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Valentin, mein kleiner Chef

Von Christoph Weiermair

Gastkommentare

Windeln wechseln und Baby füttern statt Büroarbeit - ein Erfahrungsbericht aus der Väterkarenz.


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Montag, 7.45 Uhr. Draußen rauscht der Morgenverkehr, meine Frau ist längst aus dem Haus zur Arbeit. Mit einem ausgiebigen Vormittagsschlaf ist im "Karenzurlaub", wie ihn die Schwiegermutter augenzwinkernd nennt, freilich nichts. Dafür sorgt mit kräftiger Stimme mein Sohn Valentin, elf Monate alt, konsequent nachtaktiv und morgens trotzdem putzmunter. Also raus aus den Federn und hinein in den Tag, der mit dem Duft einer vollen Windel und einer Kopfrechenübung beginnt: Nehmen wir an, ein Baby verbraucht über drei Jahre hinweg täglich fünf Windeln - angesichts der beachtlichen Zahl 5.475 dürfte die internationale Windelindustrie ein sicheres Auskommen haben.

Was Kinderbetreuung und Karenz betrifft, sind Männer ihren Frauen weniger verlässliche Partner: Bei acht von zehn Paaren in Österreich geht der Vater nicht in Karenz, besagt das Wiedereinstiegsmonitoring der Arbeiterkammer. Väter, die länger als sechs Monate lang Kinderbetreuungsgeld beziehen, sind überhaupt eine Rarität. Nur einer von hundert Papas unterbricht seine Erwerbsarbeit für mehr als ein halbes Jahr und bleibt beim Nachwuchs daheim.

Ich darf mich also als etwas Besonderes fühlen und ernte durchaus Anerkennung. "Toll, dass du das machst", sagen Kolleginnen. "Das ist eine super Erfahrung, genieße die Zeit, sie kommt nie wieder", meint ein Freund. "Du wirst sehen, die Väterkarenz stärkt die Beziehung zu deinem Sohn. Davon werdet ihr ein Leben lang profitieren", versichert ein Bekannter, der selbst einige Monate in dieser Rolle war. Es kommen aber auch andere Fragen: "Wie geht das bei dir mit der Arbeit?", erkundigt sich ein Vater, der ebenfalls gerade in Karenz ist, beim "Zwergerltreff" im Eltern-Kind-Zentrum der Kinderfreunde in Linz-Dornach. "Ist dein Job dann noch derselbe, wenn Du zurückkommst?" Und: "Was sagt eigentlich dein Chef dazu?"

Ich bin kein Held

Weder die Anerkennung noch die Sorge der anderen um die eigene Karriere helfen wirklich weiter. Spätestens nach einer Woche daheim beim Nachwuchs sollte jeder Geschlechtsgenosse realisiert haben: Man ist kein Held und man muss das auch nicht sein. Allerdings sollten Männer, die in Väterkarenz gehen, und Arbeitgeber, die sie dabei unterstützen, ruhig vor den Vorhang geholt werden und als positive Rolemodels dienen. Sie sollten die Entscheidung, in Karenz zu gehen, selbstbewusst vertreten und argumentieren. Zum Beispiel mit der lächerlich niedrigen Zahl von Vätern, die sich der Kinderbetreuung widmen, mit dem Wunsch, das Aufwachsen seines Kindes in einer besonders wichtigen Phase hautnah zu erleben, oder auch aus bloßem Respekt vor den Karriereplänen der Partnerin.

Wer sich Sorgen um das eigene berufliche Fortkommen und den Status im Job macht, für den ist eine Väterkarenz wohl nicht das Richtige. Denn natürlich wird der Arbeitgeber zumindest zwischenzeitlich Ersatz suchen, natürlich steht bei der Rückkehr eine mit finanziellen Einbußen und oft schwindenden Aufstiegschanen verbundene Stundenreduktion im Raum.

