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USA bis auf die Knochen blamiert

Von Michael Schmölzer

Politik
Russlands Premier Putin (l.) als "Batman", Präsident Medwedew hat als Assistent "Robin" das Nachsehen.

Nur Berlusconi zeigt sich amüsiert über Berichte. | Wikileaks belastet Nato-General sekretär Rasmussen. | Washington/Wien. Es war wohl einer der schwärzesten Tage in der Geschichte der US-Diplomatie: Am Sonntag begann die Internet-Plattform Wikileaks damit, rund 250.000 höchst sensible Dokumente aus den Beständen des US-Außenministeriums zu veröffentlichen. Damit ist für Diplomaten und das Weiße Haus ein Alptraum wahr geworden. | Aufdecker-Guru im Bannstrahl Washingtons | Wenig Sensation, viel Pein | Wie sich ein Maulwurf durch US-Geheimdaten wühlte | USA verschärfen Vorschriften für Geheimhaltung


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Nicht nur, dass die USA in vielen Fällen bis auf die Knochen blamiert sind, zahlreiche Hauptakteure auf der politischen Bühne sind jetzt in arger Verlegenheit. In der arabischen Welt etwa reibt man sich ob der Wikileaks-Enthüllungen ungläubig die Augen. Italiens Außenminister Franco Frattini bezeichnet die Enthüllungen gar als "9/11 für die Weltdiplomatie".

In einer Depesche wird die deutsche Bundeskanzlerin mit Angela "Teflon" Merkel betitelt.

Schon die Einschätzung ausländischer Spitzenpolitiker durch US-Diplomaten wird für atmosphärische Störungen in den jeweiligen Beziehungen sorgen. So sehen sich Russlands Premier Wladimir Putin und Präsident Dmitri Medwedew mit Batman und dessen Juniorpartner Robin verglichen. Putin habe als "Alpha-Rüde" das Sagen und würde Medwedew an den Rand drängen. Noch schlimmer trifft es Washingtons wichtigen Verbündeten in Kabul, den afghanischen Präsidenten Hamid Karzai. Er wird laut Wikileaks als "schwache Persönlichkeit", die von "Paranoia" getrieben sei, beurteilt. Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi ist demnach vollkommen abhängig von seinem ihn umgebenden Netzwerk aus Vertrauten. Der Revolutionsführer habe außerdem Angst davor, übers Wasser zu fliegen und gehe ohnehin nie ohne eine ganz bestimmte "üppige" blonde Krankenschwester aus der Ukraine auf Reisen.

Erdogan "Islamist"

Auch der türkische Premier Recep Yayyip Erdogan bekommt sein Fett ab. Diplomaten bescheinigen dem wichtigen Nato-Alliierten den Depeschen zufolge islamistische Tendenzen und ein unrealistisches Weltbild. Er wird mitunter als isoliert und schlecht informiert eingeschätzt und vertraue weder seinen Ministern noch Gott - obwohl er an ihn glaube.

Ein "Kaiser ohne Kleider": Frankreichs Staatspräsident Sarkozy.

Auch EU-Politiker kommen nicht gut weg. Angela Merkel wird von US-Diplomaten als "selten kreativ" und risikoscheu eingeschätzt. In einer Depesche ist die Rede von "Angela 'Teflon' Merkel", weil viel an ihr abgleite. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy gilt unter US-Botschaftern als "empfindlich und autoritär". Er sei ein "Kaiser ohne Kleider". Italiens Skandal-Premier Silvio Berlusconi wird für seinen ausschweifenden Lebensstil kritisiert. Den Stabsstellen in Washington wir er als "inkompetent, aufgeblasen und ineffektiv" geschildert, ein "physisch und politisch schwacher" Regierungschef, der wegen seiner Vorliebe für Partys nicht hinreichend zur Ruhe komme. Berlusconi - er steht in Italien wegen zahlreicher Sex-Affären im Mittelpunkt der Kritik - ist vorerst der einzige namhafte Politiker, der sich angesichts der Wikileaks-Enthüllungen amüsiert zeigt.

Araber-Komplott

In Erklärungsnotstand geraten sind zahlreiche Staaten in Nahost. Die Dokumente beweisen angeblich, dass US-Diplomaten eine geheime Allianz arabischer Staaten gegen den Iran und sein Atomprogramm geschmiedet haben. Zudem sollen arabische Machthaber auch intensivere Beziehungen zu Israel pflegen als bisher angenommen. Führende Politiker der Golfstaaten fürchten demnach den Iran und fordern die USA in vertraulichen Gesprächen zu harten Maßnahmen auf, obwohl sie offiziell ganz andere Signale aussenden.

Auch Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen gerät jetzt in ein schiefes Licht. Bei Unterstützung seiner Wahl zum Chef des Verteidigungsbündnisses soll er Ankara versprochen haben, den kurdischen Exilsender Roj TV in Dänemark aus dem Äther zu schaffen. Tatsächlich wurde dann gegen Roj TV vorgegangen.

2108 US-Depeschen haben einen Bezug zu Österreich. 405 davon sind "vertraulich", 107 "geheim". Als "vertraulich" gilt etwa ein US-Bericht über die Einschätzung von Ex-Botschafters in Teheran, Michael Postl, zur politischen Situation im Iran.

Cablegate Wikileaks

Wissen

Wikileaks wurde vor vier Jahren gegründet, doch in aller Munde ist die Internet-Enthüllungsplattform erst seit gut sieben Monaten. Damals sorgte die Veröffentlichung tausender geheimer US-Dokumente zu den Kriegen im Irak und Afghanistan für weltweites Aufsehen und massive Empörung bei den USA. Die Vereinigten Staaten warfen Wikleaks vor, ihre Soldaten in Lebensgefahr zu bringen.

Ziel von Wikileaks ist es nach eigenen Angaben, Missstände öffentlich zu machen und Regierungen zu mehr Transparenz zu zwingen. Ihre Informationen erhält sie in der Regel von anonymen Quellen. Mit ihrem Namen lehnt sich die Website an das Online-Nachschlagewerk Wikipedia an, bei dem Nutzer selbst Artikel beisteuern können. "Leak" bedeutet auf deutsch Leck und bezeichnet undichte Stellen bei Behörden.