.

Dieses subjektive Empfinden steht in krassem Widerspruch zu den durchaus erfreulichen Wirtschaftsdaten, die Präsident Bush nur wenige Tage vor den Kongresswahlen verkünden konnte: mit 4,4 Prozent ist die Arbeitslosenrate in den USA auf das Niveau von 2001 zurückgegangen, und das Wirtschaftswachstum lag im letzten Jahr bei 2,9 Prozent und damit klar höher als in der EU.

Für Grefe werden Wirtschaft und soziale Sicherheit daher zentrale Themen bei den kommenden Präsidentschaftswahlen sein. In seinem soeben erschienen Buch "The Great Risk Shift" kritisiert Jacob S. Hacker, liberaler Politikwissenschaftler an der Universität Yale, dass in den USA das persönliche Risiko für den einzelnen in den vergangenen Jahren ständig zugenommen habe, da das ohnehin locker geknüpfte soziale Netz mehr und mehr erodiert. "Auch das Karriererisiko ist größer geworden", so Hacker. "Während in den 70er Jahren ein Rückschritt auf der Karriereleiter - etwa wenn der Arbeitgeber pleite geht - einen Einkommensverlust von durchschnittlich 25 Prozent brachte, liegt dieser Wert heute bei 40 Prozent."

Mittelstand dünnt aus, die Kluft wächst

Hackers Kritik, dass sich die Politik der vergangenen Jahre vor allem zulasten des amerikanischen Mittelstandes ausgewirkt habe, wird durch eine neue Studie des Washingtoner "Center on Budget and Policy Priorities" bestätigt. Demnach betrug das Einkommen der wohlhabendsten ein Prozent Amerikaner im Jahresdurchschnitt 940.000 Dollar (731.000 Euro). Das oberste Zehntel dieses einen Prozent verdient gar 4,5 Millionen Dollar (3,5 Millionen Euro) im Jahr. Aber auch das sind noch wirklich die Superreichen, denn das oberste Hundertstel der Top-Ein-Prozent-Liga verfügt über ein Jahreseinkommen von 20 Millionen Dollar (15,6 Millionen Euro).

Gravierend ist allerdings die Entwicklung dieser Einkommen: Während das Durchschnittseinkommen für 90 Prozent der US-Haushalte zwischen 1990 und 2004 um schmale zwei Prozent gestiegen ist, wuchs das Einkommen der obersten Ein-Prozent-Haushalte um 57 Prozent, das der Superreichen sogar um 112 Prozent. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird extremer, der Mittelstand dünnt aus.

Eng verbunden mit der Wirtschaftssituation, allerdings emotional komplexer, ist die Frage der künftigen Immigrationspolitik in den USA - laut Politberater Grefe das zweite große Thema der kommenden zwei Jahre. Der Sieg von Kandidaten der Demokraten bei den Kongresswahlen etwa im südlichen Bundesstaat Arizona - ein bisher republikanischer Bundesstaat in den vergangenen Wahlgängen - lässt bei Republikanern die Alarmglocken schrillen. Ebenso wie das Faktum, dass 2006 nur mehr 29 Prozent der hispanischen Amerikaner republikanisch wählten - gegenüber 44 Prozent im Jahr 2004.

Die Sinnhaftigkeit des von Republikanern befürworteten und auch noch vor den Kongresswahlen beschlossenen Baus eines Schutzzaunes an der Grenze zu Mexiko wird bereits öffentlich angezweifelt, etwa von Ken Mehlman, dem Parteichef der Republikaner: "Sobald wir nur mehr als Partei der Mauer' gelten, werden wir damit das Wachstum der Partei substanziell limitieren."

Trendfarbe Violett

verunsichert Strategen

2008 ist ein Jahr, in dem die politische Landkarte Amerikas neu gezeichnet werden könnte. Während es bislang als relativ gegeben angesehen wurde, dass die Demokraten die "blauen" Bundesstaaten entlang der Ost- und Westküste dominieren, gehört die breite geographische Mitte und der Süden den "roten" Republikanern.

Die heurigen Wahlen haben nun einige Bundesstaaten wie etwa Virginia "violett" gefärbt - und damit in die Abteilung "politisch unberechenbar" eingestuft. Das macht es für die Strategen der Präsidentschaftskandidaten deutlich schwieriger, das Wahlverhalten 2008 zu prognostizieren. Damit und bedingt durch die Tatsache, dass seit 1928 erstmals kein amtierender Präsident oder Vizepräsident kandidiert, werden die Wahlen um die Vorherrschaft im Weißen Haus in zwei Jahren spannend wie selten zuvor.

Edmund Grefe zieht eine Ein-Dollar-Note heraus und fragt: "Was ist das wichtigste Wort auf diesem Geldschein?" Und er beantwortet die Frage gleich selbst: "'Trust' - Vertrauen. Wem es gelingt, das Vertrauen der Wähler zu gewinnen, nämlich das Vertrauen, Probleme kompetent zu lösen und eine bessere Zukunft zu gestalten, der oder die wird siegen."