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"USA wollen Personen austauschen, nicht das System"

Von Klaus Huhold und Michael Schmölzer

Politik
Syrien, wie er es einst kannte, existiere heute fast nicht mehr, sagt Awad.
© Stanslav Jenis

Der syrische Theologe Najeeb George Awad sieht sein Land als Spielball geopolitischer Interessen.


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"Wiener Zeitung": Syrien ist ein völlig zerstörtes Land. Wie konnte es so weit kommen?Najeeb George Awad: Es ist ein politischer Kampf, der zur einer militärischen Konfrontation wurde, der wiederum das Leben der gesamten Bevölkerung zerstört. Es war zunächst eine Revolution für ein freies und demokratisches Syrien, getragen von einer friedlichen Öffentlichkeit. Korruption und Unterdrückung trieben die Syrer in den Aufstand. Ein diktatorisches System, das schon jahrzehntelang herrschte, hatte Syrien in einen Gutshof für eine Gruppe von Herrschern und ihre Verbündeten verformt. Grund für die Revolution war also nicht religiöser Hass, sondern es waren die Lebensumstände.

Und wie kam es dann zu diesem Ausmaß an Gewalt?

Das hat wieder andere Wurzeln. Zu einem gewissen Zeitpunkt hat sich das Regime dafür entschieden, mit systematischer Gewalt auf die Revolution zu reagieren. Unglücklicherweise ist es damit radikalen und islamistischen Kräften aufseiten der Opposition auf halbem Weg entgegen gekommen. Kräfte, die daran glaubten, dass das Regime nur durch Gegengewalt gestürzt werden könnte. Und dann kamen die Interessen anderer Länder hinzu: Katar und die Türkei unterstützen die radikalen Kräfte innerhalb der Opposition, mit Geld oder der Entsendung von islamistischen Truppen, Russland und Iran unterstützten wiederum das Assad-Regime mit Waffen und Logistik, und später wurden dann ja auch Kämpfer der Hisbollah nach Syrien entsandt. Sie haben Syrien in ein Schlachtfeld verwandelt - meines Erachtens nach vor allem wegen geopolitischer und strategischer Interessen zweier einflussreicher Mächte, sprich USA und Iran. Dieser ganze Diskurs über Sunniten und Schiiten ist nur ein Instrument, ein Werkzeug, das internationale Kräfte in die Hand nehmen, um die religiösen Gefühle der Menschen zu entzünden. Aber das ist nicht die Wurzel des Konflikts.

In welchem Ausmaß hat sich der Konflikt in eine konfessionelle Auseinandersetzung verwandelt?

Die Menschen sind mitten im Feuer, einer Leben oder Tod-Situation ausgesetzt. Deshalb klammern sie sich an ihre Konfession. Nicht, weil sie fanatisch religiös wären, aber es ist ein Weg, um zu zeigen, wohin ich mich in dieser unsicheren Situation selbst stelle. Wir sollten die syrische Lage nicht nach den sektiererischen Aussagen beurteilten, die von allen Seiten übermittelt werden.

Aber wie stark sind die demokratischen Kräfte in der Opposition überhaupt noch?

Die Mehrheit der syrischen Bevölkerung würde - wenn sie denn gefragt würde - sich Demokratie wünschen. Unter den oppositionellen Kräfte tun sich aber Gräben auf: Unter den islamistischen Kräften gibt es Gruppierungen, die sich zu einem demokratischen Syrien bekennen, aber es ist nicht klar, was sie darunter verstehen. Bei den liberalen, linken und nationalistischen Oppositionsgruppen wiederum hat man den Eindruck, dass sie einen säkularen Staat haben wollen. Hier stehen sie wiederum im Konflikt mit den islamistischen Gruppen. Es müsste ein Dialog stattfinden. Aber der ist derzeit nicht möglich, weil sie zu sehr in den Konflikt eingebunden sind, weil sie die Bevölkerung in dieser höllischen Situation beschützen müssen. Jeden Tag sterben Syrer, Millionen Häuser wurden zerstört. So wie es meine Generation gekannt hat, existiert Syrien fast nicht mehr.

Sehen sie eine Chance auf Frieden oder gar Aussöhnung, oder wird der bewaffnete Konflikt weitergehen, bis eine Seite gewinnt?

Zwischen Regime und Opposition kann es keine Aussöhnung geben. Sie werden höchstens vom Iran und den USA dazu genötigt, sich an einen Tisch zu setzen und Syrien so zu gestalten, wie diese beiden einflussreichen Mächte es wollen. Und auch wenn die in Genf geplanten Verhandlungen erfolgreich sein sollten und sich Regime und Opposition auf eine Übergangsregierung einigen können, bleiben die radikalen islamistischen Gruppen wie etwa die Al-Nusra-Front. Sie sind ein eigenständiger Teil des Krieges geworden und in manchen Regionen sehr dominant.

Was ist deren Agenda?

Sie sagen selbst, dass sie nicht der Opposition angehören. Diese Verbände bekämpfen entweder einander, die Freie Syrische Armee oder die Kurden. Und sie unterdrücken syrische Zivilisten, die für Demokratie und Freiheit ihre Stimme erheben wollen. Übrigens sind sie nur selten in Kämpfen mit dem Regime involviert. Sie werden keinerlei Vereinbarung zwischen Regime und Opposition zustimmen. Es muss eine Lösung dafür gefunden werden, wie man den radikalen Islamisten begegnet. Sie bedrohen die gesamte Gesellschaft, nicht nur Christen und Alawiten, sondern auch den authentischen sunnitischen Islam in Syrien. Auf der Seite des Regimes haben wir ebenfalls radikale Islamisten wie die Hisbollah. Die haben fast die gleiche Dschihad-Agenda wie die Islamisten, die gegen Assad kämpfen. Das Regime selbst hat eine dschihadistische Phalanx in Syrien kreiert.



