Brüssel/New London - Wenn US-Präsident George W. Bush Ende nächster Woche nach Polen, Russland und Frankreich kommt, werden wohl nicht nur die Folgen des Irak-Kriegs erörtert. In den ohnehin angespannten Beziehungen gegenüber Europa hat Bush eine neue Front eröffnet: Die EU würde mit ihrer Sperre für gentechnisch verändertes Getreide den Kampf gegen Hunger in Afrika behindern. Unterdessen ist die EU zur Beendigung des Gentech-Moratoriums bereit.
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Im US-Bundesstaat Connecticut erklärte Bush vor Angehörigen der Küstenwache, "unsere Partner in Europa" hätten "alle neuen Getreidearten wegen unbegründeter, unwissenschaftlicher Ängste blockiert". Damit würden Afrikaner davon abgebracht, in Biotechnik zu investieren.
Hinter diesen Aussagen stehen allerdings die Interessen von US-Farmern und der Saatgutindustrie, in fremde Märkte einzudringen. Letztere war auch das Ziel einer Greenpeace-Aktion am Donnerstag in Brüssel - dort besetzten Umweltaktivisten, darunter zwei Österreicher, das europäische Hauptquartier des US-Konzerns Monsanto, in dem sie den bedeutendensten Betreiber einer möglichen Klage bei der WTO gegen das EU-Moratorium orten.
Zeitgleich befasste sich der Umweltausschuss des EU-Parlamentes mit dem Einfuhrstopp für gentechnisch veränderte Organismen (GVO), genauer mit einer Voraussetzung dafür, dass dieser aufgehoben werden kann. Als Frist für das Moratoriumsende gilt nämlich die Umsetzung des Kennzeichnungsgesetzes. Demnach sollen alle Futtermittel und Lebensmittel, die GVO enthalten, gekennzeichnet werden müssen, auch dann, wenn die Gentechnik auf Grund der Verarbeitung nicht mehr nachweisbar ist. Das Gesetz soll im Juli im Parlamentsplenum beschlossen werden.
Differenzen gibt es lediglich noch bei dem Grenzwert für zufällige und unbeabsichtigte Verunreinigungen mit GVO - Umweltschützer sehen diesbezüglich ja Gefahren etwa durch Pollenflug von Gentech-Pflanzen auf benachbarte Felder. Der Umweltausschuss plädiert hier weiterhin für einen Toleranzwert von 0,5 Prozent, während es im EU-Rat bereits eine Einigung auf 0,9 Prozent gab.
Die österreichische SPÖ-Europaabgeordnete Karin Scheele, als Berichterstatterin im Ausschuss Feder führend in dieser Angelegenheit, ist allerdings bereit, in den noch ausstehenden Verhandlungen nachzugeben, wenn vom Rat gleichzeitig eindeutige Bestimmungen über den parallelen Anbau herkömmlicher und gentechnisch veränderter Produkte (die so genannte "Koexistenz") geschaffen werden.
Das Moratorium hat also nur noch begrenzte Lebenszeit, weshalb Scheele die anstehende US-Klage auch "als völlig widersinnig" bezeichnet. Wenn die Zulassung von GVO erlaubt werde, "kann man keinen Bauern hindern, einen Gen-Mais anzubauen", so die Parlamentarierin, die selbst keine Freundin der Freigabe ist. Nach dem Prinzip des freien Warenverkehrs hätten gentechnikfreie Zonen, wie sie einige Bundesländer in Österreich planen, keine Chance, vor dem EU-Recht zu bestehen. Scheele hält solche Ideen schlicht für "Tinnef."