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US-Verfassungskrise?

Von Ritt Goldstein

Politik

"Wir sind in großen Schwierigkeiten", sagt Ray McGovern, der angesehene frühere CIA-Analytiker mit noch immer engen Verbindungen zu US-Geheimdiensten. Im Interview mit der "Wiener Zeitung" meint McGovern, dass Amerika eine "Verfassungskrise ungeahnten Ausmaßes" durchmacht. Bestätigt wird diese Behauptung durch einen Artikel mit dem Titel "Cheneys langer Weg in den Krieg", der kürzlich im Magazin "Newsweek" erschienen ist. Darin stand zu lesen: "Einige Beobachter sehen einen Zusammenbruch der Regierung."


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McGovern war 27 Jahre lang Mitarbeiter der CIA. Früher bestand seine Aufgabe darin, das Weiße Haus täglich über den Stand der Weltpolitik zu informieren. Während seines Dienstes unter US-Präsident Ronald Reagan wurde er ein enger Freund von George Bush senior. Mitte Juli war McGovern Teil einer Gruppe von ehemaligen hochrangigen US-Geheimdienstmitarbeitern, die Cheneys Rücktritt forderten. Er habe eine Täuschungskampagne geführt, um den Irak-Krieg voranzutreiben.

Es wird Beweise geben, dass die derzeitige US-Regierung - durch die Bestrebungen von Vizepräsident Dick Cheney - "nicht nur die amerikanische Öffentlichkeit hinters Licht führt, sondern auch unsere gewählten Repräsentanten", den Kongress, ist McGovern überzeugt.

Neokonservative Propaganda

McGovern bestätigt die Anschuldigungen, die Karen Kwiatkowski, früher Oberstleutnant und im Pentagon tätig, vor kurzem in einem Interview mit der "Wiener Zeitung" erhoben hat. Sie berichtete von Propaganda durch Neokonservative innerhalb des Pentagons.

McGovern geht sogar einen Schritt weiter. "Propaganda in einer solchen Art, dass sie sogar eines Joseph Goebbels würdig gewesen wäre", erinnert er an den Nazi-Informationsminister. Anfang November hatte US-Senator Robert Byrd angeprangert, dass "diese Bush-Regierung eine Fata Morgana und eine Fassade aufrecht erhält. Sie hofft, das amerikanische Volk dazu zu bewegen, seine falschen politischen Entscheidungen zu schlucken, ohne sie zu hinterfragen". Für McGovern ist Byrd einer der besten Beobachter der derzeitigen Krise.

Kriegsbevollmächtigung

Eine zentrale Rolle in dieser Krise spielt die Kriegsbevollmächtigung, die der Kongress Bush gegeben hat, und die Art und Weise in der sie erlangt wurde und vielleicht noch eingesetzt wird. Viele Experten stimmen überein, dass die Regierung den Kongress durch falsche Informationen in die Einwilligung getrieben hat. Das alles sei Teil einer Regierungslinie, die auf ein US-Imperium abzielt.

McGovern hebt als einen der wichtigsten Teile des Täuschungsmanövers die falschen Anschuldigungen hervor, der Irak habe Uran aus Niger angefordert. "Cheney hatte dabei die Hauptrolle." Laut McGovern gibt es in einem neuen Bericht von Waffeninspektor David Kay sogar Beweise dafür, dass Saddam Hussein eine Uran-Lieferung aus einem anderen afrikanischen Staat abgelehnt hat. Mit dieser Uran-Geschichte "hat die Exekutive vorsätzlich die Legislative getäuscht", so McGovern. Das habe dazu geführt, dass der Kongress "seine verfassungsmäßigen Rechte und die Macht den Krieg zu erklären" abgegeben hat.

Marketingkampagne

"Das alles war eine gut dirigierte Kampagne", meint McGovern. Der Vorsatz in den Krieg gegen den Irak zu ziehen, sei im Frühjahr 2002 gefasst worden. Danach wurde eine Marketingkampagne für den Krieg für den Herbst des vergangenen Jahres angesetzt. Dabei wurde vor allem die Uran-Geschichte eingesetzt.

Cheney erwähnte sie erstmals im August 2002. "Wir wissen jetzt, dass Saddam seine Bemühungen, an Nuklearwaffen zu kommen, wieder aufgenommen hat", sagte der Vizepräsident damals. Bald wurde die Aussage mit dem Bild eines Atompilzes untermalt.

Präsident Bush, seine Beraterin Condoleeza Rice und Victoria Clarke, eine Vertreterin des Pentagons, zitierten diese Schreckensmeldung danach jeweils am 7., 8., und 9. Oktober 2002, erinnert sich McGovern. "Am 10. und 11. Oktober übergab der Kongress seine Kriegsvollmachten dem Präsidenten", sagt der ehemalige CIA-Mitarbeiter.

"Die Resolution des Kongress sagt: ,Herr Präsident, sie können überall das Mittel der Gewalt einsetzen, um Frieden und Stabilität zu erzielen.'", überspitzte damals Scott Silliman, Vorsitzender der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Duke University, die Auswirkungen der Kongress-Entscheidung.

Befürchtungen

In dem Interview mit der "Wiener Zeitung" bringt McGovern auch Befürchtungen über Konflikte mit Syrien, dem Iran und einen möglichen nuklearen Konflikt mit Nord Korea ein. Das alles seien Ziele, die auch im Dokument "Der Wiederaufbau der US-Verteidigung" vom "Project for a New American Century" festgelegt seien. Dieses Dokument gilt als eine der Grundlagen für die derzeitige Regierungslinie.

Kurz nach dem 11. September wurde versucht, den Irak in die Terroranschlägen miteinzubeziehen, um einen Angriffsgrund zu haben. Doch obwohl US-Geheimdienste betonten, dass Saddam nichts mit dem 11. September zu tun hatte, hat Cheney heuer im September diese Verbindung wieder angesprochen und tut es seither immer wieder. McGovern beschuldigt sowohl Bush als auch Cheney ihre Aussagen dahingehend zu manipulieren, dass der Eindruck entstehen könnte, Saddam sei an den Terroranschlägen beteiligt gewesen. Tatsächlich ist die Mehrzahl der Amerikaner genau dieser Ansicht.

Das wirklich "schockierende", so McGovern, sei allerdings, dass die "Entscheidung, gegen den Irak Krieg zu führen, Monate vor Vorliegen des Geheimdienstberichtes über die Situation gefällt wurde". Er fügt hinzu, dass die Geheimdienste dann gezwungen worden seien, sich für den Krieg auszusprechen. Propaganda habe hier wiederum eine große Rolle gespielt. "Propaganda mit der Feinabstimmung durch die beste PR-Maschinerie, die die Welt je gesehen hat", formuliert McGovern. "Goebbels war gut - als Meister der Propaganda. Sein Grundsatz: ,Sag es fünf Mal und die Leute werden es glauben' bewahrheitet sich - leider".

Als Schlusssatz fügt McGovern leise hinzu, dass er ein Impeachment-Verfahren gegen den jetzigen Präsidenten Bush befürworte.

Übersetzung: Barbara Ottawa