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Turgay Taskiran möchte seine Liste "Gemeinsam für Wien" | nicht als "Türkenpartei" verstanden wissen und Parallelgesellschaften aufbrechen.
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Wien. Für die Plakatständer ist es sich nicht mehr ausgegangen: Die Liste "Gemeinsam für Wien" hat zwar ihre knapp 3000 Unterstützungserklärungen noch vor Ende der Frist Anfang September abgegeben, doch für die Anmeldung von Plakatflächen war sie zu spät dran. Auf ihre Anfrage an andere Parteien, Plätze für die Liste abzugeben, haben sie keine Antwort erhalten. Lediglich die zuständige Magistratsabteilung schickte einen "Auszug aus der Plaktatständerverordnung", erklärt ein Mitarbeiter: "Wenn wir keine Flächen bekommen, dann werben wir eben mit Körpereinsatz, also mit mobilen Plakaten."
Als Spitzenkandidat Turgay Taskiran im Juli verkündete, mit einer neuen Partei bei der Wien-Wahl kandidieren zu wollen, war bald die Rede von einer "Türkeipartei". Am Anfang sei der Medienrummel nützlich gewesen, sagt er, "aber wieso stürzen sich alle so auf eine von einem Türken gegründete Partei?" Taskiran macht die Stimmung im Land dafür verantwortlich. In den Schulen würden die Türkenkriege exzessiv behandelt, positive Seiten der türkisch-österreichischen Beziehungen kämen kaum zur Sprache.
Zehn Tage vor den Wahlen in Wien steht Turgay Taskiran mit Parteikollegen am Rochusmarkt und betreibt Wahlkampf. "Gemeinsam für Wien" hat einen Stand aufgestellt, Taskiran und seine Leute sprechen mit Passanten und verteilen Flyer.
Taskiran, Jahrgang 1973, Allgemeinmediziner aus Wien, ist ein sympathischer Kerl. Der Österreicher mit türkischen Wurzeln bezeichnet sich als Familienmensch, doch seine politischen Positionen sind nach wie vor unklar. Er ist nicht wie andere Politiker, die ihr Programm dermaßen verinnerlicht haben, dass sie es im Schlaf aufsagen können und es auch ungefragt kundtun. Bei Taksiras muss man mitunter zweimal nachfragen. Wofür steht er eigentlich? Was soll seine Liste umsetzen, was sind seine politischen Anliegen?
"Wir propagieren das neue Zusammenleben", so Taskiran vage. Man wolle keine Parallelgesellschaften, sondern eine Zusammenarbeit im Sinne einer besseren Zukunft. "Man soll nicht auf die Herkunft schauen, sondern darauf, was der Mensch mitbringt." Bei der Frage, wieso er dann nicht einfach zur SPÖ gegangen ist, sondern eine eigene Liste gegründet hat, muss Taskiran überlegen. Hätte er als junger Mann Zugang zur Partei gehabt, dann hätte er das vielleicht getan, sagt er schließlich. "Aber mit der Zeit ändern sich die Blickpunkte und Interessen." Zwar kommt Taskiran aus einer Arbeiterfamilie, aber jetzt ist er Arzt, er hat sich hochgearbeitet. "Ich sehe, dass die SPÖ keine Lösung für alle meine Anliegen bietet." Das Soziale sei ihm zwar wichtig, aber auch das Thema Familie - "und da ist die ÖVP besser".
Der Arzt als Übersetzer
Taskiran hat einen guten Einblick in die türkische Gesellschaft in Wien, der auch die meisten seiner Patienten angehören. Bei den Gesprächen in der Praxis geht es um mehr als ihre körperlichen Beschwerden, Taskiran beantwortet Fragen zur Handyrechnung, übersetzt Amtsbriefe, rät zu Deutschkursen.
