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420 Mrd. US-Dollar an Verteidigungsausgaben sehen die USA für das im Oktober beginnende Fiskaljahr 2006 vor, die von Präsident George W. Bush gewünschten Ausgaben für die weiterlaufenden Operationen im Irak und Afghanistan in Höhe von 80 Mrd. Dollar noch gar nicht eingerechnet. Da können und wollen die Europäer nicht mithalten, wird von Seiten der Politiker und Experten erklärt. Dennoch wünschen sie sich Maßnahmen zur Förderung der Rüstungsindustrie. Diese ist aber bereits jetzt stärker, als vielfach wahrgenommen wird.
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2003 war für die europäische Rüstungsindustrie ein Jubeljahr: Erstmals wurden die USA bei den Lieferungen von Kriegsmaterial übertroffen - mit einem Wert von 4,7 Mrd. Dollar hatte man den Anteil am weltweiten Waffenexport auf über 25 Prozent geschraubt, stellte das Internationale Friedensforschungs-Institut SPIRI in Stockholm fest (USA: 4,4 Mrd. Dollar, Anteil 23,5 Prozent). Und auch wenn die Russen mit 37 Prozent Anteil weiterhin überlegene Marktführer sind, wollen die Europäer auf Expansionskurs bleiben.
EADS auf "Brautschau"
Hauptverantwortlich dafür ist der deutsch-französische Mischkonzern EADS. Seine Zivilsparte unter dem Namen Airbus hat bereits den US-Konkurrenten Boeing überflügelt, und auf den Schwingen dieses Erfolges bahnen sich auch Überflüge im Bereich von militärischen Tankflugzeugen an.
Zunächst konnte der britische Auftrag für die Erneuerung der Lufttankerflotte an Land gezogen werden, und nun bemüht man sich um den amerikanischen Markt, wo Gleiches bevorsteht. Das US-Verteidigungsministerium strebt ohnehin eine gemischte Flotte aus Boeing- und Airbusflugzeugen an. Um den Zuschlag der Air Force zu erlangen, will EADS mit einem amerikanischen Flugzeugbauer kooperieren. Zur Zeit werden mit Northrop Grumman Gespräche geführt, nachdem Lockheed Martin eine mögliche Partnerschaft ausgeschlossen hatte.
Offene Schleusen für den Technologietransfer
Obwohl europäische Politiker immer wieder fordern, der amerikanische Markt möge sich europäischen Anbietern stärker öffnen, gibt es also schon jetzt Chancen für den "alten Kontintent". "Die Schleusen sind offen", meint etwa der Präsident von Lockheed Martin Europa, Scott Harris. Pierre Chao vom Zentrum für strategische und internationale Studien (CSIS) in Washington assistiert: "Wenn man genau hinschaut, findet man in Europa produzierte Komponenten in US-Verteidigungsmaterial und umgekehrt."
Dieser Technologietransfer soll in Zukunft noch besser funktionieren. Umfangreichstes derartiges Projekt ist das "Network Centric Operations Industry Consortium", das führende Rüstungs-, Telekommunikations- und Computerfirmen aus den USA und Europa zusammenführt, von Boeing über General Dynamics und Microsoft bis hin zu EADS. Sie sollen gemeinsame Standards und Normen für den Einsatz neuer Informationstechnologien in der Kriegsführung festlegen. Elektronische Kriegsführung gilt als großer Zukunftsmarkt der Rüstungsindustrie.
"Patriot"-Nachfolge gerät ins Trudeln
Ein anderes großes gemeinsames transatlantisches Projekt ist in jüngster Zeit allerdings in Schwierigkeiten geraten: das als Nachfolgesystem der "Patriot"-Luftabwehrrakete geplante MEADS (Medium Extended Air Defense System). Die Unterzeichnung des Milliarden-Projektes beim Europa-Besuch von US-Präsident Bush musste abgesagt werden. Grund: Der Haushaltsausschuss des deutschen Bundestages will mehr Informationen, die Entscheidung wurde auf Mitte März vertagt.
Es sind nicht nur die hohen Kosten für Entwicklung (der deutsche Anteil ist mit 847 Mio. Euro angesetzt) und Anschaffung (2,85 Mrd. Euro für zwölf Einheiten), die die Deutschen schrecken. Sicherheitsexperten bezweifeln auch die Sinnhaftigkeit des Luftverteidigungssystems: In der geplanten Reichweite von 1.000 km liegen rund um Deutschland nämlich nur befreundete Nationen. Bei CDU/CSU gibt es darüber hinaus Zweifel an den technischen Fähigkeiten zur Raketenabwehr.
Bremsklötze für Fusion
Nationale Interessen bremsen den Expansionsdrang der Waffenerzeuger auch auf anderen Ebenen immer wieder ein. Eine Zusammenarbeit in Sicherheits- und Verteidigungsfragen unter Führung von Deutschland, Frankreich und Großbritannien scheitert vorläufig am Widerstand der kleineren EU-Mitgliedsstaaten. Solch ein politisches "Trirectoire", wie dies u.a. Franco Algieri vom CAP (Centrum für angewandte Politikforschung) nennt, scheint damit noch weit entfernt, noch weiter damit aber ein Zusammenschluss der drei größten europäischen Rüstungsfirmen, wie ihn etwa die Bertelsmann-Stiftung in ihrem "2. Venusberg-Report: A European Defence Strategy" vorschlägt. Dieser würde die deutsch-französische EADS, die französische Thales und die britische BAE Systems umfassen.
Die Briten sind von einer möglichen Fusion von EADS und Thales, über den - quasi als Vorstufe einer solchen Entwicklung - bereits Gespräche geführt werden, nicht begeistert: Sie drohten bereits, bestehende Kooperationen von BAE mit Thales zu beenden, falls die Franzosen mit EADS zusammengehen. Berlin wiederum fürchtet durch die Fusion mit Thales eine "schleichende Machtübernahme Frankreichs" in der Sicherheitspolitik. Thales selbst spricht derzeit mit der italienischen Finmeccanica - die BAE hatte eine entsprechende Kooperation soeben beendet - über eine Zusammenführung der Rüstungselektroniksparte. Mit solchen Schritten sollen laut dem deutschen "Handelsblatt" Alternativen zur Fusion mit EADS gesucht werden.
Dies scheint eine Entwicklung zu bestätigen, die Strategieexperte Pierre Chao vom CSIS wahrgenommen hat: Regierungen verlieren in Europa ihre dominierende Rolle, die Rüstungsindustrie orientiert sich zunehmend an den Interessen ihrer Aktionäre - die zum Teil allerdings wieder staatliche Stellen sind. Nur eines scheint für viele Experten ausgemacht: Wie in den USA werden in dem harten Wettbewerb weitere Fusionen und das Verschwinden kleinerer Firmen notwendig sein.