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Versuch einer Bilanz des "grünen" Beitrags in den fünf Jahren von Rot-Grün in Wien|Waren die Grünen mehr als nur billige und willfährige Koalitionspartner der SPÖ?
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Jahreskarte
Die Jahreskarte wurde zwar um 84 Euro verbilligt, dafür wurden die Einzelfahrscheine zweimal verteuert, die Kurzstrecken-Fahrscheine aufgelassen, und die günstigste Tageskarte (1 Streifen der 8-Tage-Klimakarte) ist erstmals teurer als die Hin- und Rückfahrt mit Einzelfahrscheinen. Für alle, die einfach keine Jahreskarte brauchen, wurde der Öffentliche Verkehr in Wien somit teurer: ja, solche Leute soll es geben, obwohl sie keine unverbesserlichen Autofahrer sind: Menschen, die hauptsächlich mit dem Fahrrad oder zu Fuß unterwegs sind; Mütter/Väter in Elternkarenz, Hausfrauen oder auch Bewohner des Umlandes, die nach Wien fahren. Die Verteuerung trifft also durchaus auch die eigene Wähler-Klientel!
Die Alternativen für alle, die eigentlich keine Jahreskarte brauchen: entweder sie tüfteln herum, ob sich eine Wochenkarte oder Monatskarte rentiert, oder sie nehmen der Einfachheit halber doch eine Jahreskarte. Die Angschmierten sind sie in jedem Fall.
Die Strategie der einseitigen Vergünstigung von Jahreskarten um den Preis prohibitiver Tarife für Einzelfahrten ist keine vernünftige, attraktive Tarifgestaltung. Wegen der Verteuerung in Wien wurden auch die Fahrten in den Außenzonen teurer (von und nach Wien!). Das Verhältnis der Preise von Einzelfahrkarte zu Jahreskarte muss in einem gewissen Rahmen bleiben, damit das Tarifsystem einerseits nicht ungerecht wird und andererseits wegen unverhältnismäßig hoher Einzelfahrtspreise nicht erst recht wieder von der Benützung des ÖV abschreckt.
Parkpickerl
Das Parkpickerl hatte die SPÖ in den inneren Bezirken schon im Alleingang eingeführt, für die Ausweitung hätte sie die Grünen daher gar nicht gebraucht. Aber nach Verlust der absoluten Mehrheit hat die SPÖ diese weitgehend unpopuläre Ausdehnung der Parkraumbewirtschaftung nur allzu gerne den Grünen umgehängt. Das war wohl das Hauptargument für die Entscheidung für die Grünen als Koalitionspartner.
Wieso setzen sich die Grünen eigentlich so vehement für das Parkpickerl ein? Denn das Parkpickerl ist durchaus zweischneidig. Es führt zwar zu einer Reduktion der Autobenützung, fördert aber vermehrten Autobesitz wegen der freiwerdenden Parkplätze. Der Junior kann sich endlich ein eigenes Auto kaufen und die Jungfamilie das Zweitauto. Das Parkpickerl ist im Grunde eine autofreundliche Maßnahme. Wenn es gratis wäre, hätte auch die FPÖ nichts dagegen.
Apropos: Familien mit Zweitauto gehören bei den Grünen ja zum guten Ton. Auch die Familie Glawischnig-Piesczek gehört dazu: Zum "Familien-Van" (O-Ton Eva Glawischnig) von Papa (der auch beruflich zum Transportieren schwerer Kameras benützt werde, wie es heißt, obwohl Papa Piesczek zwar beim Fernsehen, aber kein Kameramann ist) kam mit dem zweiten Kind ein Auto für Mama Eva hinzu, wie Eva Glawischnig im Ö1-Mittags-Journal vom 23.08.2013 zugab.
Stadtplanung
Welche zukunftsweisenden Maßnahmen wurden gesetzt? Maria Vassilakou war immerhin zuständig für Stadtplanung und -entwicklung. Gibt es eine Abkehr von der bisherigen, von den Grünen in der Opposition kritisierten Strategie betr. Öffentlichen Verkehr?
