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US-Widerstand droht neues Weltgericht auszuhöhlen

Von Gisela Ostwald

Politik

New York - Noch bevor er überhaupt in Kraft treten konnte, war der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) den USA bereits ein Dorn im Auge. Aber statt nur auf Abstand zu gehen, droht Washington nach Einschätzung seiner Verbündeten, das Weltgericht mit seiner Forderung nach Straffreiheit für US-Soldaten im UNO-Einsatz jetzt auch inhaltlich auszuhöhlen. Nach dem Willen der USA wird niemals ein Amerikaner auf der Anklagebank des ersten ständigen internationalen Gerichts für Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sitzen.


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Die USA haben deswegen im UNO-Sicherheitsrat ihr Veto gegen eine halbjährige BVerlängerung der UN-Mission in Bosnien-Herzegowina eingelegt. Die 15 Ratsmitglieder haben jetzt drei Tage Zeit, sich in der Streitfrage der Immunität für US-Soldaten zu einigen.

Doch was die Supermacht für sich in Anspruch nimmt, würden mit Sicherheit bald auch andere Länder fordern, heißt es bei den Vereinten Nationen in New York. Damit aber wäre die Grundidee des seit Jahrzehnten angestrebten und 1998 in Rom beschlossenen Weltgerichts schon vor Aufnahme des ersten Falles zunichte gemacht.

"Ein Freifahrtschein für US-Soldaten würde das internationale Abkommen unterlaufen und das Gericht gefährden, noch bevor es in Aktion tritt", warnte ein westlicher Diplomat in New York. Mit einer Ausnahmeregelung für die USA könnte das Gericht dann bald nur noch tätig werden, wenn die betroffenen Staaten es ihm erlauben.

Dabei soll der Strafgerichtshof, dessen Etablierung am Montag in Kraft trat und der damit die ersten Klagen entgegennehmen könnte, ganz besonders dafür sorgen, dass Politiker wie Idi Amin, Saddam Hussein oder Pol Pot in Zukunft nicht mehr straffrei ausgehen. Auch der Schutz der eigenen Grenzen oder ein angeblicher Auftrag ihrer Regierung soll des Völkermordes bezichtigte Politiker nicht mehr der Rechtsprechung entziehen.

Die USA fürchten nach Beurteilung von UNO-Diplomaten zum einen die mögliche Wiederholung ihrer Erfahrungen in My Lai. Das vietnamesische Dorf, in dem US-Soldaten von mehr als zwei Jahrzehnten ein Massaker angerichtet hatten, steht als Inbegriff dafür, wie schnell die USA als "Weltpolizist" an den Pranger gestellt werden können. Zudem wollen sie verhindern, dass politisch unzuverlässige Länder der Dritten Welt ein politisch unabhängiges Strafgericht für ihre Zwecke missbrauchen können.

Vor allem aber will sich die Supermacht ihre Macht nicht beschneiden lassen und sich ein wichtiges Stück Souveränität nicht nehmen lassen, vermuten UNO-Diplomaten in New York. Mit seiner Drohung, UNO-Missionen scheitern zu lassen, wenn der Weltsicherheitsrat nicht gefügig ist, zeige die Regierung von US-Präsident George W. Bush erneut, dass sie multinationale Wege nur dann beschreitet, wenn sie im eigenen Interesse der USA liegen.

Dass sich Amerika nicht scheut, seine Forderung nach Straffreiheit für GI's mit handfesten Drohungen zu verknüpfen, kommt selbst für seine Verbündeten überraschend. Dass Deutschland erst in einem halben Jahr einen Sitz in dem höchsten Entscheidungsgremium der Vereinten Nationen übernimmt, kommt Berlin möglicherweise gelegen. Erspart sich Deutschland damit doch vorerst die Entscheidung zwischen der von Washington geforderten Solidarität zu einem seiner engsten Verbündeten und der Überzeugung, dass die Statuten des Weltgerichtes nicht angetastet werden dürfen. dpa