"Mutig in die neuen Zeiten": Ehemaliger Bundessprecher der Grünen kandidiert als Parteiunabhängiger.
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Wien. Er tut es also doch. Monatelang hat Alexander Van der Bellen abgewägt, nun tritt der frühere Grünen-Chef tatsächlich bei der Bundespräsidentenwahl an. Am Freitag Vormittag kündigte er in einem YouTube-Video seine Kandidatur an, kurz darauf folgte die Nachricht per Twitter. Wie Grünen-Bundesgeschäftsführer Stefan Wallner bereits am Donnerstag verriet, werde Van der Bellen nicht als Kandidat der Grünen zur Bundespräsidentenwahl antreten, sondern als überparteilicher Kandidat. Daher wird die Kandidatur des Grünen nicht offiziell von der Partei, sondern von einem Verein namens "Gemeinsam für Van der Bellen -
Unabhängige Initiative für die Bundespräsidentschaftswahl 2016" -
organisiert.
Seine Beweggründe für die Kandidatur: Er glaube an Menschenrechte und auch -pflichten. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit solle man nicht als selbstverständlich ansehen, sondern darauf achten, dass diese auch in Zukunft garantiert seien. "Ich fühle mich verpflichtet, das Meinige dazu beizutragen." Betitelt ist das Video, in dem der Kandidat vor dem Parlament, auf einem Markt und in einem Auwald zu sehen ist, mit der Bundeshymnen-Zeile "Mutig in die neuen Zeiten". Auch in den SPÖ-Zitatenschatz wird gegriffen: "Lassen Sie uns ein Stück des Weges gemeinsam gehen", so Van der Bellen, der damit einen alten Bruno-Kreisky-Slogan bemühte.
Van der Bellens Popularität reicht weit über die grünen Kernreviere zwischen innerstädtischem Dachausbau, bedrohtem Auwald, Biogemüse-Acker und ländlichem Jugendzentrum hinaus. Was ihn über Parteigrenzen hinaus beliebt macht, ist sein undogmatischer und sinnierender Stil. Oft genug positionierte er sich gegen seine eigene Parteilinie, etwa in der Frage der Studiengebühren, beim Freihandelsabkommen TTIP oder als Kritiker der Basisdemokratie.
Des Professors Nachdenkpausen sind fast schon legendär, und seine Gabe, auch Andersdenkenden ernsthaft zuhören zu können, kann er für das angestrebte Amt ebenfalls auf der Haben-Seite verbuchen. Jovial-monarchisches Gehabe ist seine Sache nicht. Eine Festlegung gibt es allerdings: Eine FPÖ-geführte Regierung will er nicht angeloben.
Lange hat sich der passionierte Raucher bitten lassen. Noch in seinem im September 2015 erschienen autobiografischen Buch "Die Kunst der Freiheit" meinte er, dass die Funktion des Bundespräsidenten mit seinem Anspruch auf Privatsphäre im Grunde unvereinbar sei. Gleichzeitig werde nur wenigen die Ehre und das Vertrauen zuteil, als zumindest nicht aussichtsloser Kandidat für dieses Amt zu gelten.
"Leicht mache ich es mir nicht", so das Fazit Van der Bellens, der sich seiner Strahlkraft durchaus bewusst zeigt: "Schaffe ich es in die Stichwahl, dann ist der Ausgang des Wettbewerbs um die Hofburg offen." Dass man dort rauchen darf, davon hat er sich schon selbst überzeugt.
Zuletzt hatte Van der Bellen nur noch als Politpensionist agiert. Bei der Wiener Gemeinderatswahl 2015 trat er nicht mehr an, nachdem er sich schon lange geziert hatte, sein 2010 per Vorzugsstimmen errungenes Mandat im Stadtparlament überhaupt anzunehmen. Das passt ins Bild, erfolgte doch auch der Start seiner politischen Karriere nicht übermäßig früh.
"Entdeckt" wurde der Volkswirtschaftsprofessor vom grünen Mitbegründer Peter Pilz. 1992 kandidierte Van der Bellen für die Grünen für das Amt des Rechnungshofpräsidenten, 1994 wurde er Nationalratsabgeordneter. Drei Jahre später trat er schließlich sein Amt als Bundessprecher an - damals mit dem Ziel, "die Partei endlich einmal von dieser existenzbedrohenden Vier-, Fünf-Prozent-Marke wegzubekommen".
Im Laufe seiner elfjährigen Funktion als Bundessprecher ist Van der Bellen dies - neben der strukturellen Konsolidierung einer bis dahin stark zerstrittenen Bewegung - auch gelungen. Stand die Partei zu Beginn gerade einmal bei 4,8 Prozent, überholten die Grünen bei der Nationalratswahl 2006 mit elf Prozent knapp die FPÖ und wurden drittstärkste Kraft im Land. Dies war sein größter Erfolg. Beim Urnengang 2008 verlor die Ökopartei Stimmen, worauf der Professor abrupt und für viele überraschend das Handtuch warf. Seine womöglich größte politische Niederlage erlitt Van der Bellen allerdings schon 2002, als die schwarz-grünen Koalitionsverhandlungen platzten.
Zur Person:
Alexander Van der Bellen, geboren am 18. Jänner 1944 in Wien als Sohn einer estnischen Mutter und eines russischen Vaters. Aufgewachsen im Tiroler Kaunertal. Studierte Volkswirtschaft und unterrichtete als Uni-Professor sowohl in der Tiroler Hauptstadt als auch in Wien.
Link: vanderbellen.at