Nach einer Schrecksekunde nach Ankündigung des Baus der neuen U-Bahnlinie U5 seitens der SPÖ (ohne Absprache mit den Grünen) sprangen die Grünen auf die Untertunnelungseuphorie auf und gaben sich mit der Aussicht auf ein paar neue Straßenbahnlinien zufrieden. Die Forcierung von Schnellstraßenbahnlinien ist kein Thema mehr. Von der Beschleunigung von Straßenbahnlinien träumen die Fahrgäste seit Jahrzehnten, von der Bevorzugung bei Ampeln ist nach wie vor nichts zu bemerken. Dafür dürfen Motorräder jetzt auch Busspuren benützen. Motorradfahrer (liebevoll als "Biker" bezeichnet, obwohl die echten Biker die Radfahrer sind) als neue Klientel der Grünen? Oder liegt das an der Begeisterung Vassilakous für Vespas? ("Ich fahre Vespa als Beifahrerin", so Vassilakou in einem Interview.)
Dass die Verlegung der Fernzüge vom Westbahnhof zum Hauptbahnhof den Bewohnern Wiens insgesamt betrachtet keine Vorteile bringt (außer den in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs Wohnenden), für die Bewohner der westlichen Bezirke Wiens aber wesentliche Nachteile bringt, ist den Grünen anscheinend nicht bewusst geworden: Die Bewohner der Bezirke 13 bis 19 müssen nun zum Einsteigen einen Umweg in entgegengesetzter Richtung zum Fahrtziel in Kauf nehmen (zum Hauptbhf. oder Bhf. Meidling). Hütteldorf (U4, Vorortelinie, Regionalbusse) fällt als Zubringerbahnhof zum Fernverkehr der Westbahnstrecke weg. Auch wenn das nicht in die direkte Kompetenz der Stadt fällt, wäre von einer Partei wie den Grünen, die sich die Attraktivierung des ÖV auf ihre Fahnen geheftet haben, mehr als nur Schweigen zu erwarten gewesen.
Ach ja, zwei Radvorrangsstraßen wurden durchgesetzt (oder war es doch nur eine?). Generelles Radfahren gegen die Einbahn, das in Graz schon seit Jahrzehnten erlaubt ist, wurde nicht einmal thematisiert. Der Ring-Radweg wurde nicht angetastet, nur grün eingefärbt (zugegeben: die rad- und fußgängerfreundliche Neutrassierung ist kein einfaches Unterfangen).
Hochhäuser gegen Altbauten
Während sich Maria Vassilakou zusammen mit den anderen Stadträten auf dem Rohbau des höchsten Hochhausbaus den Kameras der Journalisten präsentiert hat, war von einer Offensive gegen die Zerstörung schützenswerter Altbauten nichts zu bemerken. Das Moratorium betr. Heurigengebiete scheint auch nur eine Beruhigungspille zu sein. Und die Bürgerinitiative Steinhof wurde schlicht kalt abserviert, indem die Mediationsergebnisse dem öffentlichen Zugriff später wieder entzogen wurden ("Sorry! Seite nicht gefunden!") und von den Stadtverantwortlichen jetzt einfach verdreht dargestellt werden. Die Bürgerinitiative spricht von einem Kniefall gegenüber den Investoren und der Baulobby. Haben sich die Grünen nicht einst als Lobby für Bürgerinitiativen verstanden und war da nicht einmal die Kritik an einer "roten Mafia"?