All das sind Gedanken, die sich die überwältigende Mehrheit der Väter - oft auf Kosten ihrer Partnerinnen - gar nicht machen will und muss. Weil es immer schon so war, dass die Mutter daheim beim Kind bleibt. Weil Männer nach wie vor meist mehr verdienen als Frauen. Stichwort: Gender Pay Gap. Und weil wir nicht in Schweden leben, wo der Staat nur dann die volle Dauer der Karenz gewährt, wenn auch der Vater sich zumindest 60 Tage um die Kinderbetreuung kümmert. In Österreich gibt es dafür aktuell nur zarte Anreize: Nehmen beide Elternteile Karenz in Anspruch, beträgt die Gesamtdauer beim einkommensabhängigen Modell 14 statt 12 Monate. Sollten Vater und Mutter dann noch etwa gleich lang daheim beim Kind bleiben, erhalten beide einen Partnerschaftsbonus von je 500 Euro.

Mehr als ein Job

Kinderbetreuung ist mehr als ein Job, aber man darf die Sache ruhig pragmatisch sehen. Seit Dezember ist Valentin sozusagen mein Arbeitgeber und somit mein kleiner Chef: Für einen Fulltime-Job mit 24/7-Bereitschaft erhalte ich in der einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldvariante den Höchstbetrag von knapp 70 Euro am Tag oder etwa 2.100 Euro netto im Monat. Die Einbußen zu meinem Arbeitseinkommen vor der Karenz sind für uns als Familie gut verkraftbar, zumal meine Frau die Besserverdienerin ist.

Allerdings: Nicht alle, zum Beispiel nicht erwerbstätige Studierende, können eine einkommensabhängige Karenzvariante in Anspruch nehmen. Außerdem beschränkt sie die Zeit, in der sich Eltern ganz dem Nachwuchs widmen können, auf maximal 14 Monate. Als Alternative ist das pauschale Kinderbetreuungsgeld zwar deutlich niedriger, wird aber unabhängig von der vor der Geburt ausgeübten (Erwerbs-)Tätigkeit und auch auf längere Zeit gewährt. Die Bezugsdauer beträgt bei Inanspruchnahme beider Elternteile bis zu etwas unter drei Jahren.

Faktor Betreuungsangebote

Für skandinavische Verhältnisse wäre das wohl viel zu lange, zumal eine mehrjährige Karenzierung eines Elternteils oft den beruflichen Wiedereinstieg erschwert und mangels anschließender Kinderbetreuungsangebote vielfach in Teilzeitbeschäftigung - in ganz überwiegender Zahl von Frauen - mündet. Die meist besserverdienenden Väter wird man mit einem täglichen Kinderbetreuungsgeld von gut 15 Euro pro Tag in der längsten Variante wohl noch schwerer motivieren können, in Karenz zu gehen. Am Ende bleibt also wieder alles an den Frauen hängen - mögliche Pensionslücke und damit verbundene Altersarmut inklusive.

Was also tun? Zunächst müsste Österreich eine flächendeckende Betreuung für Kinder ab dem ersten Lebensjahr auf den Weg bringen, am besten kostenlos und mit Rechtsanspruch. Dann ließe sich auch die gegenwärtige Debatte über Voll- und Teilzeit ganz anders und vor allem glaubwürdig führen. Kinderbetreuungsangebote nach skandinavischem Vorbild würden auf lange Sicht wohl auch den gesellschaftlichen Boden bereiten, um Väter bei der Karenz stärker in die Pflicht zu nehmen. Zusätzlich müsste der Gesetzgeber Rahmenbedingungen für mehr Gleichberechtigung schaffen. In Finnland etwa haben Mütter und Väter von Neugeborenen das gleiche Recht auf Elternzeit. Beide bekommen 160 Tage zugeteilt, nur einen Teil dürfen sie auf den anderen übertragen.

Routine ist alles

Zurück in die Praxis. Der Tagesablauf eines karenzierten Vaters ist klar strukturiert, man stellt bald fest: Routine ist alles. Dem morgendlichen Flascherl folgt der Spaziergang Richtung Pöstlingberg, dem Schlaferl im Kinderwagen der Besuch beim Bäcker und im Supermarkt. Um 11.30 Uhr gibt es Brei, Obst und Gemüse, bis 13.30 Uhr wird gespielt, gekrabbelt und danach auch einmal etwas länger geschlafen. Diese Stunde am frühen Nachmittag ist eine der wenigen Gelegenheiten, etwas für sich selbst zu tun, ohne dabei permanent auf das Kind achten zu müssen. Eine Dusche bietet sich an oder ein Mittagsschläfchen zur Stärkung für den oft herausfordernden Nachmittag. Denn nach seiner Ruhepause ist Valentin manchmal grantig oder weinerlich: Ein weiteres Flascherl, Bilderbücher anschauen oder allererste Gehversuche sorgen für bessere Stimmung. Dann kommt auch endlich Mama nach Hause, es wird gekocht und gemeinsam zu Abend gegessen. Um etwa 19.15 Uhr liegt Valentin im Bett und schläft - mit Unterbrechungen - einem neuen Tag entgegen, der sich kaum vom anderen unterscheiden wird.

