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USA ziehen ab - doch Afghanistans Polit-Elite kann das Land nicht führen

Von Michael Schmölzer

Analysen

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Mit Ahmed Wali Karzai hat es nicht irgendeinen afghanischen Provinzgouverneur getroffen: Der 50-Jährige war immerhin Halbbruder von Präsident Hamid Karzai, Vorsitzender des Provinzrates von Kandahar und damit einer der einflussreichsten Männer Afghanistans.

Tatsache ist, dass Karzai von Kugeln in den Kopf und in die Brust getroffen wurde und sofort tot war. Erwiesen ist auch, dass nur ein Mann geschossen hat. Doch damit ist es mit den Gewissheiten schon vorbei. Denn die Taliban haben zwar die Verantwortung für das Attentat übernommen, doch ob der Täter tatsächlich ein Gotteskrieger ist, ist fraglich. Viel deutet darauf hin, dass es sich bei dem Schützen um einen engen Vertrauten der Familie handelt. Damit ist nicht auszuschließen, dass der afghanische Präsident persönlich seine Finger im Spiel gehabt hat. Immerhin soll das Verhältnis zwischen den Karzai-Brüdern alles andere als friktionsfrei gewesen sein.

Der Vorfall wirft vor allem ein bezeichnendes Bild auf den Zustand der politischen Elite Afghanistans. So könnte es bei dem Mord an Karzai auch um ganz banale Geschäftsinteressen gegangen sein. Der Getötete war, wie der Großteil der afghanischen Führungsclique, tief in den Drogen- und Waffenhandel verstrickt. Dass Afghanistans Führungsriege enorm korrupt ist und auch vor Wahlfälschungen im großen Stil nicht zurückschreckt, ist bekannt.

In einflussreiche Posten gehievt wurden die Karzais von der US-Regierung unter George W. Bush. Eine der vielen Altlasten, mit der Barack Obama zu kämpfen hat. Wie sein Bruder Hamid lebte der ermordete Ahmed Karzai lange Zeit in den USA und führte dort - wie der Rest der Familie - eine Restaurantkette.

Seine Ermordung zeigt einmal mehr, dass die afghanische Regierung die Hoffnungen, die die USA und der Westen in sie setzen, kaum erfüllen wird. Der Abzug der US-Soldaten soll noch diesen Monat beginnen und möglichst zügig über die Bühne gehen. Der Feldzug am Hindukusch wird den US-Bürgern dann als erfolgreiche Mission präsentiert, die Verantwortung soll an die afghanische Regierung übergeben werden.

Doch ob das funktionieren wird, ist unklarer denn je. Nach allen vorliegenden Erfahrungswerten ist es wahrscheinlicher, dass das Land unter Führung einer intriganten Politiker-Clique vollends in Chaos und Bürgerkrieg versinkt. Kritiker, wie etwa US-Verteidigungsminister Robert Gates, warnen deshalb, dass ein zu rascher Abzug alle bisher erzielten Erfolge zunichte machen würde. Gates drängt darauf, Soldaten im Land zu belassen und bis zu einem Sieg über die Taliban weiterzukämpfen.