Da ging es darum, dem Regime ein Argument in die Hand zu geben, dass man gegen den Terror vorgeht?

Ja. Und auch regionale Mächte schaffen eine Szenerie. Aber alle diese Kräfte, die in Syrien operieren, haben nichts damit zu tun, was sich die Menschen selbst für ihr Land wünschen.

Wenn diese regionalen Mächte - Türkei, Iran, Golfstaaten, auch die USA, und Russland zusammenfänden, wäre das dann eigentlich die einzige Chance für eine Lösung des Konflikts?

Wenn es zur Friedenskonferenz in Genf, also Genf II, kommen sollte, dann wäre das meiner Ansicht nach rein die Plattform für die Verlautbarung, dass die USA und der Iran ein generelles Abkommen geschlossen haben. Und Syrien wäre in diesem Abkommen inkludiert.

Da gibt es jetzt eine völlig neue Situation im Verhältnis zwischen den USA und dem Iran, seit Hassan Rohani Präsident ist. Sehen Sie eine realistische Chance auf Einigung?

Rohani hat den Willen, einen Deal mit dem Westen auszuverhandeln. Der Iran kann mehr Einfluss in der gesamten Region ausüben, wenn es zu einem Übereinkommen kommt, und er sich nicht in Scharmützeln auf internationaler Ebene oder in Syrien verzettelt. Das ist der Grund, warum der Verhandlungskanal zu den USA eröffnet wurde. Die ganze Sache mit dem angeblich bevorstehen den US-Militärschlag war nur Teil dieses diplomatischen und medialen Spiels. Das Regime in Syrien hat über den Iran die Bereitschaft erklärt, sich von seinen Chemiewaffen trennen zu wollen. Die dann keine Gefahr mehr für Israel sind. Wenn Israel in Sicherheit ist, dann sind die Amerikaner glücklich und auch zu einem Übereinkommen bereit, das die ganze Region betrifft. Das Datum für Genf II ist noch nicht fixiert, wohl weil es zwischen dem Iran und den USA noch ein paar Fragen zu klären gibt. Etwa, wie die Machtbalance in der Region aussehen soll.

Sie haben gesagt, die Mehrheit der Syrer will Demokratie. Aber sind da nicht die Regionalmächte eine Gefahr - wollen etwa Iran und Saudi-Arabien Demokratie in der Region?

Sie würden versuchen, jene Spielart von Demokratie zu etablieren, die sie sich wünschen. Deshalb kann Genf II nicht eine Lösung bringen, die dem politischen Willen der Syrer entspringt. Die werden nicht gefragt, auf sie nimmt niemand Rücksicht. Es geht darum, welche Vorstellungen Syrien übergestülpt werden sollen.



Der Krieg dauert jetzt schon drei Jahre, es gibt weit mehr als 100.000 Tote. Ist es für Sie vorstellbar, dass er aufhört, einfach weil die einzelnen Parteien erschöpft sind und nicht mehr können?

Die desaströse Situation in Syrien wird nicht dazu beitragen, dass wir bald ein gesundes Syrien sehen werden. 150.000 Tote, mehr als 260.000 Verschleppte und Inhaftierte, 6 Millionen Entwurzelte. Wenn die Kämpfe aufhören sollten, gibt es aus meiner Sicht zwei Dinge zu tun: Man muss mit den radikalen Islamisten wie Al Nusra fertig werden. Zweitens muss ein ganzes Land neu aufgebaut werden. Das wird Jahrzehnte brauchen.

Wie groß ist die Gefahr, dass der Konflikt auf den Libanon übergreift? Dass der Libanon wieder zum Schlachtfeld wird?

Da sind wir wieder bei den Dschihadisten. Wenn man sie bekämpft und aus dem Land haben will, wo sind die nächsten Grenzen? Libanon, Türkei und Jordanien. Aber der Libanon ist das schwächste Glied in der Kette.

Die syrische Armee feierte zuletzt militärische Erfolge, gerade weil die Opposition so zersplittert ist. Glauben Sie, das die Armee den Krieg sukzessive gewinnen kann?

Die syrische Armee und die Rebellen wollen den Krieg militärisch entscheiden. Ich glaube nicht, dass ein militärischer Sieg eine mögliche Lösung für den Konflikt darstellt. Es braucht Politik - da gibt es keinen Verlierer und Gewinner. Sondern Deals, wo jeder etwas verliert und gewinnt.

Was wird eigentlich aus Bashar al-Assad?

Die USA haben nicht viel unternommen, um ihn zu stürzen. Russland und der Iran sagen, wir wollen, dass das Regime bleibt. Sie sind nicht auf Assad fixiert. Als Beobachter habe ich den Eindruck, dass international der Wille besteht, das Regime aufrecht zu erhalten.

Washington will das syrische Regime aufrecht erhalten?

Es die Bereitschaft da, die Figuren auszutauschen, aber nicht das System. Die Opposition wurde nicht wirklich beim Versuch unterstützt, das Regime als solches zu stürzen.

Zur Person

Najeeb George Awad bezeichnet sich selbst als unabhängiger syrischer Akademiker, der die Werte der Revolution unterstützt: Dass in der Zukunft ein demokratisches, freies und pluralistisches Syrien entsteht. Er lehrt christliche Theologie am "Hartford Seminary" in den USA und analysiert immer wieder in Publikationen und Vorträgen die Situation in Syrien.