Umweltbelange
Bei Umwelt-Themen herrschte erstaunliche Stille in den vergangenen fünf Jahren. Die unbeschränkte Salzstreuung wurde nicht aufgehoben und die Erlaubnis zur Salzstreuung nicht wieder auf Tage mit Glatteisgefahr beschränkt (wie vor Jahren unter SPÖ-Alleinregierung) - nicht einmal hinterfragt wurde sie von der "Öko"-Partei. In die Zeit von Rot-Grün fällt die Auflassung der fixen Problemstoff-Sammelstellen, sie wurden auf einen mobilen Sammeldienst umgestellt, was sicher nicht die Motivation für korrektes Entsorgen von Problemstoffen erhöht hat.
Fußgängerzone - oder doch nicht?
Das umstrittene Projekt Fußgängerzone Mariahilfer Straße kam erst nach einem Machtwort Häupls zustande. Einerseits war sie ohnehin schon verkehrsberuhigt, und andererseits ist sie gar keine Fußgängerzone, sondern weitgehend eine Begegnungszone, deretwegen der Bus einen Umweg fahren muss und oft behindert wird.
Begegnungszonen sind das neue Steckenpferd der Grünen. Die widersinnige Übersetzung des Fachbegriffs aus dem Englischen, wo es schlicht "shared space" heißt, suggeriert falsche Vorstellungen. Eine solche "Begegnungszone" ist kein Ort der Begegnung - kommunikative Begegnung findet dort nicht statt -, sondern nach wie vor ein Ort der Gegnung. Aber die Grünen neigen dazu, alles zum geschönten Hype zu machen.
Jedenfalls bietet die Mariahilfer Straße jetzt mehr Raum für Schanigärten. Das Wien der Schanigärten - das ist offenbar die Vision der Grünen für das Wien der Zukunft: eine Stadt übersät mit Schanigärten, und das ganzjährig. Die Grünen treten bekanntlich für die ganzjährige Genehmigung ein, sind aber strikt gegen Infrarot-Heizstrahler. Schanigärten im Winter ohne Beheizung? Ein weiteres Beispiel für die Widersprüchlichkeit der Wiener Grünen.
Vermeintliche Großtaten
Obwohl die Meidlinger Hauptstraße seit Jahrzehnten (echte) Fußgängerzone ist, wurde die viel Geld verschlingende Erneuerung des Bodenbelags als Großtat Maria Vassilakous hingestellt und diente in erster Linie als Wahlwerbemaßnahme, damit die Frau Stadträtin rechtzeitig vor dem Wahltermin eine Neueröffnung präsentieren kann. Ähnlich die medial x-mal angekündigte Mini-Terrasse über der U4-Trasse nahe der Pilgramgasse, bevor sie kurz vor der Wahl endlich eingeweiht wurde. Das Getue um die 76m x 13m große Holzterrasse mit Sitzgelegenheiten, von denen Vassilakou als "kleines neues Wahrzeichen Wiens" (!) schwärmte, ist bezeichnend für die Aktionen der Wr. Grünen. Much ado about nothing, pardon: viel Lärm um (fast) nichts.
Ein wahrhaft neues Wahrzeichen Wiens wäre die Renaturierung des Wienflusses geworden, aber das war nicht einmal Thema. Die Radroute im Bett des Wienflusses entlang des Hietzinger Kais war ja schon unter der SPÖ-Alleinregierung als Akt des guten Willens für eine spätere eine rot-grüne Koalition angelegt worden. Seit der Verwirklichung der Koalition hat sich nichts mehr getan.
Die Wiener Grünen und das Ende der Politik
Welcher Eindruck bleibt also nach fünf Jahren Mitregieren der Grünen? Die Wiener Grünen haben die Konfrontation bei echten Grün-Themen gescheut (Ausnahme Wahlrecht) und substanzielle politische Akzente vermissen lassen. Hauptmerkmal war die Förderung der Spaß- und Freizeitgesellschaft sowie das Setzen (teurer) kosmetischer Maßnahmen, die hochstilisiert wurden, um das Fehlen substanzieller grüner Maßnahmen zu kaschieren.
Genau besehen waren die Wiener Grünen in den fünf Jahren der Regierungsbeteiligung ziemlich unpolitisch.