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US-Politik: Zaudern und Ungeduld

Von David Ignatius

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Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

Der Rückgang der Konjunktur, der jetzt begonnen hat, war abzusehen. Im Vorfeld, als es noch Mittel dagegen gegeben hätte, hat die Politik nichts Wirkungsvolles unternommen. | Wo waren all die Politiker, die nun so eilig etwas gegen die drohende Rezession unternehmen wollen, als sich das Wirtschaftschaos zusammenbraute? Die Antwort ist bekannt: Die meisten von ihnen haben sich mit anderen Themen beschäftigt. Nun, da der Rückgang der Konjunktur begonnen hat, könnte es schon zu spät sein, manche Auswirkungen abzuschwächen.


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Das ist eines der unsauberen kleinen Geheimnisse der Wirtschaftspolitik: Die Antwort auf eine Krise kommt oft zu spät, denn die Verantwortlichen in der Politik erkennen häufig nicht rechtzeitig, dass sich ein Problem zusammenbraut - und dann dauert es noch lange, bis sie etwas unternehmen.

Besonders ärgerlich in diesem Zusammenhang ist, dass die Probleme auf dem US-Immobilienmarkt der Bevölkerung schon lange klar waren. In der Tat bewegen wir uns genau deshalb auf eine Rezession zu, weil Konsumenten und Manager schon im vergangenen Herbst bemerkt haben, dass auf dem Hypothekenmarkt etwas ernsthaft nicht in Ordnung ist. Sie haben daraufhin ihre Ausgaben und Investitionen gekürzt.

Das Ergebnis sehen wir nun: zurückgehende Verkaufszahlen im Einzelhandel, gepaart mit wachsender Arbeitslosigkeit.

Im Mai 2007, als die Warnsignale in Richtung Hypothekenkrise nicht mehr zu übersehen waren, sagte US-Notenbankchef Ben Bernanke, dass sich die Auswirkungen der Probleme im Subprime-Sektor des Immobilienmarktes, also Kredite für Kreditnehmer ohne Sicherheiten, wahrscheinlich in Grenzen halten würden. So kann man sich täuschen.

Die Händler der Wall Street hingegen haben die Immobilienkrise vorhergesehen. Die Smarten unter ihnen waren aggressiv genug, davon zu profitieren. Das "Wall Street Journal" hat kürzlich den Hedgefonds-Manager John Paulson porträtiert, der im Vorjahr zwischen drei und vier Milliarden(!) Dollar mit seinen Wetten verdient hat, dass die wacklige Struktur der Subprime-Hypotheken demnächst zusammenkrachen werde. "Das ist verrückt", soll Paulson zu seinen Kollegen gesagt haben.

Auch Goldman Sachs erkannte, dass es Schwierigkeiten auf dem Immobilienmarkt geben wird, und reduzierte die Hypothekenanteile und die hypothekengestützten Sicherheiten. Und auch einige Journalisten haben die Krise schon früh erkannt. Solche Artikel stammen zum Teil sogar aus dem Jahr 2005. "Hier handelt es sich um ein Versagen des gesunden Menschenverstandes", brachte es Steven Pearlstein, ein Finanzkolumnist der "Washington Post" im März 2007 auf den Punkt.

Ökonomen, die ja für alles eine Theorie haben, liefern auch eine Erklärung für diese chronische Neigung, alles hinauszuzögern, bis es zu spät ist, um dann umso lauter nach Maßnahmen zu schreien: "Procrastination and Impatience" ("Zaudern und Ungeduld") ist der Titel einer im Dezember veröffentlichten Untersuchung des National Bureau of Economic Research. Die drei Autoren kommen zu dem Schluss, dass Menschen, die eine Vorliebe für das Unmittelbare und Unverzügliche haben, auch jene sind, die mehr zögern und zaudern.

Da haben wir es: Die politische Vorgangsweise der USA führt zur Selbstfrustration. Die US-Politiker wollen sofortiges Handeln, aber nur, wenn sie es bereits bis zu dem Punkt verzögert haben, an dem es ohnehin wirkungslos bleibt. Der US-Notenbankchef will der Wirtschaft mit Geldspritzen auf die Beine helfen, aber erst nachdem die Banker zu nervös geworden sind, noch Geld leihen zu wollen. Niemand kann also sagen, die Menschen hätten die Vorboten der Krise nicht gesehen. Zu der Zeit, als es noch viel hätte bewirken können, haben die Politiker einfach nichts Wirkungsvolles dagegen unternommen.

Übersetzung: Redaktion