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Budgetdebakel: Eine politische Lösung zeichnet sich erst 2013 ab.
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New York/Washington. Gut ist es gegangen, nichts ist geschehen. Am Freitag trafen sich um drei Uhr am Nachmittag (Ortszeit) im Weißen Haus zu Washington D.C. die politischen Führer der Vereinigten Staaten von Amerika zum Gedankenaustausch, wieder einmal.
Auf Seite der Demokraten führten Präsident Barack Obama, Nancy Pelosi (Sprecherin der Minderheitsfraktion im Abgeordnetenhaus) und Harry Reid (Sprecher der Mehrheit im Senat) das Wort. Die Republikaner wurden von John Boehner (Sprecher der Mehrheit im Abgeordnetenhaus) und Mitch McConnell (Minderheitssprecher im Senat) vertreten.
Es war ein Wiedersehen nach einer langen Pause. Als sich diese Runde zum bisher letzten Mal getroffen hatte, schrieb man den 16. November. Das Land hatte gerade gewählt und - mit Ausnahme des erst 2014 wieder zur Wahl stehenden McConnell - alle Beteiligten im Amt belassen. Eine rätselhafte Entscheidung, die den US-Bürgerinnen und -Bürgern, wie heute klar wird, auf den Kopf fallen dürfte. Denn sie haben den seit 2010 herrschenden Status quo legitimiert. Das bedeutet einen von konservativen Fundamentalisten mit umfangreichen Blockadeinstrumenten ausgestatteten Kongress, der jeden Kompromiss mit dem Weißen Haus als Vaterlandsverrat interpretiert. Das bedeutet zum Jahresende 2012 ein böses Erwachen. Umso näher das Datum 1. Jänner 2013 rückt, desto unrealistischer scheint die Erfüllung des Wunsches politisch gemäßigter Wähler auf beiden Seiten, dass ihre höchsten Repräsentanten eine pragmatische Lösung für die drängendsten Probleme des Landes finden. Denen scheint es angesichts ihrer inhaltlichen Divergenzen einzig und allein nur noch darum zu gehen, wer den politischen Preis für die Ineffizienz bezahlen wird.
Den Preis zahlen alle Amerikaner
Den finanziellen jener Maßnahmen, die US-Notenbankchef Ben Bernanke einst unter dem Begriff "Fiscal Cliff" ("Fiskalische Klippe") zusammenfasste und populär machte, werden indes alle Amerikaner bezahlen müssen. Ein Hoffnungsschimmer besteht derzeit einzig und allein in der im konkreten Fall von Timing bestimmten politischen Logik. Aber zunächst die Fakten. (Soweit sie feststehen und an denen sich, nachdem das Treffen der Regierungsspitzen sowie kurzfristig anberaumte Sitzungen von Abgeordnetenhaus und Senat zu Redaktionsschluss noch im Gange waren, wenig bis nichts geändert hat.)
Die "Fiskalische Klippe" besteht in einem Automatismus, über den sich Demokraten und Republikaner noch vor der vergangenen Präsidentschafts- und Kongresswahl einigten - für den Fall, dass man sich bis Ende dieses Jahres nicht einigen würde über die Art, des massiven Haushaltsdefizits Herr zu werden. Nachdem die Bürgerinnen und Bürger im November den politischen Status quo zementierten, ergab sich als Konsequenz aus diesem radikalen Sparpaket: nichts.
Nämliches sieht vor: In der ersten Jännerwoche setzen Steuererhöhungen im Umfang von rund 500 Milliarden Dollar ein, die praktisch keinen Amerikaner ausnehmen. Dazu kommen rund 200 Milliarden Dollar, die Uncle Sam an Ausgaben kürzt. Eine Gesamtsumme, die gut vier Prozent des Bruttosozialprodukts entspricht. Die bekanntesten und teuersten Maßnahmen in Sachen Steuerpolitik betreffen die reichen und reichsten Amerikaner (in Form der Aufhebung der von der Regierung des Obama-Vorgängers George W. Bush 2001 und 2003 eingeführten und bis heute gültigen Steuererleichterungen für diese) und die Mittelklasse (in Form der Rücknahme der unter der Regierung Obama 2010 beschlossenen Reduktion der Lohnsteuer für Angestellte von 6,2 auf 4,2 Prozent sowie jener der "Alternative Minimum Tax", die, unabhängig von der Inflation, Mindeststeuersätze für Arbeitnehmer festlegt).
