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Öde seien sie, inhaltsleer ebenso und deshalb auch ein Armutszeugnis für die demokratische Kultur. Die Rede ist von den allerjüngsten Wahlkämpfen in Deutschland und auch in Österreich.
An diesen Vorwürfen ist viel dran, vor allem verfängt das Argument mit der Aushöhlung des Wahlvorgangs selbst durch demonstrative Inhaltsleere: Worüber sollen die Wähler schließlich befinden, wenn die Parteien sich weigern, konkrete Politikangebote zu unterbreiten?
Die Parteien tragen hierfür Verantwortung, allerdings nicht als Einzige. Die Kritiker sollten es sich nicht zu einfach machen. Vielleicht erinnern sich manche noch an den deutschen Wahlkampf 2005. Damals setzte Angela Merkel aus der Opposition heraus erstmals zum Sprung ins Kanzleramt an, in dem noch Gerhard Schröder residierte. An ihrer Seite stand damals der Verfassungsjurist und Steuerexperte Paul Kirchhof. Dieser hatte ein umfassendes und radikales Steuerreformkonzept ausgearbeitet, mit dem die Union in den Lagerwahlkampf zog.
Noch inhaltlicher geht Wahlkampf kaum.
Merkel hätte es allerdings fast den schon sicher geglaubten Sieg gekostet. Über Monate und Wochen hinweg zerpflückten Gegner wie Medien die Steuerideen des "Herrn Professor aus Heidelberg", wie Kanzler Schröder den parteilosen Juristen abzukanzeln pflegte. Der Experte endete - von politischen Gegnern und manchen vermeintlichen Alliierten lustvoll ins Visier genommen - wahlweise als politische Lachnummer oder dämonisiertes Feindbild.
Man darf davon ausgehen, dass ziemlich viele potenzielle Experten das Beispiel Kirchhofs sehr genau verfolgt haben - und für sich entschieden haben, besser nicht den Parteien und Medien öffentlich zum Fraß vorgeworfen zu werden.
Wie derzeit zu beobachten ist, hat auch Merkel ihre Lehren aus dem Debakel von 2005 gezogen. Statt über konkrete Steuerpläne redet sie jetzt lieber über - nichts. Stimmungen haben Sachthemen ersetzt.
Und die Medien: Bestenfalls haben sie nichts getan, um die damals aus den Fugen geratene Debatte zu versachlichen. Schlimmstenfalls haben sie befeuernd mitgeholfen, dass es zu einem Gebot politischer Vernunft geworden ist, die Wähler möglichst im Ungefähren über kommende Vorhaben zu halten. Auch das ist eine Leistung, wenngleich keine ruhmvolle.