Routine ist tödlich

Wer im Job Abwechslung und den Kontakt mit vielen Menschen gewöhnt ist, kann sich in einer Karenz schnell einsam fühlen. Von einem Tag auf den anderen ist man vom Lärm des Berufslebens abgeschnitten, es gibt keine Meetings mehr, keine Telefonate, keine Videokonferenzen. Wenn die Kolleginnen und Kollegen morgens in die Arbeit hasten, steht man selbst in der Unterhose am Herd und bereitet die Babynahrung zu. Auch das gelegentliche Bier nach der Arbeit fällt aus, ebenso der Tratsch beim Mittagessen. Irgendwann geht einem das ziemlich ab. Das Gegenrezept: Omas und Opas besuchen, Geschwister, Verwandte, Freundinnen und Freunde mit Kind.

Vater zu sein, stärkt auf wunderbare Weise die Beziehung zu den eigenen Eltern. Man erfährt nicht nur großzügige Unterstützung von den Großeltern, plötzlich kann man auch vieles verstehen - und verzeihen. Zum Beispiel, dass die eigenen Eltern ab und zu einfach nicht so konnten, wie der Herr Sohn das gerne gehabt hätte - weil sie schlichtweg überfordert waren, so wie man das jetzt manchmal selbst ist.

Gestärkte Partnerschaft

Für die eigene Partnerschaft ist eine Väterkarenz auf jeden Fall förderlich. Es ist nur verständlich, dass viele in Vollzeit berufstätige Männer wenig Bindung zum eigenen Nachwuchs aufbauen können, zumal sie einfach zu wenig Zeit dafür haben. Morgens heißt es schnell in der Arbeit sein, und abends fehlen Energie und Zeit, um sich Sohn oder Tochter zu widmen. Die sind dann meist eh schon wieder reif fürs Bett. Wer aber am eigenen Leib erfährt, wie es ist, rund um die Uhr den Bedürfnissen und manchmal auch Launen eines Babys beziehungsweise Kleinkind ausgesetzt zu sein, bekommt schnell Respekt vor den Müttern dieser Welt.

Man merkt, wie schön es ist, wenn die Partnerin heimkommt und man nicht mehr alleinverantwortlich ist. Man kann die Sorgen in Bezug auf den beruflichen Wiedereinsteig nachvollziehen, man kennt das Gefühl einer aufkeimenden Isolation und den Kampf dagegen. Man weiß, wie viel Kraft es kostet, ein Kind, das partout nicht einschlafen oder weiterschlafen will, ins Bett zu bringen. Wer regelmäßig um 2 Uhr morgens aus dem Tiefschlaf gerissen wird und gezählte Ewigkeiten mit dem Baby im Arm in der Wohnung auf- und abgeht, bis es endlich wieder einschläft, lernt seine eigenen Grenzen kennen.

Dabei könnte es noch viel schlimmer sein, man hört von sogenannten Schreibabys, Kleinkindern, die jede Nahrungsaufnahme verweigern, langwierigen Krankheiten, Partnerschaften, die plötzlich in die Brüche gehen. Über die eigenen Sorgen, Probleme und ersten erzieherischen Niederlagen zu reden, tut Eltern unendlich gut. Ebenso wichtig ist es, über die vielen schönen Erlebnisse zu sprechen. Denn es bleibt in jedem Fall eine der erfüllendsten Aufgaben im Leben, für so ein kleines Wesen da zu sein. Eine Herausforderung, natürlich, aber eine, an der man als Vater wachsen kann - und wachsen muss. Die nächsten Prüfungen stehen bevor: die Eingewöhnung in der Krabbelstube und das Finden eines Gleichgewichts zwischen Familien- und Berufsleben.