Bush setzt auf Kontrolle durch | Diese könnten in einem Bürgerkrieg parteiisch sein. | Es war das erste Mal, dass US-Präsident George W. Bush irgendeinen Zeitplan für den Rückzug von US-Truppen aus dem Irak erkennen ließ. "In dem Maß, wie mehr fähige irakische Polizisten und Soldaten im Dienst sind, werden sie mehr Verantwortung für größere Gebiete übernehmen - mit dem Ziel, dass die Iraker Ende 2006 mehr Gebiete kontrollieren können als unsere Koalition", sagte er diese Woche.
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Dies würde einer Verdreifachung der Fläche entsprechen, über die heute laut offiziellen Zahlen irakische Truppen herrschen. Allerdings brauchen sie auch dafür noch US-Unterstützung.
Auch wenn Bush einmal mehr versprach, die Mission im Irak voll zu erfüllen, wird das Jahresende von Beobachtern doch als der Zeitpunkt gewertet, zu dem die Zahl der US-Soldaten im Irak auf unter 100.000 sinken könnte.
Angesichts der interreligiösen Spannungen und Kämpfe im besetzten Land fragt allerdings Stephen Biddle vom Rat für Auswärtige Beziehungen in der Zeitschrift "Foreign Affairs" nach, ob man nicht den Ausbau der irakischen Streitkräfte eher verlangsamen sollte, bis ein breiter Kompromiss im Land gefunden ist. Denn der Aufbau vor allem der Polizeikräfte ist ein Beispiel dafür, dass die USA die Konflikte im Land falsch eingeschätzt haben. Stattdessen wurde immer der Kampf gegen die (meist sunnitischen) Aufständischen in den Vordergrund gestellt.
Nun, da die Sunniten zum Aufbau einer stabilen Regierung gebraucht werden, beginnt man zu erkennen, dass man lediglich eine Partei eines möglichen Bürgerkrieges unterstützt hat. Im Mittelpunkt dabei stehen nicht so sehr die 89.000 in blaue Uniformen gekleideten regulären Polizisten, sondern die Einheiten der paramilitärischen Polizei, die mit weiterreichenden Vollmachten ausgestattet ist. Unter ihnen sind es wiederum die etwa 7.700 Männer der Brigaden zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, die bisher fast ausschließlich von Schiiten gestellt wurden.
Die USA haben sich damit einen Kuckuck ins Nest gesetzt. Der für Schulungen verantwortliche Generalmajor Joseph Peterson räumte ein: "Als wir sie aufgestellt haben, haben wir nicht gefragt, bist du Sunnit oder Schiit?" Nun seien 99 Prozent Schiiten. Ein großer Teil speziell der zweiten Brigade stammt aus jenem Stadtteil, der von den Milizen des schiitischen Predigers Muktada al-Sadr kontrolliert wird. Viele kommen selbst aus diesen Milizen. Dementsprechend drücken sie bei ihren Ex-Kollegen beide Augen zu, wenn diese bei "ethnischen Säuberungen" die Sunniten aus ihren Stadtvierteln vertreiben.
Ex-Milizionäre und "Todesschwadronen"
Viele Polizisten sollen teilnahmslos zugesehen haben, als der schiitische Mob den Anschlag auf die Goldene Moschee von Samarra mit einem Blutbad rächen wollte. Die "Todesschwadronen" der Polizei werden von den Sunniten für viele Folterungen und Morde verantwortlich gemacht. Die US-Schulungskräfte fördern nun zwar die Rekrutierung von Sunniten und entlassen schiitische Polizei-Kommandanten, die gegenüber den Milizen zu tolerant erscheinen. Dennoch wird es wohl Jahre dauern, bis die Polizei gesäubert sein wird. Angesichts dessen scheinen die von Bush geäußerten Ziele einmal mehr überaus optimistisch. In den nächsten Monaten steht nicht nur der Irak am Scheideweg zwischen einer Entwicklung hin zum Frieden und dem Bürgerkrieg. Auch den Amerikanern wird die Wahl schwer fallen, ob sie die Bewältigung eines Bürgerkriegs wirklich den irakischen Sicherheitskräften überlassen wollen, wie dies Verteidigungsminister Donald Rumsfeld unlängst postuliert hat.