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USA und Europa: Wie wirklich ist Wirklichkeit

Von Andrea K. Riemer

Europaarchiv

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Die alljährlich abwechselnd in den USA und Europa stattfindenden Amerikanisch-Europäischen Treffen machen deutlich, wie unterschiedlich auf beiden Seiten des Atlantiks über die Kernfragen der Weltpolitik gedacht wird. Dies zeigte sich symbolisch im Auftritt von vier EU-Repräsentanten bei George W. Bush am Montag. Es gibt kaum ein Bild, das die europäische Vielfalt und gleichzeitig die Uneinigkeit deutlicher macht.

Die USA und Europa stehen Rücken an Rücken und wundern sich, warum die Kommunikation nicht klappt. Die Europäer vertreten jeweils ihre nationalen Interessen und sind offenbar noch stolz auf ihre Uneinigkeit. Die immer wieder von beiden Seiten heraufbeschworene Partnerschaft ist brüchiger denn je. Funktionierende Partnerschaften bedingen eine relative Gleichwertigkeit - hier kann Europa nicht mithalten.

Präsident Bushs Wunsch nach einem starken Europa sollte wohl ein wenig Balsam auf die europäischen Wunden sein - mehr wohl nicht. Die Stärke Europas wurde und wird von den USA definiert. Und Europa kann sich angesichts der inneren Schwäche gar nicht wehren, ja - es hat nichts Adäquates anzubieten.

Man kann davon ausgehen, dass unter einer britischen EU-Präsidentschaft vor allem unter Tony Blair geostrategische Positionen deutlich mehr an Gewicht erhalten werden. Blairs Gedankenwelt ist untrennbar mit jener von George W. Bush verbunden. Blairs Idee eines lose verbundenen Europa, das keinesfalls eine Konkurrenz zu den USA darstellt, sondern eine sinnvolle Ergänzung und ein schlagkräftiger Partner ist, stößt seit langem auf massiven Widerstand in einer Reihe europäischer Hauptstädte. Geopolitik und Kampf um Arbeitsplätze ist für viele nicht kompatibel - dies ist "europäische Kurzsichtigkeit" par excellence.

Wenn Präsident Bush seine "europäischen Freunde" und ein starkes Europa unterstützt, dann wohl nur, um keinen störenden Widerstand bei der Umsetzung seiner Projekte zu haben. Selbst wenn also beide Seiten des Atlantiks vordergründig gemeinsame Werte vertreten, so gibt es in der Umsetzung fundamentale Differenzen, die eine Gemeinsamkeit bereits von vornherein ausschließen. Während Europa diskutiert, gehen die USA entschieden (manches Mal durchaus zu entschieden) voran - ohne auf die EU zu warten, denn das kann und will sich eine Großmacht nicht leisten. Zu viel steht für sie auf dem Spiel. Auch Europa hat eine Menge zu verlieren. Viel Kredit wurde in den letzten Wochen verspielt. Europa ist zu einer "Zank- und Zweiflergemeinschaft" geworden - kein ermutigender Ausblick.

Die transatlantischen Differenzen werden in Hinkunft noch deutlicher zutage treten. Gipfeltreffen werden dabei nur ein kurzes sich gegenseitiges Anblicken ermöglichen. Danach wird man mehr und mehr getrennte Wege beschreiten - denn man kann offenbar nicht anders.

Dr. Andrea K. Riemer ist Expertin für Internationale Sicherheitspolitik an der Landesverteidigungsakademie Wien .