Kandidaten zur US-Präsidentschaft: Wer redet besser? | Interview mit der Ex-Redenschreiberin Andie Tucher. | "Wiener Zeitung": Bitte erklären Sie uns, wie das funktioniert, wenn man für Politiker Reden schreibt. | Andie Tucher: Es ist nicht so, dass man einfach an seinem Computer sitzt, recherchiert, etwas ausarbeitet, und das wird dann vorgetragen. Wenn ich fertig war mit einer Rede, wurde sie an Dutzende Leute verteilt. Dem einen hat das nicht gepasst, und dem anderen jenes.
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Frustrierend war, dass die politischen Berater sehr oft wenig Ahnung davon hatten, wie eine gute Rede aussieht. Sie haben aber alle geglaubt, sie wüssten es.
Wenn die Rede abgesegnet war, und Bill Clinton sie bekommen hat, ist er - spontan und eloquent wie er war - oft aufgestanden, und hat aus dem Stegreif eine völlig andere gehalten.
Wie viel übernehmen die Politiker von den Reden ihrer Schreiber?
Das ist äußerst unterschiedlich. Ronald Reagen hatte als Schauspieler großes Talent, die Botschaft zu übermitteln, und er hielt sich streng an das Skript. Andere Politiker nehmen die Rede als Ausgangspunkt. So war es bei Bill Clinton. Eine meiner Reden über die Förderung der Aids-Forschung hat er fast vollständig übernommen. Das war damals eine Thema, das sehr polarisiert hat, weil Aids viele als eine Strafe Gottes empfunden haben. Ja, und meine Witze hat er oft übernommen. Einer hat es sogar bis in die "New York Times" geschafft. Da war ich sehr stolz.
Wer hält die besten Reden unter den Präsidentschaftskandidaten?
Viele bewundern Obama für seinen Stil. Es ist ein Stil, der tief verwurzelt ist in der Tradition afroamerikanischer Redner und Prediger. Ein Stil, den Martin Luther King perfektioniert hat. Das fühlt sich bei Obama richtig und mitreißend an. Hillary könnte nicht so reden. Sie hält andere Reden. Reden, die informativ sind, praktisch, die sie als jemand präsentieren, der bodenständig ist und seriös. Die Art der Rede sagt viel darüber aus, wie sich die Kandidaten inszenieren. Obama sagt: Ich will Leute inspirieren und zusammenbringen. Hillary sagt: Ich arbeite hart für euch. John McCaine ist jemand, der manchmal so wirkt, als würde er sich auf der Bühne nicht sehr wohl fühlen. Ähnlich übrigens, wie Al Gore, den viele als hölzern beschrieben. McCain macht die Leute nicht wirklich euphorisch. Auch wenn Reporter, die ihn näher kennen, schwören, er sei wahnsinnig unterhaltsam im kleinen Kreis.
Viele sagen, Obamas Reden seien arm an Inhalt.. .
Obama verwendet eine Sprache, die er bewusst zuschnitzt, um inspirierend zu wirken, weniger um informativ zu sein. Es wirkt für mich sehr authentisch, auch, wenn es andere anders sehen. Er spielt mit dieser Tradition afroamerikanischer Prediger, mit einer blumigen, pathetischen Sprache, die bewusst darauf zielt, die Leute zu bewegen. Eine Sprache, die Anleihen und Kadenzen aus der Bibel übernimmt.
Sie haben einmal erwähnt, Frauen als Spitzenpolitiker hätten in den USA einen Nachteil. Warum das?
Für viele Amerikaner ist es ungewöhnlich, eine aufwühlende oder bewegende Rede aus dem Mund einer Frau zu hören. Es gibt mehr männliche als weibliche Priester, mehr männliche als weibliche Politiker. Jemand hat einmal gesagt, dass Frauen die Stimme der Zivilisation repräsentieren: Die Stimme der Mutter, die Stimme der Lehrerin, all diese Autoritäten aus der Kindheit. Geh ins Bett, geh zur Schule, mach dein Bett, räum deine Sachen weg.
McCains Stimme ist ja mehr auf der piepsigen Seite...
Ja, und das hilft ihm sicher nicht. Die Stimme einer von mehreren Erfolgsfaktoren. Andererseits darf man das auch nicht überbewerten. Viele Wähler entscheiden weitgehend unabhängig von dem, was oder wie ein Politiker etwas sagt. Sie mögen ihn einfach oder sie mögen ihn nicht. George W. Bush klang bei jeder Rede so, als würde er sie gerade zum ersten Mal in seinem Leben lesen . . .