Zum Hauptinhalt springen

USA müssen Strategie für Irak-Krieg neu überdenken

Von Louis Meixler

Politik

Ankara - Das Votum des türkischen Parlaments kam für Washington überraschend. Die USA gingen von einer Zustimmung der Abgeordneten zur Stationierung amerikanischer Truppen aus. Der Aufbau einer nördlichen Front war fester Bestandteil der Planungen für einen Krieg gegen den Irak.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 21 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Jetzt müssen die Militärstrategen Alternativpläne aus der Schublade holen. Doch eines steht nach Ansicht von Experten fest: Ohne die Nordfront dürfte ein Krieg länger dauern. "Wenn die USA nicht von der Türkei aus angreifen können, wäre das ein bedeutender, wenn auch kein verhängnisvoller Rückschlag", sagt Toby Dodge, Nahost-Spezialist an der Warwick-Universität in England. Die Nordfront gilt als entscheidend für die Aufrechterhaltung der Stabilität im Nordirak. Mit ihr wäre ein Krieg "schneller, es gäbe sicherlich viel weniger Opfer", sagt Anthony Cordesman vom Zentrum für Strategische und Internationale Studien in Washington.

Die USA hatten geplant, dass im Falle eines Krieges die 4. Infanterie-Division und Teile der 101. Luftlandedivision von Norden her die nordirakischen Städte Mosul und Kirkuk besetzen und dann in Richtung Süden vorstoßen. Die Eroberung der Ölzentren wäre nicht nur ein Rückschlag für den irakischen Staatschef Saddam Hussein, sondern auch von politischer Bedeutung: Sowohl Kurden im Nordirak als auch Türken haben Anspruch auf die Städte erhoben, und beide wollen verhindern, dass die jeweils andere Seite die Kontrolle übernimmt. Auch Kampfflugzeuge und Kampfhubschrauber sollten von der Türkei aus zu Einsätzen im Irak starten.

Die Nordfront ist für die USA von so großer Bedeutung, dass Unterhändler aus Washington drei Monate lang mit der türkischen Regierung über die Stationierung von rund 62.000 Soldaten, 255 Kampfflugzeugen und 65 Hubschraubern verhandelt haben. Und Ankara verlangte als Gegenleistung für seine Unterstützung einen stolzen Preis: Erstens sagten die USA ein Hilfspaket im Umfang von 15 Milliarden Dollar zu. Zweitens forderte die türkische Regierung von Washington die Garantie, dass ein Krieg gegen den Irak nicht die Ausrufung eines kurdischen Staates zur Folge hat. Allein die Verhandlungen über eine Truppenstationierung führten daher schon zu Spannungen zwischen der Türkei und den irakischen Kurden. Ankara verlangte außerdem, dass alle Kurden, die die USA für den Kampf gegen Saddam Husseins Armee bewaffnen, nach einem Krieg wieder entwaffnet werden müssten, und zwar unter türkischer Aufsicht.

Ohne die Nordfront, so urteilen Fachleute, könnten sich die Spannungen verschärfen. Denn es wird erwartet, dass die Türkei im Kriegsfall trotzdem Truppen in den Nordirak entsendet. Dann bestehe die Gefahr, dass drei oder vier Parteien in die Kämpfe verwickelt werden, sagt der britische Militärexperte Dan Plesch: Irakis, Kurden, Amerikaner und Türken. Schätzungen zufolge können kurdische Gruppen im Nordirak etwa 70.000 leicht bewaffnete Untergrundkämpfer mobilisieren. Washington war sich der Unterstützung der Türkei so sicher, dass vor der türkischen Küste schon Dutzende von Schiffen mit Militärausrüstung an Bord darauf warteten, ihre Fracht entladen zu dürfen. Doch am Samstag versetzte die Nationalversammlung in Ankara den amerikanischen Kriegsvorbereitungen einen herben Rückschlag.

Die USA scheinen die Türkei in ihren Planungen trotzdem noch nicht aufgegeben zu haben. Möglicherweise schraube Washington die Zahl der zu stationierenden Soldaten nach unten, um doch noch ein positives Votum zu erreichen, vermuten Beobachter. Während des Golfkrieges 1991 hatten die USA mehrere hundert Flugzeuge und Kommandotruppen in der Türkei - ein solches Kontingent könnte vielleicht auch diesmal auf Akzeptanz stoßen.