Bei den Ausgaben stellt der größte Brocken die sogenannte Equestration dar. Die enthält unter anderem Kürzungen der Subventionen für das nationale Gesundheitsprogramm Medicare (zwei Prozent weniger für Ärzte und andere Gesundheits-Dienstleister), ein Auslaufen der Arbeitslosenversicherung sowie zwischen 7,6 und 9,6 Prozent weniger Budget für praktisch alle anderen staatlichen Dienstleistungen (mit Ausnahme von Programmen für die ärmsten der armen Amerikaner). Das Verteidigungsbudget soll, nach dem Prinzip Fifty-Fifty, proportional zu all diesen Maßnahmen geschrumpft werden. So.
Die Debatte über die Vermeidung des Sprungs über die "Klippe" erschöpft sich trotz alldem bis heute in Rhetorik. Die ist freilich zielgerichtet. Nach der Wahl ist vor der Wahl und dementsprechend gilt es - allen voran für jene Abgeordneten, die sich 2014 einer Wiederwahl stellen werden -, den Politikern der jeweils anderen Partei die Schuld in die Schuhe zu schieben für das, was das Land im Fall des Einsetzens des Automatismus erwartet.
Wenigstens ein gekürztes Verteidigungsbudget?
Über die kurzfristigen Folgen eines Sprungs über die "Klippe" herrscht beim fürs Budget zuständigen Congressional Budget Office wie unter Wirtschaftsforschern weitgehend Einigkeit: eine neue Rezession, bedingt durch zu viel, zu plötzlicher Sparerei. Darob, was der politische Stillstand langfristig anrichten würde, gehen die Meinungen auseinander. Schon kurz nach der Wahl schrieb etwa der an der Universität Princeton lehrende Wirtschaftsökonom Paul Krugman, der für seine Arbeit 2008 den Nobelpreis erhielt, in seiner "New York Times"-Kolumne, dass der "Sprung über die Klippe aus Sicht der fortschrittlichen Kräfte im Land das geringere Übel darstellt"; unter anderem, weil der Automatismus eben auch das - nach allen herkömmlichen Maßstäben in keinerlei Verhältnis zum Ausmaß der militärischen Bedrohung stehende - nationale Verteidigungsbudget empfindlich beschneiden würde.

2012 geht mit Patt-Situation zu Ende
Soweit die Theorie. Die Möglichkeit eines Befreiungsschlags noch 2012 scheint kaum noch möglich angesichts einer Situation, die die Analysten der multimedialen Nachrichtenorganisation "Politico", des Leib- und Magenmediums des politischen Washington, mit der Spieltheorie des in dem Oscar-gekrönten Film "A beautiful mind" von Russell Crowe dargestellten Mathematik-Fuchsen Steve Nash erklären: Wenn bei einem Spiel mit zwei Teilnehmern der eine die Strategie des jeweils anderen von hinten bis vorne durchschaut, lautet das logische Resultat, dass sich weder der eine noch der andere bewegt.
Aber auch die professionellen Kommentatoren der USA rechnen mittlerweile mit etwas, das man bis vor kurzem angesichts der Drastik der mit der "Klippe" verbundenen Sparmaßnahmen noch für unmöglich gehalten hätte: einem Aufschub des Problems ins Jahr 2013. Hier kommt die politische Logik - vornehmlich die der Republikaner - ins Spiel.
Anders als heute könnten ihre Repräsentanten sich nach dem Inkrafttreten der Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen als Retter in der Not gebärden, indem sie dann, quasi nachträglich, mithelfen, jene Steuern zu kürzen, die durch den Sprung über die "Klippe" automatisch erhöht wurden.
Eine bei näherer Betrachtung und eingedenk der intellektuellen Kapazitäten ihrer Stammklientel gar nicht so dumme Strategie. Ob sich das Geplänkel langfristig auszahlt, ist freilich eine andere Frage. Im November hatten die Wähler im Rennen ums Abgeordnetenhaus den Demokraten landesweit mehr als eine Million mehr Stimmen als den Republikanern gegeben. Allein das Mehrheitswahlrecht sicherte den Konservativen dort ihre Mehrheit.