"Menschen mit Migrationshintergrund müssen härter arbeiten, man kriegt nichts nachgeschmissen", sagt er. Mit seiner Mutter wohnte er in einer kleinen Wohnung in Favoriten, sie ging selbst mit Fieber arbeiten, weil sie fürchtete, mit dem Job auch die Wohnung zu verlieren. "Viele, die sich den Krankenstand nicht leisten können, haben Migrationshintergrund", sagt Taskiran. Wer zudem sichtbar Migrant sei, habe er es schwer. So sei seine Frau, die zum Studieren nach Wien kam, anfangs schlecht behandelt worden, weil sie nicht perfekt Deutsch konnte. "Wir zahlen ja alle Steuern, wieso wird einer schlechter behandelt, weil er nicht perfekt Deutsch spricht oder woanders geboren ist?"
Wahlrecht nach fünf Jahren
Gerüchten, er sei verlängerter Arm des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, begegnet Taskiran mit einem Lächeln. Zwar sei er bis 2013 Obmann des AKP-nahen Vereins UETD gewesen und habe sich für einen EU-Beitritt der Türkei eingesetzt. Erdogan kenne er jedoch nur flüchtig von einem Spiel der Türkei bei der Europameisterschaft.
In Wien sieht Taskiran eine Parallelgesellschaft: "Jeder bleibt unter sich und sagt: Ich brauche die anderen nicht. Das müssen wir aufbrechen." Er wünscht sich mehr Austausch, Jugendliche mit Migrationshintergrund sollten sich politisch engagieren, anstatt zu Hause herumzusitzen. Das dürfte allerdings jene 400.000 Wiener, die keine österreichische Staatsbürgerschaft haben, kaum interessieren - sie sind von der Gemeinderatswahl ausgeschlossen.
Taskiran ist für ein aktives und passives Wahlrecht nach fünf Jahren. "Wer nicht wählen darf, interessiert sich eher für das Herkunftsland, ist mit dem Körper hier und mit dem Kopf woanders", sagt er.
Ein weiterer Vorwurf Richtung "Gemeinsam für Wien" kam von Anas Schakfeh, Ex-Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ). Schakfeh bezeichnete das Vorhaben, eine Migrantenpartei zu gründen, als "integrationshemmend", zudem helfe es der extremen Rechten. Taskiran hatte erklärt, genau das Gegenteil erreichen zu wollen, sein Ziel sei, den Rechtsruck zu stoppen. "Wenn die Leute sich von der SPÖ nicht mehr vertreten fühlen, dann haben sie das Recht, eine Alternative zu wählen", sagt er. Bei der FPÖ frage er sich, was die Partei wolle: "Alle Migranten rauswerfen? Wieder einen Arierausweis einführen?"
Was entgegnet Taskiran jenen, die sich vor dem Islam fürchten und vor zu viel Zuwanderung? "Islamismus und Terror sind nicht der Islam", sagt er, "das sind Verrückte." Angst vor Menschen, die nicht weiß sind und eine andere Religion haben, das dürfe es einfach nicht geben. Die Religionsfreiheit müsse bewahrt werden.
Es dauert, bis Taskiran eine Antwort auf die Frage einfällt, welche drei Maßnahmen er in Wien umsetzen würde. Er wünscht sich Interkulturelle Bildung sowohl für Lehrer als auch als Unterrichtsfach an Schulen. Wichtig sei auch, dass alle, die hier leben, wählen dürfen und politisch vertreten sind. Für den Gemeinderat wünscht er sich, dass 40 Prozent der Abgeordneten Migrationshintergrund haben, derzeit seien es fünf. Um Ghettos zu vermeiden, solle es außerdem eine Durchmischung des Wohnraums bei Gemeindebauten geben. Wichtig ist ihm auch die Sprache: Einerseits müsse die Muttersprache gelernt werden, andererseits Deutsch. Ein weiteres Kindergartenjahr? Ja, gratis und verpflichtend für alle.
"Alle sollten alphabetisiert werden", sagt Taskiran, "auch die Hausfrauen." Sie müssten sozial integriert werden. In der Ordination spricht er viele Frauen darauf an. "Es gibt viele, die an Depressionen leiden, einsam sind", sagt der Arzt. Die Frauen seien abhängig, wenn sie nicht Deutsch können. Man müsse Anreize schaffen, sagt Taksiran, "zwingen kann man niemanden."