Bogota - Als Mariana Bruzzone von Argentinien in die Vereinigten Staaten zog, wollte sie die Wirtschaftskrise hinter sich lassen, einen guten Job finden und ein Haus kaufen. Das war bevor der 11. September ihren Glauben an die USA als sicheren Hafen zerstörte. Am kommenden Samstag kehrt die 25-Jährige mit ihrem Freund nach Argentinien zurück. "Ich bin entsetzt über die Ereignisse in den USA", sagt die junge Frau, die derzeit noch in Miami lebt: "Ich glaube, es könnte weitere Anschläge geben."
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Von Brasilien bis Hongkong berichten US-Konsulate, dass die Zahl der Visaanträge drastisch zurückgegangen ist. Das zerstörte World Trade Center in New York und die Folgen der Terroranschläge für die US-Wirtschaft haben dem Bild Amerikas vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten erhebliche Kratzer zugefügt.
In Hongkong ist die Zahl der Visaanträge seit dem 11. September um 70 Prozent zurückgegangen. In Chile stellten im Vergleich zum Vorjahr nur noch halb so viele Menschen einen Einreiseantrag in die USA. In Rio de Janeiro sind die Schlangen der Antragsteller vor dem US-Konsulat deutlich kürzer geworden. 840.000 Menschen aus der ganzen Welt wurden 1999 in den USA eingebürgert, der Großteil kam aus Mexiko und den Philippinen. Jetzt denken einige von ihnen über eine Rückkehr in die alte Heimat nach.
"Wir sind auf der Suche nach wirtschaftlicher Sicherheit hierher gekommen und wollten uns eine Karriere aufbauen", erzählt Bruzzone, "wir wollten gut leben, ein Haus kaufen, ein Auto haben, Kinder bekommen und sie mit einer guten Ausbildung aufwachsen sehen." Während Washington den Vergeltungsschlag vorbereitet, sind vor allem Moslems besorgt, sie könnten in den USA zum Opfer von Ressentiments und Hass werden.
"Bis jetzt war Amerika das Land der Möglichkeiten für mich", sagt Yasar Shafi, Medizinstudent in Neu Delhi. "Ab jetzt wäre es der schlechteste Platz der Welt zum Leben, denn ich bin Moslem." Nach den Terrorangriffen gab es in den USA dutzende Berichte über Angriffe auf Moslems, Beschimpfungen und Pöbeleien. "Das macht der ganzen amerikanischen Idee von einem freien Land ein Ende", analysiert der Ägypter Mahmoud Farahat, der an der Universität von Miami studiert. Obwohl das Leben nicht mehr wie früher sein wird, will Farahat in den USA bleiben.
Seit 38 Jahren lebt der Arzt Rodolfo Araujo in den USA, in spätestens zwei Jahren will er als Pensionist aus Morris im US-Staat Illinois nach Kolumbien zurückkehren. Nach dem 11. September fühlt er sich in seinem Vorhaben noch bestärkt, auch der Bürgerkrieg in Kolumbien kann ihn davon nicht abhalten.
In anderen Teilen der Welt hat die Faszination Amerika dagegen nichts eingebüßt. Für die 28-jährige Effiah Nkrumah aus Ghana bergen die USA nach wie vor die Aussicht auf ein besseres Leben. "Amerika ist Amerika", sagt Nkrumah, die sich vor der US-Botschaft für ein Visum angestellt hat, "was immer dort geschieht, es bleibt das Land des Wohlstands."