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USA, China brauchen "mehr Zeit"

Von Helmut Dité

Wirtschaft

"Zwei Patronen für jeden Mann, jede Frau und jedes Kind auf dem Planeten."


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Das Geschäft mit der Gewalt läuft glänzend.
© Rama - Creative Commons

New York.  Weiße Grabsteine auf grünem Kunstrasen - ein extra aufgebauter "Friedhof" gleich gegenüber dem UN-Hauptsitz in New York symbolisierte im Juli jene 2000 Menschen, die jeden Tag irgendwo auf der Welt durch Handfeuerwaffen sterben, sagten das Rote Kreuz, Amnesty International und Oxfam - ihre Opfer sind Zivilisten in Syrien ebenso wie zuletzt Besucher einer "Batman"-Filmpremiere bei Denver.

Besonders die 300 Delegierten von NGO waren enttäuscht, dass am Wochenende die Verhandlungen der UN-Konferenz über das erste globale Waffenhandelsabkommen gescheitert sind. "Es ist empörend, dass die Weltmächte den Vertragsabschluss verzögert haben. Jede Minute stirbt ein Mensch durch Waffengewalt", so die Amnesty-International-Expertin Katharina Spieß. Laut Anna MacDonald von Oxfam "verloren rund 50.000 Menschen durch bewaffnete Gewalt ihr Leben", während die Konferenz über Abhilfe debattierte.

Sechs Jahre Vorarbeit und vierwöchige Gespräche in New York reichten nicht, um die internationale Gemeinschaft auf globale Vorschriften für das Milliardengeschäft mit Handfeuerwaffen, Granatwerfern, Hubschraubern und Drohnen einzuschwören. Dass der globale Kontrollvertrag für konventionelle Waffen nicht den Standard erreichen wird, dem sich etwa die EU verschrieben hat, war wohl schon zu Beginn der Gespräche klar: Zu verlockend sind die Gewinne - 80 Prozent der globalen Waffenexporte werden von den fünf Vetomächten der Vereinten Nationen - den USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich - und von Deutschland produziert. Sie alle meldeten zuletzt steigende Exporterlöse: Die USA werden heuer bis zum Ende des Fiskaljahrs Waffen für die Rekordsumme von 60 Milliarden Dollar exportieren, hieß es Ende Juni, doppelt so viel wie in einem "Normaljahr"; aufgebläht durch große Kampfflugzeugaufträge aus Saudi-Arabien und Japan, erläuterte Washington.

Die USA, Russland und China waren es auch, die sich zuletzt für "mehr Zeit" für die Ausformulierung des "Arms Trade Treaty" ausgesprochen hatten, nachdem sich noch am Freitagmorgen ein für alle Staaten hinnehmbarer Kompromisstext abgezeichnet hatte. Washington zittere vor der Präsidentenwahl im November um die Stimmen jener Wähler, die auf ihr Recht zur Selbstverteidigung pochen, hieß es aus Diplomatenkreisen, China wehre sich gegen Auflagen, die seine Exporte einschränken: "Sollte das Prinzip der Nichteinmischung angetastet werden, stimmen wir keiner Erwähnung des internationalen Menschenrechts im Text zu."

Die Europäer hatten dagegen einen starken Vertrag gefordert, der die Menschenrechte und das humanitäre Recht in den Vordergrund aller internationalen Waffengeschäfte rückt. Unterstützt wurden die EU-Länder von afrikanischen und lateinamerikanischen Staaten, bei denen der Schwarzmarkt für Pistolen, Gewehre und Mörser die regionalen Konflikte noch weiter anheizt.

"Verblüffende Feigheit der Administration Obama"

In die Kritik der NGO gerieten vor allem die USA: Amnesty International sah "eine verblüffende Feigheit der Administration Obama" - von republikanischer Seite war ausgerechnet nach dem "Batman-Massaker" öffentlich Druck gegen den Vertrag aufgebaut worden, da dieser angeblich das freizügige Waffenrecht in den USA bedrohe. "Absurd", kommentierten die NGO - das Abkommen hätte nur grenzüberschreitenden Handel betroffen.

Kritiker hatten ohnehin moniert, dass das zehnseitige Papier zu wenig Substanz habe und kaum über den Status quo hinausgehe: "Es hat mehr Schlupflöcher als ein durchgerosteter Eimer", so Oxfams Anna MacDonald. Immerhin: Der Munitionshandel wäre aufgenommen worden. Angesichts der rasanten Zunahme des weltweiten Handels mit Munition - er wächst noch schneller als der Handel mit Schusswaffen - hatte Oxfam eine stärkere Kontrolle dieses Sektors gefordert. Jährlich würden rund zwölf Milliarden Patronen produziert, die "reichen aus, um jeden Mann, jede Frau und jedes Kind auf diesem Planeten zweimal zu erschießen". Laut Oxfam haben nur 28 jener 34 Staaten, die seit 2006 Zahlen über ihre Waffenexporte veröffentlichen, auch Daten über die Munition genannt.

Nun liegt der Ball bei der UNO-Vollversammlung Ende September - es wird erwartet, dass eine neue Verhandlungsrunde auf Basis des letzten Entwurfs im kommenden Jahr zustande kommt. Das Abkommen muss von wenigstens 65 Ländern unterzeichnet und ratifiziert sein, bevor es in Kraft tritt.